Donnerstag, November 21

Die Verhandlungen verlaufen harzig. Warum der Schweizer Umweltbotschafter Felix Wertli trotzdem hoffnungsvoll bleibt.

Eigentlich gibt es zwei Realitäten an einer Uno-Klimakonferenz.

Die erste ist für sämtliche Konferenzteilnehmer zugänglich: Staaten, Unternehmen, Forschungseinrichtungen und Nichtregierungsorganisationen (NGO) bauen in einer grossen Messehalle ihre Stände auf, veranstalten Podiumsdiskussionen und Vorträge.

Die zweite spielt sich hinter verschlossenen Türen ab: Diplomaten verhandeln über ihre Ziele für den Klimaschutz, sprechen sich in kleinerer Runde ab, schmieden Geschäfte. In dieser Realität verbringt Felix Wertli gerade einen Grossteil seiner Zeit.

Wertli ist Umweltbotschafter, er führt zum zweiten Mal die Schweizer Delegation an einer Uno-Klimakonferenz. Wertlis Arbeitstage sind lang – die erste Besprechung startet morgens um 7 Uhr, an einem guten Tag endet die letzte gegen 22 Uhr. Da es in den Konferenzhallen kein Tageslicht gebe, habe er das Zeitgefühl verloren, sagt Wertli.

Die Uno-Klimakonferenz steht kurz vor ihrem Abschluss. Vergangene Woche verhandelten die Staatenvertreter technische Details, nun klären sie politische Streitigkeiten. Zum Ende dieser Woche soll in einer Abschlusserklärung ein neues Finanzziel für den Klimaschutz niedergeschrieben werden, welches drei Kernfragen klären soll. Wer zahlt? Wie ist das Ziel ausgestaltet? Und wie hoch soll es liegen?

Ob das gelingt, ist jedoch ungewiss. Wertli sagt: «Wir hatten einen holprigen Start.»

Aserbaidschans Präsident Alijew irritiert die Verhandler

Politische Nebengeräusche prägten die erste Verhandlungswoche. Aserbaidschans Präsident Ilham Alijew irritierte in seiner Antrittsrede, als er den Öl- und Gasreichtum seines Landes als «Geschenk Gottes» bezeichnete. Ebenso übte er Kritik am Umgangston des Westens: «Leider sind Doppelmoral, die Gewohnheit, andere Länder zu belehren, und politische Heuchelei zu einer Art Modus Operandi für einige Politiker, staatlich kontrollierte NGO und Fake-News-Medien in einigen westlichen Ländern geworden.»

Besonders stark bekamen die Franzosen den Groll zu spüren: Alijew sprach von «Verbrechen des Regimes von Präsident Macron», Frankreich habe im Frühling Proteste im Überseegebiet Neukaledonien gewaltsam unterdrückt. Es ist kein Zufall, dass Alijew genau Frankreich hervorhob. Paris pflegt diplomatische Verbindungen zu Armenien, Aserbaidschans Rivalen im Konflikt um Nagorni Karabach. Dass Frankreich die Armenier auch mit Waffen belieferte, hat Alijew nie verziehen.

Die französische Regierung reagierte empört auf die Ansprache, die designierte Verhandlungsführerin sagte ihre Reise nach Baku ab.

Wertli war von Alijews Rede überrascht: «Es ist unüblich, dass ein Gastgeberland das Rampenlicht so offen für politische Botschaften nutzt», sagt er. Im Verhandlungssaal vermeidet die aserbaidschanische Delegation laut Wertli zwar solche politischen Äusserungen, doch Alijews Rede habe viele Teilnehmer verärgert.

Die Staaten überladen den Prozess mit neuen Forderungen

In den diesjährigen Verhandlungen dreht sich alles um die Verabschiedung eines neuen Finanzziels.

Gemäss der bisherigen Vereinbarung sollen die Industrieländer jährlich 100 Milliarden Dollar für die Bekämpfung des Klimawandels mobilisieren, die Entwicklungsländer sind nicht in der Pflicht. Das Ziel läuft Ende Jahr aus, eine neue Grösse soll den Weg in eine ambitionierte Zukunft weisen.

