Auf der Piste rasend schnelle Schweizer, daneben gelöste Massen und ein gelöstes Problem: Die Weltcup-Rennen in Crans-Montana verlaufen ganz und gar nach Drehbuch.
Wenn man nach Hollywood gefahren wäre vor den Weltcup-Rennen in Crans-Montana und dort einen Drehbuchautor aufgesucht hätte, der gerne die leichten, schönen Geschichten erzählt, dann wäre dem wahrscheinlich ungefähr das Folgende in den Sinn gekommen: Die Schweizer Skirennfahrer machen bei der Rückkehr in die Heimat einfach dort weiter, wo sie an den Weltmeisterschaften in Saalbach aufgehört haben. Bestimmt hätte der Drehbuchautor einen Einheimischen gewinnen lassen. Wahrscheinlich hätte er noch einen, zwei weitere Schweizer aufs Podest geschrieben. Der vielbeschworene Teamspirit, you know.
Am Samstag, in der Abfahrt von Crans-Montana, stehen dann drei Schweizer auf dem Podest. Am Sonntag, im Super-G, sind es zwei. Hollywood auf dem Haut-Plateau, wobei: Wahrscheinlich wäre dieses Drehbuch sogar in der Filmmetropole abgelehnt worden. Zu viel Kitsch.
Den Leuten, die tausendfach nach Crans-Montana gereist sind, macht das nichts aus. Sie mögen den Kitsch, sie können gar nicht genug davon kriegen. Sie freuen sich auch über die Klänge aus den Alphörnern auf dem Festplatz. Tragen Kappen, die dort ein Hersteller von Kräuterbonbons verteilt. Schunkeln zu Après-Ski-Hits mit.
Und natürlich schwenken sie im Zielraum tausendfach rot-weisse Fahnen, am Ende der Piste Nationale, wo einst schon Pirmin Zurbriggen abgeschwungen hatte, Peter Müller, Vreni Schneider, Erika Hess. All die Heldinnen und Helden der WM 1987, von denen bis heute im ganzen Land geschwärmt wird. 14 Medaillen, 8 goldene. Skigeschichte.
Die Heroen von heute tragen andere Namen, sie heissen Franjo von Allmen oder Alexis Monney, und der grösste Held von allen ist Marco Odermatt, der Nidwaldner, der mittlerweile mehr Weltcup-Siege eingefahren hat als Zurbriggen (45 gegenüber 40). Vor den Rennen in Crans-Montana sagte Odermatt, dass er die Bilder aus der Vergangenheit kenne, aber er sei nie einer gewesen, der gross in der Geschichte gestöbert habe.
Doppelsieg in Crans-Montana🇨🇭😁💪
Marco Odermatt gewinnt den Super-G vor Alexis Monney!
Herzliche Gratulation👏#swissskiteam pic.twitter.com/zVQTlQYwxV
— SwissSkiTeam (@swissskiteam) February 23, 2025
Bei der Konkurrenz rauchen die Köpfe
So ist das mit der jetzigen Generation im Schweizer Skiteam: Sie schreibt lieber ihre eigene Geschichte. Mit der Vergangenheit hält sie sich nicht lange auf. Jüngst gewann sie in Saalbach 13 WM-Medaillen. Am Samstag entscheidet von Allmen die Abfahrt für sich, vor Odermatt und Monney; es ist der erste Schweizer Dreifacherfolg in dieser Disziplin seit 1996. Am Sonntag ist Odermatt der Schnellste, vor Monney, und wahrscheinlich hätte es auch von Allmen wieder aufs Podest geschafft, wenn ihm nicht ein schwerer Fehler unterlaufen wäre.
Dort landet dafür der Italiener Dominik Paris, als einziger Nichteinheimischer am ganzen Wochenende. Als der Drittklassierte des Super-G danach gefragt wird, was es denn brauche, um den Schweizern wieder näher zu kommen, fällt ihm nur eines ein: «Ein bisschen schneller fahren.»
Die Köpfe rauchten schon ein wenig bei der Konkurrenz, schiebt Paris nach, und verwundern tut das kaum. In der Abfahrt feierten die Schweizer in diesem Weltcup-Winter in sechs Rennen vier Doppelerfolge und einen Dreifacherfolg, von 26 Rennen gewann das Männerteam 13. Es ist eine Dominanz fast wie zu Zurbriggens Zeiten.
Von Dominik Paris ist es nicht weit zu Nicolas Féraud, auch er steht am Sonntag im Zielraum von Crans-Montana – und strahlt über beide Backen. Féraud ist der Gemeindepräsident des Walliser Bergorts, der 2027 wieder die Ski-WM ausrichten wird. Die WM, zurück in Crans-Montana, 40 Jahre später, ein Marketing-Coup, so war das gedacht.
Die Weltcup-Woche hatte dann für Féraud mit Schlagzeilen wie jener begonnen, dass die WM in Crans-Montana «auf der Kippe» stünden; es geht um den Bau eines neuen Zielgebäudes, das für die WM benötigt wird, und um Einsprachen von Anwohnern, die dem Projekt seit längerem im Weg stehen. Es ist kein guter Moment für solche Presse, und es ist auch nicht das erste Mal, dass den Organisatoren in Crans-Montana derlei widerfährt. Im Vorjahr erregte die Drohung der FIS, Swiss Ski die WM wegen Vertragsstreitigkeiten zu entziehen, viel Aufmerksamkeit.
Aber am Sonntag steht Féraud, der auch Vizepräsident im WM-OK ist, da und verkündet, dass er sich das alles nicht besser hätte erträumen können. Die Schweizer Siege. Die rauschende Siegerehrung am Samstagabend auf der Place d’Ycoor, die ihn an 1987 erinnerte. Und vor allem ist die Sache mit der Einsprache aus der Welt. Das Bundesgericht hat ihr am letzten Mittwoch die aufschiebende Wirkung letztinstanzlich entzogen. Die Baubewilligung ist damit rechtskräftig, rasch sollen nun die Bagger auffahren.
The super-G world champ gets it DONE! 🤩
Marco Odermatt earns a win on home snow in Crans Montana! 🇨🇭#fisalpine pic.twitter.com/72pSIEzd8E
— Eurosport (@eurosport) February 23, 2025
Die Piste Nationale soll anforderungsreicher werden
Eigentlich gab es nur eine Sache, welche die Stimmung in Crans-Montana kurz trübte. Am Donnerstag, nach dem ersten Abfahrtstraining, stellte Marco Odermatt fest, dass die Strecke die leichteste sei, die er im Weltcup je befahren habe. Dominik Paris bezeichnete sie gar als «nicht WM-würdig».
In der Tat ist es so, dass die Piste Nationale am Wochenende kaum Zähne zeigte, das lag am warmen Wetter und an der Sonne, die den ganzen Tag auf den Rennhang schien. Auch am fehlenden Gefälle. Im nächsten Jahr, bei der WM-Hauptprobe, wollen die FIS-Verantwortlichen den Kurs anforderungsreicher gestalten.
Odermatt fährt am Ende trotzdem 180 Punkte ein, einfache Piste hin oder her. Der Gewinn des Super-G-Weltcups ist für ihn nur noch Formsache, und auch den Gesamtweltcup wird er wieder gewinnen, zum vierten Mal in Folge, ganz so, als sei das selbstverständlich. Aber genau das, betont Odermatt am Wochenende mehr als einmal, sei das alles eben nicht, seine Siege und die der anderen Schweizer: selbstverständlich. Es war ein berechtigter Einwurf. Nur hört ihn gerade kaum jemand.