Bei der Transplantation von blutbildenden Stammzellen kann mit den fremden Zellen auch eine Demenzerkrankung weitergegeben werden. Zu diesem Schluss kommen kanadische Forscher. Wie gross ist die Gefahr für Patienten?

Schon länger wird Patienten das Knochenmark von Spendern transplantiert, um damit Krankheiten zu heilen. Kann dabei die Alzheimerkrankheit auf den Empfängerorganismus übertragen werden? Was verstörend klingt, haben Wissenschafter in Kanada laut eigenen Angaben soeben bei Mäusen nachgewiesen. Darüber berichten die Forscher der University of British Columbia in Vancouver in der Fachzeitschrift «Stem Cell Reports».

Für ihre Experimente benützte die Forschergruppe von Wilfred Jefferies Mäuse mit einer bestimmten Genmutation. Sie führt bei den Tieren – wie auch beim Menschen – zu einer vererbten Form der Alzheimerkrankheit. Diesen «Alzheimermäusen» entnahmen die Wissenschafter aus dem Knochenmark blutbildende Stammzellen und übertrugen sie auf Mäuse ohne die Alzheimermutation. Die so behandelten Tiere entwickelten dann auffallend rasch die Zeichen einer Alzheimerkrankheit.

Verschiedene Wege, wie Alzheimer übertragen werden könnte

Dass Alzheimer möglicherweise in seltenen Fällen von einer Person auf die andere übergehen kann, wird schon länger diskutiert. So gab 2015 eine britische Studie zu reden. Dabei ging es um Personen, die als Kind bestimmte Wachstumshormone erhalten hatten und an der Prionkrankheit CJD gestorben sind. Die Forscher fanden in ihren Gehirnen auch die für Alzheimer typischen Amyloid-Beta-Proteine. Sowohl Alzheimer als auch CJD, so vermuteten die Wissenschafter, könnte mit den verabreichten Wachstumshormonen auf die Patienten übertragen worden sein. Denn diese wurden bis in die 1980er Jahre aus der Hirnanhangsdrüse von Verstorbenen gewonnen.

In einer neuen Analyse von Anfang Jahr berichtete die gleiche Forschergruppe von acht Personen, die in der Vergangenheit ebenfalls mit den problematischen Wachstumshormonen behandelt worden waren. Sie sind aber nicht an der Prionkrankheit CJD erkrankt. Bei fünf dieser Personen liessen sich im Alter von 38 bis 55 Jahren bereits Symptome nachweisen, die mit einer frühen Form der Alzheimerkrankheit vereinbar sind. Die britischen Forscher werten das als weiteren Hinweis, dass die Demenzerkrankung bei medizinischen Behandlungen übertragen werden kann.

Weil die Therapie mit Wachstumshormonen aus Hirngewebe heute verboten ist, hat diese Möglichkeit der Alzheimerübertragung keine Bedeutung mehr. Anders verhält es sich beim neu postulierten Übertragungsmechanismus via transplantierte blutbildende Stammzellen aus dem Knochenmark. Diese Therapie wird weltweit routinemässig gegen Krebserkrankungen eingesetzt.

Familiäre Formen von Alzheimer sind selten

Allerdings: Die bei den Mäusen beobachtete Alzheimerübertragung betrifft nur genetisch verursachte Formen der Demenzerkrankung. Weil diese innerhalb von Familien vererbt werden, wird auch von familiärer Alzheimerkrankheit gesprochen. Die Demenz tritt dann typischerweise früh im Leben auf, oftmals schon vor dem 50. Lebensjahr. Nach Schätzungen machen die familiären Alzheimerfälle etwa ein Prozent der Alzheimerfälle aus. Der grosse Rest gilt als sporadisch und wird nicht von einzelnen Krankheitsgenen verursacht.

Für ihre Versuche haben die kanadischen Forscher Mäuse mit einer familiären Alzheimerform eingesetzt, die auf einer vererbten Mutation im sogenannten APP-Protein basiert. Dieses spielt in der Entwicklung von Alzheimer eine wichtige Rolle. Denn in mutierter Form wird das Protein nach seiner Aufspaltung falsch gefaltet. Es kann dann zu Klumpen aggregieren, den sogenannten Amyloid-Beta-Plaques – nach gängiger Lehrmeinung sind sie ein wichtiges Kennzeichen und eine Hauptursache der Alzheimerdemenz.