Nach der verwendeten Definition von 1992 ist aber auch China ein Entwicklungsland. In der Realität zeigt sich das nicht mehr: China ist die zweitgrösste Volkswirtschaft der Welt und hat von allen Ländern die meisten CO2-Emissionen. Die chinesische Regierung versichert zwar, schon beträchtliche Summen für Klimaprojekte in Entwicklungs- und Schwellenländern gesprochen zu haben. Transparent ausweisen musste sie China bis anhin jedoch nicht.

Zwei Hauptforderungen werden in den Hintergrundgesprächen mit Verhandlungsvertretern als die grössten Knackpunkte bezeichnet.

Erstens: Die Industrieländer, unter ihnen die Schweiz, wollen die Anzahl der Geberstaaten erhöhen – China und die Golfstaaten sollen das Finanzziel mittragen.

Zweitens: Die Entwicklungsländer wollen mit einem deutlich höheren Finanzziel unterstreichen, wie dringlich die Lage ist. NGO und eine Allianz von Entwicklungsländern forderten im Vorfeld eine Verzehnfachung des derzeitigen Betrags auf 1 Billion Dollar jährlich.

Das Dokument, das am Anfang der Konferenz als Diskussionsgrundlage diente, wurde in der ersten Verhandlungswoche erheblich aufgebläht. Beim Start in die zweite Woche war es nicht mehr 9, sondern nun 25 Seiten lang. Felix Wertli bestätigt, dass zahlreiche Staaten mit neuen Forderungen zur Konferenz gereist seien, allen voran mit dem Wunsch eines möglichst hohen Finanzziels. Das sei der falsche Fokus, sagt Wertli: «Bevor wir darüber diskutieren können, wie hoch die Zahl realistischerweise sein kann, sollten wir klären, wer überhaupt dazu beiträgt und was die Berechnungsgrundlagen sind.»

Den Staatenvertretern stehen in den letzten Tagen des Klimagipfels knifflige Verhandlungen bevor. Manche NGO warnen gar davor, dass das Treffen ohne Übereinkunft enden könnte.

Die Hoffnung auf einen Impuls durch die Politik

Eine Uno-Klimakonferenz ohne Abschlusserklärung – es wäre eine Schmach, ähnlich wie 2009, als die Verhandler in Kopenhagen das Schlussdokument nur «zur Kenntnis» nahmen und den Veranstaltern so einen unrühmlichen Ruf verpassten.

An einem solchen Ausgang könne eigentlich niemand ein Interesse haben, sagt Wertli. Ihn stimmt positiv, dass sich China kooperationswillig gezeigt habe: «Die chinesische Delegation gab in ihrer Botschaft zu den Verhandlungen zum ersten Mal an, wie viele Mittel ihr Land nach eigenen Angaben für die internationale Klimafinanzierung aufwendet. Dies ist grundsätzlich positiv. Damit daraus ein globaler Effort wird, brauchen wir nun die Bereitschaft, dass China zum Finanzziel beiträgt.»

NZZ Planet A

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Ähnliche Warnungen der Nichtregierungsorganisationen gab es auch in den vergangenen Jahren, sie gehören zum normalen Zyklus einer Klimakonferenz dazu. Wie schwierig die Verhandlungen dieses Jahr wirklich sind, wird sich in den letzten Verhandlungstagen zeigen.

Wertli rückt dann in den Hintergrund. Bundesrat Albert Rösti wird am Donnerstag und Freitag in Baku zugegen sein. «Die Anwesenheit eines Bundesrates und Umweltministers gibt unserer Position mehr Gewicht und stärkt damit unsere Stimme», sagt Wertli.

Auch bei der deutschen Delegation wird ein bekannter Name an den Schlussverhandlungen teilnehmen. Aussenministerin Annalena Baerbock wird ab Mittwoch die Verhandlungen leiten.

Es ist ein typisches Muster an der Klimakonferenz: Die Botschafter leisten die Vorarbeit, die Minister übernehmen auf der Zielgerade. Die Umweltdiplomaten erhoffen sich von den Politikern einen Schub, damit die Verhandler am Wochenende zufrieden in ihre Länder zurückreisen können.

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