Mittwoch, Oktober 9


Design-Trend

Beim Kaffee-, Mode- und Möbelmachen entstehen neue Rituale, indem man auf etwas Altes fokussiert: Handwerk

Je virtueller die Welt wird, je unwirklich medialer, umso stärker wird der Wunsch nach dem Wirklichen, das man anfassen, riechen, spüren kann, nach dem, was tatsächlich seine Zeit braucht, nach dem Handwerklichen, ja dem sichtbaren Handanlegen. Lange vorbei unsere Maschinengläubigkeit und Technikbegeisterung.

Fiel mir im Café auf; wo früher eine Espressomaschine, beeindruckend wie eine Moto Guzzi oder eine Harley-Davidson, den Raum beherrschte und auf Knopfdruck funkelte, zischte, alle Blicke auf sich zog, geht es jetzt still, asketisch und tatsächlich handverlesen zu. Alles braucht seine Zeit. Gefiltertes Wasser wird in einen Holzfilter auf selbst und natürlich frisch gemahlenen Kaffee in einem ungebleichten, todsicher rezyklierten Filter gegossen. Andächtig sehen Kaffeebereiterin und Kaffeetrinkerin zu, wie der Kaffee gebraut wird, es langsam köstlich kostbar duftend tropft: «Drip Coffee» heisst das jetzt, nicht mehr prosaisch «Filterkaffee», ein neues Ritual.

Optimieren statt verkleiden

Auch in der Küche beobachtet man diesen Trend weg von der Kochkunst hin zum Handwerk und zur Eigenheit des Gegessenen. Nichts wird mehr kunstvoll verfremdet manieristisch verkleidet, sondern kommt in seinen Eigenschaften, dem Geschmack der Dinge, optimiert auf den Tisch. Weg vom Exotischen, um die Welt Transportierten, hin zum Saisonalen des lokalen Wochenmarktes, zu dem, was nebenan oder gar im eigenen Garten angebaut wird.

Selbst die Mode, die ja Trendsetterin ist, will lange nicht mehr Kunst, sondern exquisites Handwerk sein: Die Show von John Galliano für Maison Margiela im Januar hiess natürlich nicht mehr Haute Couture, denn dabei hätten die meisten nicht an Handwerk und Atelier, sondern an abgehobene, realitätsferne Elite gedacht, sondern «Collection artisanale». Hands-on.

Im Design gilt Maserung als Ornament

Das Design setzt auf Natur, die durch perfektes Handwerk in ihrer Schönheit zum Strahlen gebracht wird. Auf der Design Week in Mailand übertrumpft die Technik die Natur nicht mehr, überwindet oder ersetzt sie nicht; vielmehr tritt sie in ihren Dienst und wird zu einer zweiten Natur, die die Vollkommenheit der ersten Natur herausarbeitet, unterstreicht.

Stainless Steel, raffiniert poliert, kombiniert mit der ungeschliffenen Unbehauenheit von Granit oder Marmor, Holz, so bearbeitet, dass seine natürliche Maserung herauskommt und zum Ornament wird, Steine, die so geschnitten und geschliffen werden, dass sie wie antike, kostbar geknüpfte Teppiche aussehen. Leder, so gegerbt und genäht, dass jeder Stich, jedes Streicheln von hohem Handwerk flüstert. Jedes Stück, selbst wenn in Serie hergestellt, wird so einzigartig, weil diese Maserung, diese Zeichnung des Steins eben nur einmal vorkommt. Auch an den technisch hergestellten Teilen bewundert man nicht mehr die ewig gleiche, gesichtslose Perfektion; das handwerklich Hergestellte schätzt man an winzigen Eigenheiten.

Dabei folgt die Form nicht mehr einfach der Funktion, viel raffinierter wird die Funktionalität selbst zu einer schönen Form, zu einem wohlgeschmiedeten Ornament. Die Ar­maturen und Gelenke, bildschöne handwerkliche Arbeiten, treten in einen Dialog mit den spektakulär herausgestrichenen Eigenschaften des Materials. An Handverlesenes wird meisterhaft Hand angelegt.

Barbara Vinken ist Professorin für Allgemeine Literaturwissenschaft und Romanische Philologie an der LMU in München. Ein breites Publikum erreichte sie mit ihren Überlegungen zur deutschen Familienpolitik und zur Mode.

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