Um zu beweisen, dass Alzheimer tatsächlich übertragbar sein kann, haben die kanadischen Forscher die Stammzellen aus den «Alzheimermäusen» auf zwei verschiedene Mäusestämme transplantiert: auf sogenannte APP-Knock-out-Mäuse, die selber kein APP-Gen haben, und Mäuse mit einer normalen Variante dieses Gens.

Wie sich zeigte, entwickelten die Mäuse in beiden Gruppen nach der Transplantation relativ schnell Veränderungen im Gehirn, die für Alzheimer typisch sind. Neben der vermehrten Bildung von Amyloid-Beta sind das auch undichte Blutgefässe, die zum Ausfall der wichtigen Blut-Hirn-Schranke führen.

Parallel zu den Hirnveränderungen entwickelten die Tiere auch die Zeichen eines kognitiven Zerfalls. Bei den Knock-out-Mäusen ohne APP-Gen waren sie nach sechs Monaten feststellbar, bei den Tieren mit normalem APP-Gen nach neun Monaten. Das sei deutlich schneller, als man dies bei «Alzheimermäusen» normalerweise sehe, schreiben die kanadischen Forscher. Die Tiere würden meist mit elf bis zwölf Monaten verhaltensauffällig.

Dass auch die Mäuse mit normalem APP-Gen nach der Transplantation Alzheimer-typische Symptome entwickelten, ist laut den Forschern besonders bedeutsam. Denn es zeige, dass die Alzheimerkrankheit über die transplantierten Zellen auf gesunde Individuen übertragen werden könne.

Deshalb sollten vor einer Stammzelltransplantation künftig mehr Kontrollen durchgeführt werden, schreiben die Forscher. Statt die Spender nur auf Krankheitserreger und Krebs zu untersuchen, sollten sie auch auf bekannte Krankheitsgene getestet werden, um eine unbeabsichtigte Übertragung der Erbanlagen zu verhindern. Generell werde das Risiko von ärztlich verursachten Krankheiten in der Medizin unterschätzt, geben die Forscher zu bedenken. Das gelte insbesondere, wenn zur Behandlung Organe, Gewebe und Zellen übertragen würden.

Gefürchtet ist vom Spender ausgelöster Krebs

Was aber halten an der Studie unbeteiligte Fachleute von den Resultaten aus Kanada? In Stellungnahmen gegenüber dem britischen und dem deutschen Science Media Center bezeichnen sie die Mäuse-Experimente als interessant und gut gemacht. Auch die Schlussfolgerung, dass Alzheimer in seltenen Fällen bei einer Stammzelltransplantation vom Spender auf den Empfänger übertragen werden kann, halten viele für plausibel.

Was die angefragten Experten aber stört, ist die Schlussfolgerung, dass die Spender in Zukunft auf eine familiäre Alzheimerkrankheit untersucht werden sollten. Diese Forderung sei mit den Studiendaten nicht zu begründen, so das einhellige Urteil. Zudem betonen alle, dass niemand aus Angst vor einer Alzheimerübertragung auf eine Knochenmark- und Stammzelltransplantation verzichten sollte. Denn noch gebe es viele offene Fragen. Etwa, wie die transplantierten Blutstammzellen überhaupt Alzheimer auslösen können. Wandern sie mit dem Blut ins Gehirn und bilden dort das problematische Protein? Oder gelangt dieses in löslicher Form ins Gehirn?

Entwarnung für Patienten gibt auch der von der NZZ angefragte Hämatologe und Stammzellspezialist Jakob Passweg vom Universitätsspital Basel. «Die Studie hat für die klinische Praxis der Knochenmark- und Stammzelltransplantation keine Relevanz», schreibt der Chefarzt kurz und bündig. Dies vor allem deshalb, weil die theoretisch mögliche Übertragung von familiärem Alzheimer und anderen angeborenen genetischen Erkrankungen extrem selten vorkommen dürfte. So werden laut Passweg europaweit jedes Jahr bei 19 000 Patienten Transplantationen mit Stammzellen von fremden Spendern durchgeführt. Wäre das Problem häufig, hätte man es längst im medizinischen Alltag festgestellt, so Passweg.

Trotzdem hält der Arzt die Forderung der kanadischen Forscher, die Spenderzellen vor der Transplantation auf genetische Auffälligkeiten zu prüfen, für diskussionswürdig. Aber nicht wegen der Alzheimergefahr, wie er betont. Sondern weil die fremden Zellen gelegentlich Genvarianten enthalten, die beim Empfänger nach der Behandlung Krebs auslösen können. Das sei bei der Stammzelltransplantation ein viel wichtigeres Thema.

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