Freitag, Oktober 11

Zum ersten Mal seit Kriegsbeginn hat Israels Luftwaffe grössere Angriffe auf ein zentrumsnahes Viertel in der libanesischen Hauptstadt geflogen. Ein Augenschein vor Ort, wo westlichen Besuchern Misstrauen entgegenschlägt.

Wo bis Donnerstagabend noch ein Gebäude stand, liegt jetzt ein gewaltiger Trümmerhaufen. Ein Bagger schiebt Betonstücke zur Seite. In der engen Gasse hängt eine Staubwolke. Junge Männer steuern ihre Motorräder an Schaulustigen und Helfern vorbei. Zwei zertrümmerte Autos liegen übereinander und bilden eine bizarre Skulptur aus verbogenem Blech, Schmutz und zerbrochenem Glas.

In der Nacht zuvor hatte Israels Luftwaffe in den Vierteln Basta und Ras al-Nabaa, nahe dem Zentrum von Beirut, mehrere Häuser bombardiert. Es war der erste grosse Angriff auf das Herz der libanesischen Hauptstadt seit Beginn des Krieges. Nun herrscht in der Stadt, deren südliche Vororte bereits seit Tagen jede Nacht angegriffen werden, eine Mischung aus Schock, Wut und Angst.

«Hier leben ganz normale Leute»

Zwar soll der Angriff Wafik Safa gegolten haben – einem hohen Hizbullah-Funktionär, der vor allem für die Aussenbeziehungen der Miliz zuständig ist. Doch nach Angaben lokaler Medien hat der Luftangriff den Kadermann offenbar verfehlt. Stattdessen kamen bei den Bombardierungen, die ohne Vorwarnung stattfanden, laut dem libanesischen Gesundheitsministerium 22 Menschen ums Leben. Über hundert wurden verletzt.

«Das ist ein Massaker», sagt Mohammed, ein Anwohner, dessen Bruder hier einen kleinen Laden betreibt und offenbar von Trümmerteilen verletzt wurde. Das vollkommen zerstörte Haus direkt an der Strasse sei zwar leer gewesen. Doch in den Gebäuden dahinter, die ebenfalls getroffen wurden, hätten Familien gewohnt: «Hier gibt es keine Waffenlager oder Ähnliches. Hier leben ganz normale Leute.»

Tatsächlich ist Basta ein typisches Beiruter Arme-Leute-Viertel. Enge Strassen führen wie Schluchten zwischen schlammfarbenen Wohnblöcken hindurch, in deren Erdgeschossen sich zumeist kleine Läden befinden. Vor dem Krieg verkauften hier Antiquitätenhändler gebrauchte Möbelstücke. Und als in Libanon vor ein paar Jahren Hyperinflation herrschte, waren die Juweliergeschäfte ein paar Strassen weiter heimliche Wechselstuben.

Der Angriff markiert für viele eine Zäsur

Warum ausgerechnet dieses Viertel zum Ziel eines Angriffs wurde, ist vielen Libanesen ein Rätsel. Zwar ist der Hizbullah in einigen Strassen präsent. Doch im Gegensatz zur Vorstadt Dahiye, wo die Institutionen der Truppe ihren Sitz haben, ist die Gegend um Basta und Ras al-Nabaa ein gemischteres Viertel. Vor vielen Häuserblöcken wehen die Fahnen der ebenfalls schiitischen Amal-Bewegung des Parlamentspräsidenten Nabih Berri. Sie ist zwar mit dem Hizbullah verbündet, betreibt aber eine eigenständige Politik.

Weiter südlich leben hingegen vor allem Sunniten. Die bisher von den Bomben verschont gebliebenen Ostbeiruter Christenviertel Ashrafieh und Badaro liegen auch gleich um die Ecke. Der Angriff markiert für viele Beiruter deshalb eine Zäsur. Zum ersten Mal fühlen sie, dass nicht nur die südlichen Vorstädte, sondern auch ihre eigenen Wohnviertel zu Zielen werden könnten.

Israel hingegen scheint entschlossen zu sein, Hizbullah-Mitglieder auch ausserhalb ihrer eigentlichen Stammlande zu jagen. In Libanon führt das zu einer Mischung aus Angst und Paranoia. Vor allem in den christlichen Gegenden, die bisher als sicher galten und wohin viele der Schiiten geflohen sind, geht die Furcht um, unter den Flüchtlingen könnten sich Hizbullah-Mitglieder befinden.

Westlichen Besuchern schlägt Misstrauen entgegen

In Basta hingegen herrscht vor allem Wut. Noch in der Nacht nach dem Angriff verjagte die lokale Amal-Miliz Schaulustige mit Schüssen in die Luft. Vor allem westlichen Besuchern schlägt Misstrauen entgegen. Viele der aufgebrachten und traumatisierten Bewohner trauen Ortsfremden nicht über den Weg und fürchten sich vor potenziellen Spionen. Immer wieder hört man von Reportern, die deshalb angegangen wurden.

Manche Anwohner hingegen geben bereitwillig Auskunft. Er werde sich davon nicht in die Knie zwingen lassen, sagt Amir Kobbani, ein älterer Mann, der auf dem Weg zum Freitagsgebet ist. «Wir alle hier unterstützen den Kampf gegen Israel.» Sein Sohn Omar, der gerade sein Management-Studium abgeschlossen hat, will trotz den Angriffen hierbleiben. «Wir haben keinen anderen Ort, wo wir hinkönnen», sagt Kobbani.

Allerdings dürfte sich das ändern, sollte die Gegend weiterhin zum Ziel von Angriffen werden. Für Libanon, das schon jetzt unter einer gewaltigen Flüchtlingskrise leidet, würde ein erneuter Exodus eine weitere Bürde bedeuten. Zudem könnte sich der Druck auf das kaputte Land erhöhen und damit auch auf den Hizbullah, dessen schiitische Stammklientel immer weiter in die Ecke gedrängt wird.

Ein langer Kampf

Ob sich die Miliz dadurch in die Knie zwingen lässt, ist jedoch ungewiss. Zwar hatte ihr derzeitiger Sprecher Naim Kassem kürzlich gesagt, er sei durchaus offen für einen Waffenstillstand – auch ohne ein Ende der Kämpfe in Gaza. In Israel stiess die Ankündigung der dezimierten Miliz bisher auf taube Ohren. Doch auch der Hizbullah selbst ist offenbar bereit, weiterzukämpfen. So bereitet sich die Truppe in Südlibanon anscheinend auf einen langen Abnützungskrieg am Boden vor.

Wie blutig dieser Kampf für beide Seiten werden könnte, zeigt sich auch in Basta. Unweit der Angriffsstelle erklingt mit einem Mal ein lautes Schreien und Wehklagen von einem der Balkone. Eine schwarzgekleidete Frau klammert sich an das Geländer. Die Männer in der Strasse blicken nach oben. «Sie hat offenbar ihren Sohn verloren», sagt einer von ihnen wenig später. «Er ist gefallen, unten im Süden.»

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