Gastrokritik
An Bahnhöfen erwartet man nicht zwingend erstklassige Verpflegung, sondern vor allem schnelle Bodenständigkeit. Doch was St. Gallen rund um seinen wichtigsten Bahnhof bietet, ist deutlich über dem Durchschnitt angesiedelt.
Ohne Starbucks, Yooji’s und Spettacolo geht es wohl nicht in Schweizer Bahnhöfen. Allerdings ist die Existenz von Ketten nicht wirklich dramatisch, sofern es auch ein paar coole Alternativen gibt. Und man kann ja wirklich nicht behaupten, dass Sushi und Kaffee bei den genannten Namen unterhalb des Schweizer Durchschnitts der jeweiligen Lebensmittel lägen; auch die Brezel beim Brezelkönig ist absolut geniessbar.
Was die Mischung zwischen altbekannt und individuell angeht, sieht es am Bahnhof von St. Gallen und in dessen unmittelbarer Umgebung gar nicht so schlecht aus. Die hier gebotene Auswahl an Ess- und Trinkbarem ist für eine Stadt dieser Grössenordnung beachtlich – und die Qualität überzeugte gleich bei zwei Testbesuchen.
Understatement mit Wurst und Wähe
Da wäre zum Beispiel Tenz, ein Gastrokonzept aus Zürich, das mittlerweile viele Standorte hat. Freunde von mir haben zwar neulich mitgeteilt, dass die Momos à la Tenz nicht mehr so gut schmeckten wie einst – was ich nicht ausschliessen möchte –, doch sie gehen immer noch als überdurchschnittlich gelungener Imbiss durch. Aber muss es dazu ein Trüffelfondue sein, wie es in St. Gallen beworben wurde?
Noch spannender fand ich das Stadtlandkind genannte Pop-up-Konzept im Erdgeschoss des Bahnhofs. Diese Mischung aus Kinder-Kleiderladen und Bistro weicht von den üblichen Verpflegungspfaden ab und verkauft beispielsweise einen Appenzeller Käsefladen, den ich richtig gut fand. Die sogenannte Croffel, eine süsse Mischung aus Waffel und Croissant, habe ich nicht probiert, aber sie zeugt von Phantasie.
Wer noch mehr Kalorien zu sich nehmen möchte, geht anschliessend einen Stock tiefer und probiert im Imbiss Pao pao Corn Dogs mit Käse.
Wer in der Metzgerei Schmid nur eine Wurstbraterei sieht, hat einiges falsch verstanden. Der Laden gilt als Institution und ragt mit seiner Wurstbude am Bahnhof St. Gallen weit über den Durchschnitt derartiger Etablissements hinaus. Wobei ich zugeben muss, dass ich die sehr gut aussehende Wurst – warm auf die Hand oder vakuumverpackt zum Mitnehmen – links liegengelassen und stattdessen den hausgemachten Hackbraten probiert habe. Schmeckte klasse und kostete, Bürli und Cocktailsauce inbegriffen, nur sechs Franken.
Im «Kebab Club» kann man sich seinen Döner mit ungewöhnlichen Zutaten zusammenstellen lassen – warum nicht mal mit Mozzarella auf italienische Art? Das Fladenbrot fand ich hier, ein paar Monate ist es her, geschmacklich gelungen, das Fleisch gut, die Würzung erfreulich. Vom Gallus Grill schwärmen viele, weil die Loaded Pommes gut sein sollen, aber ich ziehe das nicht allzu weit entfernte Restaurant Brauwerk vor – nicht zuletzt deshalb, weil es wohl nirgendwo in der Stadt besseres Bier (Framboise Lambic) gibt. Ach ja, das «Misnik» ist immer noch dem zu empfehlen, der es bei Fleisch vom Grill krachen lassen will.
Ungewohntes hinter dem Bahnhof
Und hinter dem Bahnhof? Auch da herrscht mitnichten kulinarische Ödnis, denn in der Cafeteria Gleis 8, einem Doppelkonzept aus Mensa und Café, kann man zu fairen Preisen Cordon bleu oder Süsskartoffelpfanne verzehren (wenn doch nur die Weinauswahl besser wäre!). Die «Lokremise» habe ich bereits vorgestellt als eines der empfehlenswertesten Bahnhofsrestaurants der Schweiz, und das ist sie immer noch. Schliesslich der «Izakaya Ekimae», ein neues japanisches Outlet im schicken Hotel Tailormade, wo man Teezeremonien besuchen kann.
Zwar gelten zehn Minuten Fussweg nicht mehr als «am Bahnhof», aber das «Einstein» ist nach wie vor eine Adresse, die man all jenen ans Herz legen muss, die sich für eine grosse Küche interessieren.
Nach der bevorstehenden Schliessung der «Fernsicht» in Heiden noch unerlässlicher als zuvor. Wer deren Chefkoch Tobias Funke künftig treffen will, kann im höchst empfehlenswerten Restaurant Multertor einkehren, allein der Weinauswahl wegen. Übrigens: auch nur ein paar Schritte vom St. Galler Bahnhofplatz entfernt.