Mittwoch, April 23

Die Ordnung ist zusammengebrochen, Städte brennen. Die Rebellenarmee rückt nach Washington vor, um den Präsidenten zu stürzen. Ein Film wie ein posttrumpisches Stresssyndrom.

Folgendes Szenario: Amerika ist gespalten. Jetzt aber so richtig. Polarisierung im Endstadium. Die Leute schiessen nicht mehr nur in sozialen Netzwerken gegeneinander, sie schiessen jetzt wirklich. Wie sagte Trump neulich? Ein «Blutbad» könnte bevorstehen. Hier ist das Blutbad.

«Civil War», der neue Film von Alex Garland, geht den finalen Eskalationsschritt. Das Land ist im Bürgerkrieg. Die Gliedstaaten Texas und Kalifornien haben sich zu den «Western Forces» zusammengeschlossen, Florida führt ausserdem eine Separatistenallianz.

Die Lage ist unübersichtlich, die Ordnung in weiten Teilen des Landes zusammengebrochen. Städte brennen. Von überall rücken Rebellenarmeen nach Washington vor, sie wollen den offenbar totalitär regierenden Präsidenten (Nick Offerman) stürzen. Tot oder lebendig. Vorzugsweise tot.

Journalisten sind Freiwild

Den aufständischen Truppen angeschlossen haben sich: die Kriegsfotografin Lee (Kirsten Dunst), die das letzte Bild des Staatsoberhaupts schiessen möchte. Und stets an ihrer Seite der Reporter Joel (Wagner Moura), dem ein Interview mit dem Präsidenten vor seinem Sturz vorschwebt. Spontan kommt noch ein altes Journalisten-Schlachtross (Stephen McKinley Henderson) hinzu. Und eine junge angehende Kriegsfotografin (Cailee Spaeny) erbettelt sich ebenfalls einen Platz in Lees SUV, auf dem gross «Press» steht.

Ob die Aufschrift schützt auf den Strassen Richtung Washington, weiss niemand. Überall muss man mit Plünderern rechnen. Spätestens in der Hauptstadt sind Journalisten Freiwild. «They shoot journalists on sight at the capital», sagt jemand. Aber die tollkühnen Medienschaffenden lassen sich nicht stoppen. Für die Story riskieren sie alles. Nur, wieso eigentlich? Das ist das erste Fragezeichen, das über diesem Film schwebt.

Denn so wie sich das Land präsentiert, ist mit Journalismus ja längst nichts mehr zu retten. Wer holt morgens die Zeitung, wenn in den Strassen schon die Panzer patrouillieren? Offenbar gibt es zwar einige Versprengte wie Lees Vater, die irgendwo im Hinterland von Colorado die Augen vor der Realität verschliessen. Aber Lee wird noch so spektakuläre Fotos schiessen können: Wer druckt die noch ab? Und selbst wenn dem Printjournalisten Joel der Scoop gelingen sollte, den Präsidenten zu interviewen: Man kann sich nicht vorstellen, dass in diesem apokalyptischen Amerika eine Leserschaft auf eine leitmediale Einordnung wartet.

Aber vielleicht ist das zu spitzfindig, Déformation professionnelle. Das Problem ist grundsätzlicher. «Civil War» weicht den grösseren Zusammenhängen aus. Die Ausgangslage ist zwar fulminant: Ein moderner Sezessionskrieg ist der Stoff der Stunde. Doch Garland abstrahiert die Prämisse so gründlich, dass sie ihre Dringlichkeit komplett verliert.

Totaler Nihilismus

Hier bekriegen sich keine Demokraten und Republikaner. Parteibücher interessieren offenbar längst nicht mehr. Es geht nicht um Trump. Wenn, dann ist der Film ein posttrumpisches Stresssyndrom. Dass sich ausgerechnet das konservative Texas und das aufgeweckte Kalifornien zusammengeschlossen haben, hilft es zu veranschaulichen: Ideologische Grabenkämpfe waren gestern, am Ende hat die Radikalisierung in den totalen Nihilismus geführt.

Unterwegs nach Washington muss Lees Fahrgemeinschaft brenzlige Situationen überstehen. Einmal trifft man auf zwei Scharfschütze – einer mit bunten Haaren: Das Gespann soll wohl Queerness repräsentieren. Die Soldaten sind in ein Fernduell verwickelt mit jemandem, der aus einer Farm heraus auf sie feuert. Lies: konservatives Amerika contra wokes.

Doch das ist nur eines von diversen Bedrohungsszenarien. Das Drehbuch ist sichtlich bemüht, nicht einen spezifischen Konflikt hervorzuheben. Die Versuchsanordnung will vage bleiben.

So gerät das Quartett auch an einen Psychopathen in Armeeuniform (Jesse Plemons), der gerade eine Lastwagenladung voller Leichen in ein Massengrab schüttet: Sie seien Amerikaner, versucht Joel den Kerl zu beschwichtigen. «What kind of American are you?», fragt der Mann und fuchtelt mit der Maschinenpistole. Bei jeder Antwort, die ihm nicht passt, drückt er ab, so viel ist klar. Doch welche Antwort ist die richtige? Aus welcher Gegend muss man sein, um noch als «richtiger» Amerikaner durchzugehen? Es stellt sich als die reine Lotterie heraus. Und am Ende muss ein zufällig anwesender Chinese dran glauben.

Darin steckt keine Pointe. Der Film flüchtet sich in die Beliebigkeit – was ihn erst recht reisserisch macht. Denn die Ausgangslage schreit nach Aufmerksamkeit, Kontroverse; ein Film behauptet Relevanz. Der Regisseur Garland gibt ihm aber keine. In Interviews betont er, dass es um den gesellschaftlichen Kollaps gehe. Nirgends sei man immun dagegen. «‹Civil War› ist kein Film über Amerika», sagt er. Das trifft den wunden Punkt. Natürlich ist das ein Film über Amerika. Aber es ist ein unpolitischer Film. Und als solcher ist er viel zu egal.

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