Samstag, Oktober 5

Die Regierungsbildungen in Thüringen und Sachsen gestalten sich schwierig: Kommt es zu Koalitionen der Christlichdemokraten mit der Wagenknecht-Partei und zur Tolerierung durch «Die Linke»? Doch auch Gespräche mit der AfD scheinen nicht gänzlich undenkbar.

Die Lage der CDU nach den Wahlen in Thüringen und Sachsen ist ebenso wenig auf einen Nenner zu bringen wie das Mienenspiel ihres Bundesvorsitzenden. Friedrich Merz stand am Montag in der Berliner Parteizentrale, hatte neben sich die beiden Spitzenkandidaten Mario Voigt und Michael Kretschmer platziert, und keinem der drei Politiker wollte zunächst ein Lächeln gelingen.

Dabei war man doch zusammengekommen, um die Presse über ein «sehr gutes Wahlergebnis» zu unterrichten. Merz sprach das an die thüringischen Parteifreunde gerichtete Lob aus, als habe er in eine Stachelbeere gebissen. Er weiss: Die Aussicht auf linke Regierungsbündnisse erfreuen keines Konservativen Herz.

Neues deutsches Summenspiel

Vielleicht auch deshalb war wenige Sekunden später aus dem «sehr guten» ein bloss «ordentliches» Resultat geworden. Damit war Merz näher an die Wirklichkeit gerückt. Jene 23,6 Prozent nämlich, die Mario Voigt und die thüringische CDU erzielten, waren deren zweitschlechtestes Ergebnis überhaupt. Die AfD konnte knapp 10 Punkte mehr erringen.

Merz nahm zu einem vermeintlichen Umfragetief von 9 Prozent Bezug, um das schwache Resultat der Landtagswahlen zur Aufholjagd aufzuhübschen. Voigt wiederum befleissigte sich jener neuen Arithmetik, die seit dem anhaltenden Aufstieg der AfD bei deren Gegnern Usus ist: Die CDU sei «stärkste Kraft der politischen Mitte» geworden.

Damit verfährt der Mann, der Ministerpräsident werden will, genau so wie Christian Lindner. Der FDP-Vorsitzende spricht vom massgeblichen «demokratischen Zentrum» und meint seine Partei sowie CDU, CSU, SPD und Grüne. Merz wiederum nennt die AfD eine «gesichert extremistische Partei», obwohl diese Einschätzung des Verfassungsschutzes nicht über jeden Zweifel erhaben ist, und erklärt sie für unberührbar. Mehrheiten sollen prinzipiell Mehrheiten ohne die AfD sein, die zu diesem Zweck aus dem Kreis der koalitionsfähigen Partner herausgerechnet wird. Das neue Summenspiel beginnt, wo die AfD-Resultate enden, wie hoch auch immer diese ausfallen mögen.

In Sachsen wie in Thüringen ist die CDU bereit, linke Bündnisse zu schmieden, um die ungeliebte Konkurrenz von der Macht fernzuhalten. So könnte ein mehrheitlich konservatives bis rechtes Wählervotum – AfD und CDU erreichten zusammen rund 62 beziehungsweise 56 Prozent – zu einer linken Regierung führen.

Friedrich Merz sieht das «Licht der Lage»

Diese Regierung könnte in Thüringen nicht nur aus der CDU und der SPD und dem aus der Linkspartei hervorgegangenen Bündnis Sahra Wagenknecht bestehen. Weil selbst eine solche weltanschaulich disparate Dreierkoalition mit 44 von 88 Parlamentssitzen keine Mehrheit im Erfurter Landtag hätte, wäre eine Tolerierung durch die vom Wähler abgestrafte Partei «Die Linke» des amtierenden Ministerpräsidenten Bodo Ramelow nötig. Ramelow ist dazu bereit. Er warte auf eine Einladung der CDU zu Gesprächen, sagte er am Montagabend im Fernsehen des Mitteldeutschen Rundfunks.

