Sein Aufstieg war von Gewalt geprägt, geschadet hat das Sean Combs bisher nicht. Nun aber haben mehr als hundert mutmassliche Opfer Anklage erhoben. Sie werfen ihm sexuelle Gewalt bis hin zu Vergewaltigung vor.
Sean Combs’ Haare und Bart, einst tiefschwarz, sind jetzt grau. Haarfärbemittel sind im Metropolitan Detention Center nicht erlaubt. Es gibt hier einen Telefonanschluss, über den er mit dem Rapper Kanye West und mit seinen Kindern Kontakt hält. Letztere sangen ihm an seinem 55. Geburtstag im November ein Ständchen. «Danke, dass ihr alle stark seid, und danke, dass ihr an meiner Seite seid», sagt Combs in einem von seiner Familie geposteten Video. Er sitzt seit September in Untersuchungshaft. Am 5. Mai beginnt sein Prozess mit der Auswahl der Jury: Die Vereinigten Staaten von Amerika gegen Sean Combs aka «Puff Daddy» aka «P. Diddy» aka «Diddy» aka «PD» aka «Love».
Die Basis für die Verhaftung von Sean Combs ist eine 14-seitige Anklageschrift. Der Rapper und Rap-Produzent soll Menschen sediert, bestochen, bedroht, geschlagen, eingesperrt und zu sexuellen Handlungen gezwungen haben. Zusätzlich zu den strafrechtlichen Anklagen ist Combs mit mehr als hundert Zivilklagen konfrontiert, in denen er des sexuellen Missbrauchs beschuldigt wird. Manche der Klägerinnen und Kläger waren zum angegebenen Zeitpunkt noch minderjährig. Die Tatbestände gehen bis in die frühen neunziger Jahre zurück.
Kriminelles Unternehmen vor sexualisierter Gewalt
Das Zentrum der Anklageschrift ist Punkt 1: Über elf Seiten hinweg wird das systematische, geschäftsmässige, kriminelle Vorgehen von Combs und den Mitarbeitern seiner Unternehmen herausgearbeitet. Mit vereinten Kräften hätten sie das Ziel verfolgt, die Wünsche des Angeklagten zu befriedigen. Die Staatsanwaltschaft wirft Combs vor, ein «kriminelles Unternehmen» (die Produktionsfirma «Combs Enterprises») geleitet zu haben. Damit stellt die Staatsanwaltschaft diesen Aspekt in den Vordergrund und eben nicht die – wie vergangene Prozesse zeigen – schwer dingfest zu machende sexualisierte Gewalt.
Zentral ist dabei die Beschreibung der sogenannten «Freak-offs»: «aufwendig produzierter Sexdarbietungen», die Combs regelmässig nach seinen «White Partys» und zum Teil über Tage hinweg inszeniert habe, während deren er masturbiert und die er aufgezeichnet habe. Vermutlich hat die Staatsanwaltschaft Videobeweise. Zu diesem Zweck hätten Mitarbeiter von Combs’ Unternehmen Sexarbeiterinnen über die Staatsgrenzen hinweg transportiert oder transportieren lassen. Combs und seine Mitarbeiter hätten das Ansehen seiner Unternehmen benutzt, um «weibliche Opfer» anzulocken und zur Teilnahme an den «Freak-offs» zu bewegen. Ausserdem habe Combs sie erpresst. Zur Einschüchterung seien Schusswaffen getragen worden, mit entfernter Seriennummer (Schwarzmarkt).
Combs war der Erste
In einem Unterpunkt der Schrift werden Combs’ weitere Unternehmen definiert: die Plattenfirma Bad Boy Records, eine Kleiderfirma, eine Alkoholfirma, eine Marketingagentur, ein Fernsehsender. Und wenn man Bad Boy Records liest, fällt einem spätestens wieder ein, welche grosse Bedeutung Combs vor 20, 30 Jahren einmal hatte.
Er war der erste Rap-Produzent, der begriff, wie man diese Musik in den Mainstream bringt. Er wurde bekannt für seinen Gatsby-artigen Appetit auf Spektakel. Er verkehrte mit Martha Stewart, Salman Rushdie, Oprah Winfrey und Donald J. Trump. Alle möglichen Berühmtheiten und politischen Persönlichkeiten besuchten seine verschwenderischen Partys, bei denen manchmal alle Weiss trugen und manche nur sehr wenig. Er war ein Meister der Markenbildung und spielte eine zentrale Rolle bei der Entwicklung des Hip-Hops zu einer globalen kulturellen Kraft.
Combs wuchs bei seiner Mutter, Janice Combs, in Mount Vernon, New York, auf. Er besuchte die Mount Saint Michael Academy, eine römisch-katholische Highschool in der Bronx, und studierte Wirtschaft an der Howard University, organisierte währenddessen vor allem Partys. 1992 gründete er Bad Boy Records. Combs griff die brodelnde Mischung aus Rap und R&B auf und machte daraus einen kommerziellen Sound. Seine Künstler waren immer herausragend gut – sein Freund und Schützling Notorious B.I.G. und Mary J. Blige zum Beispiel.
Gewalt war stets Teil seiner Karriere
«Remember how fly Mozart was back in the day? I’m Mozart 1997», sagte er damals zur «Times». So einflussreich wie Mozart zu seiner Zeit gewesen sei, sei er jetzt. Diejenigen, die Combs einfach als arrogant abtaten, übersahen das Wesentliche. Er machte die glamouröse Performance zu einer eigenen Kunstform und zu einem Mittel, um zu beweisen, dass es keine geografischen oder kulturellen Grenzen gibt für Hip-Hop.
Gewalt oder deren Androhung waren immer auch Teil seiner Geschichte. 1996 wurde Sean Combs verurteilt, weil er einen Fotografen mit einer Pistole bedroht hatte, er musste eine Geldstrafe von 1000 Dollar zahlen. Er hat Jahrzehnte damit verbracht, Spekulationen zu entkräften, dass er irgendeine Rolle in dem Streit zwischen Notorious B.I.G. und Tupac Shakur gespielt habe, der zum Tod beider führte. Vergangene Prozesse überstand er ungeschoren (Zeugen waren sich uneinig, wer nun geschossen hatte) oder mit nur geringen Strafen (einem Tag «anger management»).
Die Klage, die die Ermittlungen und schliesslich den zu erwartenden Mammutprozess angestossen hat, ist jene von Casandra Ventura aus dem Jahr 2023. Die Sängerin beschuldigte Combs der Vergewaltigung und des wiederholten körperlichen Missbrauchs über einen Zeitraum von zehn Jahren. Im Mai letzten Jahres strahlte CNN die Aufnahmen einer Überwachungskamera von 2016 aus. Sie zeigen, wie eine Frau eilig zum Etagenaufzug des Hotels läuft. Bis sie von einem Mann eingeholt, brutal im Nacken gepackt und umgerissen wird. Combs schlägt und tritt Ventura. Das Hotelvideo änderte alles. Selbst die Anwälte von Combs haben zugegeben, wie die «New York Times» schreibt, dass sich durch die Aufnahme «die öffentliche Meinung sofort und dramatisch» gegen ihn gewendet habe.
Trotzdem heisst es seitens der Anwälte, Combs freue sich nun darauf, vor Gericht seine Unschuld zu beweisen. Die Eröffnungsplädoyers in einem voraussichtlich achtwöchigen Strafprozess sollen am 12. Mai beginnen. Bei einem Schuldspruch droht Sean Combs eine langjährige Haftstrafe.