Mittwoch, Oktober 9

In entscheidenden Swing States wie Wisconsin und Michigan liegt Kamala Harris in Führung. Wer sich bei den dortigen Anhängern umhört, begegnet – insbesondere bei den Frauen – einer Atmosphäre der Euphorie.

Es sind ein paar wenige Swing States, die über den Ausgang der Präsidentschaftswahlen in den USA entscheiden werden. In einigen der umkämpften Gliedstaaten wie Wisconsin und Michigan sind die Demokraten in Führung. Man geht zudem davon aus, dass es die Frauen sein werden, die beim voraussichtlichen Kopf-an-Kopf-Rennen die entscheidende Rolle spielen. Sie gehen inzwischen häufiger an die Urne als die Männer, und das Thema Abtreibung dürfte dieses Mal eine zentrale Rolle spielen. Zudem hoffen die Demokraten, mit Kamala Harris zusätzlich Frauen für die Wahl mobilisieren zu können.

Wenn man mit Demokratinnen in Wisconsin und Michigan spricht, begegnet man einer Welle der Euphorie. «Seit Kamala Harris im Rennen ist, sind wir wie unter Strom gesetzt», sagt Angie Bell, die bei der Demokratischen Partei des Berrien County in Michigan für die Kommunikation zuständig ist. «Unser Puls rast.» In den letzten drei Wochen habe es in ihrem Büro in St. Joseph einen unglaublichen Andrang von freiwilligen Wahlhelfern und neuen Parteimitgliedern gegeben, sagt sie. Und so viele Leute wollten «Harris-Walz»-Schilder im Vorgarten aufstellen, dass man mit der Produktion gar nicht mehr nachkomme. Bei den Versammlungen gebe es inzwischen keine Stühle mehr, nur noch Stehplätze, weil die Räume sonst zu klein wären. Die Leute kämen sogar aus Indiana, um in Michigan zu helfen, weil der Gliedstaat so wichtig sei.

Hoffnung und Freude nach der Apathie

«Besonders eindrücklich ist, wie viele Junge sich melden, die sich sonst kaum in der Lokalpolitik engagieren», sagt Laura Goos, die stellvertretende Vorsitzende der Berrien-Demokraten. «Wir sind ja nicht sehr bedeutend. Ein ländliches, landwirtschaftlich geprägtes County, ein demokratisches Inselchen in einem republikanischen Meer. Und jetzt plötzlich dieser Boom!»

Auch Amy Scrima, die Vorsitzende der Demokraten des Berrien County, spricht von Hoffnung, Freude und Aufregung – nach einer bleiernen Phase der Apathie. «Das vorherrschende Gefühl war: Biden macht gute Arbeit, aber es kam keine Begeisterung auf, vor allem unter den Jungen nicht. Und auf einmal herrscht jetzt dieser ungeheure Optimismus.» Sie weist auf ein Mädchen, das im Hintergrund ein Plakat für Harris malt. «Sie ist elf Jahre alt und will, dass eine Frau gewählt wird. Ist das nicht wahnsinnig motivierend?»

«Nehmen wir meinen Sohn als Beispiel», sagt Laura Goos. «Er ist zwanzig und sagte mir vor ein paar Wochen, er werde für Biden stimmen, aber ohne Begeisterung. Biden sei älter als Opa, sagte er, und er könne sich nicht vorstellen, dass Opa als Präsident kandidieren würde.» Aber Harris könne die Generation Z abholen, da brauche es gar keine Überzeugungsarbeit mehr. «Die Jungen können oft kaum ihre Miete bezahlen, und auf die Idee, dereinst ein Haus zu kaufen, kommen sie schon gar nicht mehr. Und jetzt ist dank Harris bezahlbares Wohneigentum plötzlich ein Thema und rückt wieder in den Bereich des Möglichen.»

Seit Hillary Clinton haben sich die Zeiten geändert

Ähnlich äussert sich Jennifer Ziolkowski. Sie ist in den Dreissigern und engagiert sich in der Ausbildung von Freiwilligen. Sie spricht vom «Momentum»: «Leute in meiner Altersgruppe erleben zum ersten Mal seit Obama, das jemand sie begeistert. Mit Biden war es eher so, dass man nicht für, sondern gegen jemanden stimmte. Es ging darum, mit Biden Trump zu verhindern.» Jetzt aber sei es ein Pro-Statement, für Harris, sagt Ziolkowski. «Harris ist lustig, versprüht Freude, ist nahbar. Sie tanzt, sie lacht, sie trägt nicht diese steife, ernste Politikermaske. Sie ist real, jemand wie wir.» Der Kontrast zu Trump könnte nicht grösser sein, sagt sie. «Unsere Botschaft ist positiv, wir schauen vorwärts. Trumps Botschaft ist negativ. Sie beruht auf Abwehr, auf Angst vor Veränderung.»