Eine Duldung durch die ehemalige Sozialistische Einheitspartei der DDR wäre indes den Wählern der CDU schwierig zu vermitteln. Die Narben aus vierzig Jahren Diktatur sind nicht überall verheilt. Und stünde nicht der Unvereinbarkeitsbeschluss vom Hamburger Parteitag der Annäherung entgegen? Ende 2018 lautete der entscheidende Satz: «Die CDU Deutschlands lehnt Koalitionen und ähnliche Formen der Zusammenarbeit sowohl mit der Linkspartei als auch mit der Alternative für Deutschland ab.» Wäre eine Duldung eine Zusammenarbeit?

Friedrich Merz erklärt sibyllinisch, der Beschluss gelte. «Was jetzt allerdings in Thüringen passiert», müsse man abwarten, die Dinge seien im Fluss und jeweils im «Licht der Lage» zu beurteilen. Michael Kretschmer, dem nach dem schlechtesten sächsischen Landtagswahlergebnis überhaupt eine Koalition mit dem BSW und der SPD bevorstehen könnte, eilt dem bedrängten Voigt zu Hilfe. Der Unvereinbarkeitsbeschluss beziehe sich lediglich auf eine Regierungsbeteiligung oder eine «strukturelle Zusammenarbeit», man müsse trotzdem im Gespräch bleiben.

Insofern könnte es in Thüringen auf eine Regierung von CDU, BSW und SPD hinauslaufen, die an neuralgischen Stellen «Die Linke» um die eine fehlende Stimme ersucht. Mit einer stabilen Regierung, die Voigt verspricht, hätte das wenig zu tun. Voigt will «am Ende etwas zusammenbinden, was dann auch politisch funktionieren kann, um für Thüringen anzupacken». Ob Voigt damit seine Fähigkeiten als Florist der Gegensätze überschätzt?

Abschied von Pippi Langstrumpf

Neben Merz scheinen weitere Mitglieder der Bundesspitze zu solchen weltanschaulichen Lockerungsübungen bereit. Thorsten Frei, erster parlamentarischer Geschäftsführer der Unionsfraktion im Bundestag, sagte im Deutschlandfunk, eine förmliche Koalition mit der Linkspartei verbiete sich, eine Minderheitsregierung hingegen wäre nur «keine schöne Situation». Es seien nun einmal Regierungsbildungen in der «politischen Mitte» quasi unmöglich. Ergo, heisst das, kann die CDU zur Not den linken, nicht aber den rechten Rand einbinden.

Das Vorstandsmitglied Jens Spahn wiederum erklärte in den ARD-«Tagesthemen», die Thüringer redeten «in eigener Verantwortung» mit BSW und SPD. Danach könne sich Voigt im Landtag zur Wahl stellen und bei erfolgter Kür «in der aktuellen Mehrheitslage» eine Regierung «entwickeln» und Gesetze vorlegen. Auch das wäre eine Regierung ohne eigene Mehrheit, wie sie in den zurückliegenden Jahren mit Linken, Grünen, SPD bei partieller Unterstützung der CDU zu bescheidenen Ergebnissen führte.

In der thüringischen CDU teilen nicht alle diese einseitige Elastizität. Die frisch gewählte Landtagsabgeordnete Martina Schweinsburg, bisher Landrätin des Landkreises Greiz, Mitglied im Schattenkabinett von Voigt, sagt: Sondierungsgespräche solle ihre Partei auch mit der AfD führen, aus Respekt vor dem Wähler. Die «Pippi-Langstrumpf-Politik, in der man sagt: Die AfD ist ein böses Kind, mit dem darfst du nicht spielen», sei gescheitert. In den Kommunen geht es aufgrund der Stärke der AfD sowieso nicht mehr ohne gemeinsame Abstimmungen.

Merz sieht die CDU dennoch als «letztes Bollwerk aus der demokratischen Mitte gegen den rechtsextremen Populismus». Wie man es auch dreht und wendet: Auf irgendeine schmerzhafte Weise wird die CDU sich von Fesseln lösen müssen, mit denen sie selbst sich band.

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