Sonntag, November 24

Die Pläne der beiden Präsidentschaftskandidaten ähneln sich vielfach in ihrem vagen Populismus. Doch Trumps grosse Wahllüge trennt sie scharf. Auch den Republikanern ist deshalb ein Generationenwechsel zu wünschen.

Die Amerikanerinnen und Amerikaner sind nicht zu beneiden. Am Dienstagabend endet ein Wahlkampf, der ihnen nur zwei schlechte Optionen bot. Zwar können beide Kandidaten auf eine begeisterte Gefolgschaft zählen. Doch diese reicht nicht weit. Über die gesamte Bevölkerung gesehen, sind Trump wie Harris ziemlich unbeliebt.

Kamala Harris stammt aus einem weit links politisierenden Milieu Kaliforniens, dessen Werte eine Mehrheit der Amerikaner ablehnt. Die späte Zuwendung zu den Mitte-Wählern, die Harris für einen Erfolg dringend braucht, wirkt halbherzig.

Als Vizepräsidentin Bidens muss sie für die Misserfolge dieser Amtszeit geradestehen, zumal sie bisher keine klare Distanzierung über die Lippen brachte. Dazu gehören in erster Linie die hohe Inflation und die irreguläre Einwanderung. Den explodierenden Einwandererzahlen sah die Administration Biden drei Jahre lang tatenlos zu.

In der Aussenpolitik ist Harris ein weitgehend unbeschriebenes Blatt, sie würde als Präsidentin wohl das meiste so weiterführen wie Biden. Dazu gehören die halbherzige Militärhilfe an die Ukraine und die klare Unterstützung Israels, wenn auch mit lavierenden moralischen Nebentönen. Gegen die strategischen Herausforderer China und Russland würde Harris bestehende Allianzen in Europa und Asien pflegen.

Die Grenze schliessen – aber wie?

Trump attackiert Harris, doch auch er überzeugt nicht. Käme er erneut an die Macht, würde seine geplante, von hohen Zöllen geprägte Wirtschaftspolitik den Inflationsdruck erneut anheizen, auf jeden Fall mehr als die Pläne von Harris.

In der Migrationspolitik verspricht Trump eine Kehrtwende. Das ist sinnvoll, aber es ist unklar, mit welchen Massnahmen Trump einen wirksamen Grenzschutz erreichen wollte; auch in seiner Amtszeit war die Südgrenze ziemlich löchrig, wenn auch deutlich weniger als unter Biden. Die von Trump angekündigte Massenausweisung illegaler Aufenthalter wäre sehr wirtschaftsschädigend.

In der Aussenpolitik werben die Unterstützer Trumps mit seinen Leistungen während der ersten Amtszeit. Es stimmt zwar, dass die USA damals in keine neuen Kriege hereingezogen wurden. Ob das Trump zu verdanken war, ist allerdings reine Spekulation. Der Krieg im russisch besetzten Donbass wütete auch unter Trumps Regierung weiter, ebenso die Konflikte in Nordsyrien und Afghanistan. China liess sich bei seiner dramatischen militärischen Aufrüstung und der weltweiten aggressiven Expansion seines Einflussbereichs in keiner Weise von Trump abhalten.

Die oft gepriesene Kunst des Deals und Trumps Unberechenbarkeit, die Autokraten angeblich abschrecken soll, erwiesen sich in den theatralischen Verhandlungen mit dem nordkoreanischen Diktator Kim Jong Un als peinlicher Flop.

Trumps grosse Wahllüge

Beide Kandidaten erlauben in den wichtigsten Politikfeldern wenig Zuversicht. Wo es aber einen deutlichen Unterschied gibt, ist die Haltung zu den demokratischen Institutionen und dem Rechtsstaat der USA. Harris als frühere Staatsanwältin lässt keinen Zweifel, dass sie die Institutionen aus tiefer Überzeugung respektiert. Trump hingegen macht klar, dass er sie nur dann akzeptiert, wenn sie seinen persönlichen Interessen dienen.