Oft wird Kamala Harris mit Hillary Clinton verglichen, die bei der Wahl von 2016 gegen Trump unterlag. Aber die meisten sind sich einig, dass sich die Zeiten geändert haben. «Was damals ein Nachteil war, ist heute eher ein Vorteil», sagt Laura Goos. Sie war bis vor kurzem Bürgermeisterin von St. Joseph. «Es war hart», sagt sie. «Ich wurde viel strenger beurteilt als ein Mann, alles wurde infrage gestellt. Aber trotzdem: Vieles hat sich verbessert.» Harris stehe für Offenheit, Diversität, Chancengleichheit und Fortschrittlichkeit, sagt Goos. Trumps chauvinistische Sprüche, die vor acht Jahren noch funktionierten, wirkten heute für viele nur noch gestrig und ältlich. Vor allem aber sei Harris ein Vorbild für all die Mädchen und jungen Frauen, die auch einmal Verantwortung übernehmen wollten.

Nichtwählerinnen gehen jetzt auf einmal an die Urne

Jennifer Ziolkowski pflichtet ihr bei. «Vieles, was man gegen Hillary Clinton vorbrachte, hing mit unbewussten Vorurteilen gegen Frauen zusammen», glaubt sie. Aber die Aufhebung des Rechts auf Abtreibung wende sich nun gegen die Republikaner. Sie erwähnt als Beispiel für die Mobilisierung der Frauen eine Freundin, die seit fünfzehn Jahren wählen könnte, aber sich erst jetzt registriert habe, weil sie so frustriert gewesen sei über das Kippen von «Roe v. Wade». «Viele Männer realisieren, dass es früher oder später auch sie treffen wird», sagt sie. «Es beginnt bei den Frauen, aber es hört nicht dort auf. Man wird die Rechte von einer Bevölkerungsgruppe nach der anderen beschneiden.»

Was denken die Frauen über die oft zitierte Polarisierung in der Gesellschaft? «Die Teilung kommt von oben; von den Politikern und den Medien. Sie ist künstlich und absichtlich herbeigeführt», sagt Amy Scrima. «Wir sollten uns nicht gegeneinander aufhetzen lassen, denn eigentlich wollen wir alle dasselbe: Sicherheit, Chancen für uns und unsere Kinder, Gerechtigkeit, Freiheit und eine saubere Umwelt.»

Laura Goos erwähnt einen Mann, der kürzlich das Büro der Demokraten in St. Joseph aufgesucht und sich als «ernüchterten Republikaner» bezeichnet habe. Er hatte sein Leben lang konservativ gewählt, aber nun habe er genug von Trump und wolle für Harris stimmen. «Ich bin müde vom Hass und vom Gift», sagte er. «Ich bin erschöpft und will einfach wieder normale Gespräche führen, so wie früher.»

«Viele Frauen wählen Harris, aber sagen es ihrem Mann nicht»

Ähnlich klingt es aus Wisconsin. Dottie LeClair steht dem Frauenausschuss der Demokratischen Partei von Wisconsin vor und lebt in der Kleinstadt Appleton. Sie kenne mehrere Frauen, sagt sie, deren Mann für Trump stimme. «Sie selbst werden Harris wählen, aber ihrem Gatten nichts davon sagen.» Man werde staunen, meint sie, wie viele Frauen das Abtreibungsverbot, Trumps Sexismus und J. D. Vances abschätzige Bemerkungen über kinderlose «cat ladies» an die Urne treiben würden. Denn keine Frau habe Lust darauf, in die 1950er zurückkatapultiert zu werden. Sie erinnert daran, dass in den USA eine Frau erst 1974 das Recht hatte, einen Kredit aufzunehmen.

Trumps Fremdenfeindlichkeit sei zutiefst unamerikanisch, sagt sie. Sie seien alle Immigranten und Mischlinge. «Würde er auch seine Frau nach Slowenien zurückschicken?», fragt sie. Die einzigen «natives» seien die Indianer. Sie wären die Einzigen, sagt sie, die das Recht hätten, alle, die nach ihnen kamen, aus dem Land zu jagen.

Die vielbeschworene Polarisierung zwischen Demokraten und Republikanern empfindet sie als oktroyiert. «In Wisconsin, vor allem im Norden, gibt es viele Unabhängige, die sich nicht auf eine Partei festlegen möchten», sagt sie. «Viele von ihnen gingen überhaupt nicht wählen. Man kann ziemlich sicher sein, dass sie dieses Mal für Harris stimmen werden.»

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