Dienstag, November 26

Trump hat gesiegt. So klar, wie es niemand erwartet hätte. Was heisst das? Und wie wurde die amerikanische Politik zum permanenten Grabenkampf? Der Politikwissenschafter Stephan Bierling zeichnet nach, wie sich die Mechanik des Regierens in den USA verändert hat.

Donald Trump wird der 47. Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika sein. Mit dieser historischen Wahl war die «Rebellion» gegen die amerikanische Demokratie und den Liberalismus abermals erfolgreich. Die USA sind ein tief gespaltenes Land. Wie gross die gesellschaftlichen Gräben sind, hat sich bereits im Wahlkampf gezeigt. Die amerikanische Demokratie steht vor einem Stresstest. Die Weltordnung unter der Führung der USA zerbröselt.

Zerlegt sich das Land unter «Trump II» selbst? Wie konnte es so weit kommen? Und was bedeuten diese Entwicklungen für das politische System der USA? Diesen Fragen geht der deutsche Politikwissenschafter Stephan Bierling in seinem Buch «Die Unvereinigten Staaten von Amerika» nach. Bierling ist Professor für internationale Politik und transatlantische Beziehungen an der Universität Regensburg und gilt als Fachmann, wenn es um die USA geht.

Gleich zu Beginn schreibt er: «Dass die USA einmal zu den bedrohten Demokratien zählen würden, hätte noch vor wenigen Jahren kaum ein Beobachter prophezeit.» Schliesslich feiert die amerikanische Demokratie am 4. Juli 2026 ihren 250. Geburtstag. Ihre Verfassung, die älteste noch gültige der Welt, stamme aus dem Jahr 1788. Bierling erinnert daran, dass die USA einen blutigen Bürgerkrieg, zwei Weltkriege, eine Depression durchlebt hätten – und trotzdem an der Demokratie festgehalten hätten.

Verfeindete Stämme

Und ja, Amerika geriet immer wieder auf «innen- und aussenpolitische Abwege», hetzte während der McCarthy-Jahre gegen angebliche Kommunisten, verstrickte sich unter anderem in den Vietnam- und den Irakkrieg und verletzte im Anti-Terror-Kampf nach 9/11 die Menschenrechte in Abu Ghraib und Guantánamo. «Aber jedes Mal», hält Bierling fest, «schafften es die USA, solche kapitalen Fehler zu korrigieren.»

Gleichwohl zeigte kein Präsident in der Geschichte der USA weniger Respekt vor der Verfassungsordnung und liess mehr autoritäre Tendenzen erkennen als Trump. Die Kernthese von Bierlings Buch lautet, dass die parteipolitische Polarisierung mittlerweile alle Träger, Verfahren und Institutionen der amerikanischen Demokratie erfasst habe: Gesellschaft, Interessengruppen, Think-Tanks und Medien, Parteien, Legislative und Exekutive, die Gerichtsbarkeit und die Interpretation der Verfassung.

Dadurch, so Bierling, hätten sich die Mechanismen des Regierens grundlegend verändert. Was das konkret bedeutet, analysiert er in beeindruckender Tiefenschärfe. Ausgehend von den Ideen der Verfassungsväter, die mit dem System der machtbeschränkenden «checks and balances» die Mässigung als Kernprinzip festgeschrieben hätten, erfasst Bierling in elf Kapiteln die neuen Dynamiken der amerikanischen Politik und legt ihre Folgen für das politische System dar.

Im Bund und in den Einzelstaaten stehen sich Republikaner und Demokraten wie verfeindete Stämme gegenüber, unwillig zum Kompromiss. Die Lähmung, der «gridlock», dominiert Washington. Die Folge: «Das Regierungssystem gerät aus dem Lot, die Gesetzgebung stockt, das Weisse Haus regiert über Direktiven zunehmend am Parlament vorbei, formale Abläufe werden hemmungslos politisiert.» Bierling spricht von einem «permanenten Grabenkampf». Der Titel des Buches – «Die Unvereinigten Staaten von Amerika» – mag wenig originell sein. Doch er ist eine akkurate Zustandsbeschreibung der USA.

Angst vor der Zukunft

Denn in den vergangenen sechzig Jahren seien in der amerikanischen Gesellschaft drei grosse Konfliktlinien aufgebrochen – entlang von «race», Religion und Lebensqualität. Diese Kluft manifestiere sich auch geografisch: In Städten leben tendenziell besser Gebildete, Gutverdienende und Jüngere, die häufig Minderheiten angehören und günstige Lebensaussichten haben. Auf dem Land lebten die schlecht Gebildeten, die wenig Verdienenden und die Älteren, die meist weiss seien und Zukunftsängste hätten.

Städter wählen überproportional demokratisch, Landbewohner republikanisch. Soziokulturelle Identitäten decken sich weitgehend mit politischen Präferenzen. Und das nicht erst seit kurzem. Diese geografische Polarisierung nimmt seit den 1970er Jahren stetig zu. Die Spaltung in Identitätsgruppen, der Verlust von Toleranz und Mässigung seien über viele Jahrzehnte gewachsen und hätten sich langsam, aber tief in die Gesellschaft gefräst, hält Bierling fest. Das hat Konsequenzen: «Polarisierung erzeugt Polarisierung», zitiert er den «New York Times»-Journalisten Ezra Klein und resümiert: «Die Polarisierung wird auf absehbare Zeit die Norm in der amerikanischen Politik bleiben.»

«Die Unvereinigten Staaten von Amerika» ist ein exzellent geschriebenes, gehaltvolles und anregendes Buch. Sachlich und präzis veranschaulicht Bierling die Grundlagen des politischen Systems der USA. Besonders nach der Wahl lohnt sich die Lektüre. Wer wissen möchte, wie und warum sich die USA so entwickelt haben, wird in diesem Buch fündig. Ob Amerika über genügend «Selbstheilungskräfte» verfügt, um die innere Krise seiner Demokratie zu überwinden und wieder als Führungsmacht des freien Westens zu wirken, bleibt abzuwarten.

Stephan Bierling: Die Unvereinigten Staaten von Amerika. Das politische System der USA und die Zukunft der Demokratie. C.-H.-Beck-Verlag, München 2024. 336 S., Fr. 41.90.

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