100 000 Besucher strömten übers Wochenende nach Zürich. Für die Zürcher Bevölkerung wäre es eine wunderbare Gelegenheit gewesen, um freundeidgenössisch ins Gespräch zu kommen.

Über den Graben zwischen Stadt und Land wird viel lamentiert. Städter und die Bewohner ländlicher Gebiete in der Schweiz hätten sich nicht mehr viel zu sagen.

Besuch vom Land

Über das vergangene Wochenende, von Freitag bis Sonntag, fand in Zürich das Eidgenössische Trachtenfest mit Umzug und zahlreichen Darbietungen auf diversen Plätzen statt. 7500 Trachtenleute reisten aus allen Landesteilen der Schweiz an. Die meisten von ihnen stammten aus ländlichen Gegenden, wie man im Gespräch mit ihnen unschwer feststellte: aus Uri, Schwyz, dem Thurgau, dem Berner Oberland oder aus Dörfern und Kleinstädten der Romandie.

Vor der Austragung in Zürich hatte der Grossanlass letztmals in Schwyz, 2010, stattgefunden. Damals nahmen noch 8000 Trachtenleute teil, doch es kamen weniger Zuschauerinnen und Zuschauer. 75 000 Besucher wurden damals gezählt, in Zürich waren es laut Schätzungen noch vor dem abschliessenden grossen Umzug am Sonntagnachmittag durch die Innenstadt 100 000 – 30 000 am Freitag, 70 000 am Samstag.

Dies ist eine respektable Zahl, doch müssen sich die Veranstalter und vor allem die Gaststadt Zürich vorwerfen lassen, dass noch einiges mehr dringelegen wäre. Vor vierzehn Jahren seien, so erzählen es Teilnehmer, die damals dabei waren, grosse Teile der Bevölkerung aus Schwyz und Umgebung anwesend gewesen, aber kaum Nichteinheimische.

Wo bleiben die Zürcherinnen und Zürcher?

In der Grossstadt Zürich war es umgekehrt. Vor welcher Festbühne man Platz nahm oder an welcher Essensausgabe man anstand, lokales Publikum war rar. Gesprochen wurden Berner, Innerschweizer oder Ostschweizer Dialekte, aber kaum Zürichdeutsch. Das typische Zürcher Publikum, das entweder, meist in teuren Markenkleidern gekleidet, Zeit findet, ganze Samstag- und Sonntagnachmittage Aperol Spritz und Craft-Beer zu schlürfen oder, eher aus dem linken Milieu stammend, an gefragten Orten halbstundenlang für Glace oder Kaffee ansteht, war so gut wie nicht vertreten.

Für Zulauf sorgten neben den Trachtenleuten und ihren Begleiterinnen und Begleitern Mitglieder von nichtschweizerischen Volkstanzgruppen. Sie bevölkerten mit ihren Angehörigen vor allem am Samstag die Stadt und traten ebenfalls auf verschiedenen Bühnen auf. Viele von ihnen leben schon jahrelang in der Schweiz, stammen aber oft aus mittel- und südosteuropäischen Ländern wie der Slowakei, Polen, Albanien oder sogar aus Japan. In Schwyz hatte es nur wenige Auftritte von solchen nichtschweizerischen Gruppierungen gegeben.

Erwartungen waren tief

Mitglieder eines Urner Trachtenvereins, die am Sonntag schon früh von ihrem Hotel am Goldbrunnenplatz Richtung Innenstadt zurückkehrten, äusserten sich gleichwohl positiv überrascht. Sie hätten noch mit «deutlich weniger Besuchern» gerechnet, sagten sie freimütig. Offensichtlich waren sie wie viele Trachtenleute mit geringen Erwartungen in die grösste Schweizer Stadt gekommen.

In den Zürcher Trams wiesen während mehrerer Wochen Plakate auf das bevorstehende Grossereignis hin. Auch brauchten sich die Organisatoren nicht über fehlende Medienberichte im Vorfeld zu beklagen. Max Binder, der Präsident des Organisationskomitees des Trachtenfestes, verdankte bei seiner Ansprache während des Festakts am Sonntagmittag auf dem Bürkliplatz explizit die breite Medienberichterstattung.