Diese Haltung hat er während seiner ersten Amtszeit wie auch durch seine Rhetorik in diesem Wahlkampf immer wieder bewiesen. 2019 hielt er die Militärhilfe an die Ukraine zurück, um von Präsident Selenski belastendes Material gegen Bidens Sohn Hunter zu erpressen. Das führte zum ersten, fehlgeschlagenen Impeachment. Nach seiner Abwahl suchte Trump unrechtmässig entwendete Geheimdokumente in seinen Privatgemächern in Mar-a-Lago mithilfe aktiver Justizbehinderung zu verstecken, das führte zu einem Strafprozess in Florida. Der Sündenfall war die bis heute verbreitete Lüge, Trump sei die Wiederwahl 2020 gestohlen worden. Sie wurde durch mehr als 60 Gerichte widerlegt, aber Trump und seine Anwälte nutzten sie, um Bidens Amtsübernahme aktiv zu hintertreiben. Von Druckversuchen gegenüber seinem Vizepräsidenten und den Wahlleitern in Swing States über das Aufstellen falscher Elektoren bis zum Angriff auf das Capitol am 6. Januar – nichts liess Trump unversucht, um seine Wahlniederlage umzustürzen.

Allein diese Tatsache müsste Grund genug sein, diesen Mann vom Weissen Haus fernzuhalten; ihm ist nicht zu trauen. Doch viele Trump-Sympathisanten trösten sich mit der Feststellung, damals sei am Ende doch alles gutgegangen. Die Institutionen waren stark genug und überstanden Trumps Präsidentschaft, viele Mitarbeiter in der Administration und im Militär leisteten Widerstand und verhinderten seine schlimmsten Ideen. Das werde auch jetzt wieder so laufen.

Die Geschichte der ersten Amtszeit wiederholt sich nicht

Diese Verdrängungsstrategie ist gefährlich. Denn eine zweite Regierungszeit Trumps liefe unter anderen Voraussetzungen ab. Erstens sind er und seine Unterstützer viel besser auf die Machtübernahme vorbereitet als 2016. Sie haben strategische Pläne und Listen von Mitstreitern bereit, mit denen sie ihre Ziele umzusetzen gedenken.

Zweitens ist die Republikanische Partei nach acht Jahren Trump eine andere als damals. Verantwortungsbewusste Konservative von altem Schrot und Korn wurden reihenweise aus der Partei entfernt oder haben sich desillusioniert zurückgezogen. Nun drängt in Trumps Gefolgschaft eine Kohorte von Opportunisten an die Macht, angeführt vom Vizepräsidentschaftskandidaten J. D. Vance, die ihrem Anführer wenig Widerstand leisten.

Nicht zu vergessen ist das Urteil des Supreme Court vom Juli, das eine sehr weitgehende Immunität des Präsidenten geschaffen hat, die in der Verfassung nicht vorgesehen ist. Wird der unberechenbare, vorbestrafte Trump wiedergewählt, können die Amerikaner nur hoffen, dass er dieses Privileg nicht missbrauchen wird.

Es ist höchste Zeit für einen Generationenwechsel in der amerikanischen Politik. Mit dem erzwungenen Verzicht Joe Bidens auf die erneute Kandidatur wird im Januar der älteste Präsident der amerikanischen Geschichte endlich abtreten. Würde Trump gewählt, wäre er bei Amtsantritt noch älter als Biden vor vier Jahren. Die Demokraten haben den Generationenwechsel zu spät vollzogen. In der Folge blieb ihnen nichts übrig, als alle Hoffnung auf eine schwache Kandidatin zu setzen. Dass Harris es überhaupt geschafft hat, innert weniger Monate den Rückstand Bidens auf Trump aufzuholen, ist nur mit der Schwäche ihres Widersachers zu erklären. Wenn Trump wiedergewählt wird, müssen die Demokraten in erster Linie die Schuld bei sich selber suchen.

Die Republikaner laufen mit Trump Gefahr, denselben Fehler zu machen. Nur eine Niederlage würde ihnen die Möglichkeit eröffnen, jetzt den Generationenwechsel zu vollziehen, sich vom Trumpismus zu lösen und in den nächsten vier Jahren einen frischen Kandidaten aufzubauen, der eine blühende Ära des amerikanischen Konservativismus einläuten könnte. In der Zwischenzeit würde sich eine Präsidentin Harris mit einem aller Voraussicht nach republikanisch geführten Senat herumschlagen und wenig erreichen. Das wäre keine erbauliche Aussicht – aber wenigstens kein Sicherheitsrisiko.

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