Dienstag, Oktober 15

Die Landesregierung macht am Mittwoch eine Klausur zur Neutralität. Es ist die zweite in zwei Jahren.

Bundespräsidentin Viola Amherd empfängt am Mittwoch Denis Schmihal, den ukrainischen Ministerpräsidenten, zu einem Arbeitsbesuch in Bern. Das Treffen findet am Rand der sogenannten Ukraine Mine Action Conference statt. Am Donnerstag und Freitag treffen sich über fünfzig Staaten und Organisationen in Lausanne, um über die Minenräumung in zivilen Gebieten zu diskutieren.

In diesem Bereich will die Schweiz heute schon mit Geld (100 Millionen Franken für vier Jahre) und Fachwissen dazu beitragen, das kriegsversehrte Land wieder aufzubauen. Die Schweizerische Stiftung für Minenräumung etwa ist seit bald zehn Jahren in der Ukraine aktiv und – im wahrsten Sinn – direkt vom Krieg betroffen. Im Juli wurde ein Bürogebäude in Charkiw von einer Rakete getroffen.

Drei Referate

Schmihal wolle sich für die Unterstützung der Schweiz bedanken, heisst es in Bundesbern. Bei dem bilateralen Treffen gehe es auch darum, sich über die mittel- und langfristige Beziehung der beiden Länder auszutauschen. Dass man die Bedeutung des Treffens auf Schweizer Seite eher kleinredet, deutet darauf hin, dass das Verhältnis zwischen den beiden Ländern auch schon besser war.

In Kiew zeigte man sich verstimmt, dass die Schweiz offen ist für eine Friedensinitiative von China und Brasilien. Zudem verschiebt sich der mediale und diplomatische Fokus immer stärker in Richtung Naher Osten. Und alle Welt blickt in die USA, wo im November die Präsidentschaftswahlen stattfinden.

Während sich die geopolitische Nachrichtenlage schnell verändert, diskutiert die offizielle Schweiz, wie sie sich zum Weltgeschehen verhalten soll. Ausgerechnet am Mittwochvormittag, also ein paar Stunden vor dem Besuch Schmihals, soll der Bundesrat unter der Federführung von Präsidentin Amherd eine Klausur abhalten über die Guten Dienste, die Sicherheit und die Neutralität der Schweiz. Dies bestätigen mehrere Quellen.

Demnach sollen drei Referate geplant sein. Der Armeechef Thomas Süssli, der Staatssekretär Markus Mäder sowie der Nachrichtendienstchef Christian Dussey sollen zu den Bundesräten sprechen. Dazu gibt es ein Aussprachepapier aus dem Aussendepartement über die Guten Dienste der Schweiz. Die Übungsanlage bleibt dabei vage. Fest steht: Amherd verfolgt weiterhin ihre Politik der Annäherung an die Nato. Die Klausur dürfte ein weiterer Zwischenstopp werden, bei dem die Mitte-Bundesrätin die Mehrheiten im Bundesrat ausloten kann.

Die Basis für die Auslegeordnung, so heisst es, sei nach wie vor der Zusatzbericht über die Folgen des Kriegs in der Ukraine, den die Landesregierung schon im September 2022 gutgeheissen hatte. Auch der Bericht, den neulich die Studienkommission Sicherheitspolitik vorgestellt hat, soll in die Klausur mit einfliessen. Die Empfehlungen der Kommission seien aber lediglich als Anregungen gemeint und nicht als verbindlich zu betrachten, sagt eine Quelle aus dem Verteidigungsdepartement.

Aktiv, kooperativ – und jetzt?

Die Kommission empfiehlt dem Bundesrat, die Neutralitätspolitik zu revidieren und «die im September 2022 abgebrochene Diskussion über die Anpassung der Neutralität rasch wieder aufzunehmen». Damals war es Ignazio Cassis, der als Bundespräsident die Neutralität neu definieren wollte. Mit der sogenannten «kooperativen Neutralität» verband er die Idee, dass sich auch ein neutraler Staat wie die Schweiz positionieren soll, wenn ein klarer Fall von völkerrechtswidrigem Angriffskrieg vorliegt.

Cassis scheiterte, ebenfalls nach dem Einsatz einer Arbeitsgruppe und einer Bundesratsklausur. Seine Kollegen liessen ihn auflaufen. Weder die SVP-Bundesräte noch jene von der SP wollten von der «kooperativen Neutralität» etwas wissen. Amherds Studienkommission geht nun in eine ähnliche Richtung wie damals Cassis. Demnach soll die Neutralität stärker an der Uno-Charta ausgerichtet werden, wonach die Schweiz in ihrer Haltung zwischen dem Aggressor und dem Opfer unterscheiden soll.

Ob der Bundesrat nach seiner zweiten Neutralitätsdebatte innert gut zweier Jahre einen Schritt weiter ist? Die Konstellation hat sich in dieser Frage jedenfalls geändert. Mit Alain Berset und Simonetta Sommaruga hielten beide SP-Bundesräte damals am Konzept ihrer Genossin Micheline Calmy-Rey fest. Die frühere Aussenministerin prägte den Begriff der «aktiven Neutralität». Aktiv, kooperativ – Amherd hat es bis jetzt vermieden, ein eigenes Adjektiv zu prägen.

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