Offensichtlich reichte dies aber nicht aus, um mehr lokales Publikum anzulocken. Drei junge Zivilschützer aus Dietikon, die bereits am Sonntagmorgen damit beschäftigt waren, das Mobiliar am Sechseläutenplatz wegzuräumen, sagten, sie wären ohne ihr Aufgebot nie auf die Idee gekommen, ans Trachtenfest zu gehen. Zugleich fügte einer von ihnen umgehend hinzu: «Das ist schade, denn ein solcher Anlass könnte dazu beitragen, sich innerhalb der Schweiz besser kennenzulernen.»

Mit Geld allein ist es nicht getan

Wie Johannes Schmid-Kunz, der Geschäftsführer des Veranstalters Schweizerische Trachtenvereinigung, auf Anfrage vorrechnete, beteiligte sich die Stadt Zürich mit 800 000 Franken an der Finanzierung des Trachtenfests. Hinzu kamen laut seinen Angaben Leistungen im Gesamtwert von einer halben Million Franken, welche die Stadt nicht verrechnete. Dazu gehörten beispielsweise Strom oder die kostenlose Bereitstellung von Turnhallen, in denen Teilnehmer übernachten konnten. Weitere 900 000 Franken steuerte der Kanton Zürich bei, vom Bundesamt für Kultur gab es 150 000 Franken.

Zusammen mit den beiden privaten Hauptsponsoren, einem grossen Schweizer Versicherer und einem führenden Autoimporteur, erschienen die drei staatlichen Geldgeber auf jeder Wand, vor der die Trachtenleute zusammen mit Chören und Volksmusikgruppen auftraten. Und nirgendwo fehlte der Hinweis «Wir danken!».

Über der ETH weht die Regenbogenfahne

Allerdings wirkten die schmucklosen Festzelte eher steril, stellenweise wähnte man sich aufgrund ausgestellter Autos oder eines Verkaufsstands für Hörgeräte eher an einer Gewerbeausstellung als an einem freundeidgenössischen Volksfest. Auch hatten sich die Stadt und die meisten ihrer Institutionen kaum für die vielen Besucher aus der gesamten Schweiz herausgeputzt.

Anders als an den Stadtzürcher Feiertagen Sechseläuten und Knabenschiessen waren vergleichsweise wenige Gebäude beflaggt. Auf dem Dach des Hauptgebäudes der Eidgenössischen Technischen Hochschule wehte zwar eine Fahne im Wind, doch nicht die schweizerische, sondern jene in den Regenbogenfarben des Zurich Pride Festival, dessen Demonstrationsumzug schon zwei Wochen zuvor stattgefunden hatte.

Ungezwungene Stimmung

Versöhnlich zeigte sich zum Schluss das Wetter. Während des Umzugs am Sonntagnachmittag blieb es trocken, und für kurze Zeit zeigte sich sogar die Sonne. Am Samstagnachmittag war es noch schwülheiss gewesen, und gegen Abend musste das Trachtenfest gegen die Konkurrenz des Fussball-EM-Spiels Schweiz – Italien kämpfen. Diese Begegnung dürfte manche Interessierte von vornherein davon abgehalten haben, dem Fest einen Besuch abzustatten. Zudem war am Samstagabend auch noch die Rockband AC/DC zu Besuch in Zürich.

Wer sich trotzdem ins Festgetümmel stürzte, brauchte nichts zu bereuen – im Gegenteil. Die prächtigen, oft schon über Jahrzehnte von Generation zu Generation weitergegebenen Trachten waren wundervoll anzusehen, die meisten Gesangs-, Musik- und Tanzdarbietungen ein Augen- und Ohrenschmaus. Und es herrschte vor allem eine wunderbar ungezwungene Stimmung. Wer wollte, kam augenblicklich mit anderen ins Gespräch – über alle Stadt- und Landgrenzen hinweg.

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