Donnerstag, November 14

Herkömmliche Atomreaktoren und ihre kleinen modularen Nachfolger: Das sind die wichtigsten Unterschiede und Gemeinsamkeiten.

In einem einzigen Datenzentrum summen Zehntausende von Rechnern und verbrauchen dabei so viel Strom wie eine kleine Stadt. Amerikanische Tech-Konzerne betreiben Hunderte dieser Zentren – und haben doch versprochen, klimaneutral zu werden. Ihr neuster Ansatz, das zu schaffen: Atomkraft.

Vor zwei Wochen gab Google bekannt, beim amerikanischen Startup Kairos Power sechs bis sieben kleine Kernreaktoren bestellt zu haben. Wenige Tage später zog Amazon nach und kündigte eine Investition von 500 Millionen Dollar in das Unternehmen X-Energy an. Auch sie entwickeln kleine modulare Kernreaktoren.

Diese neuartigen nuklearen Anlagen werden unter dem Begriff SMR zusammengefasst. Die Abkürzung steht für Small Modular Reactor, auf Deutsch: kleiner modularer Kernreaktor. In den kommenden Jahren sollen die ersten dieser Anlagen auf den Markt kommen. Doch was ist das überhaupt genau – ein SMR? Wie unterscheidet er sich vom klassischen Atomreaktor? Und welchen Nutzen soll er erfüllen?

Die kleinen Reaktoren haben eine geringere Leistung

«Lange Zeit war die vorherrschende Idee in der Kernkraft: Lasst uns die Reaktoren immer grösser und grösser bauen», sagt Annalisa Manera, Professorin für nukleare Systeme an der ETH Zürich. Das hat zu Baureihen wie dem Europäischen Druckwasserreaktor (EPR) geführt, einem modernen französischen Reaktormodell. Der neuste Reaktor in Flamanville in der Normandie läuft seit 2024. Mit einer Leistung von 1600 Megawatt produziert er mehr als 12 Terawattstunden Strom im Jahr. Genug, um mehr als 3 Millionen Schweizer Haushalte mit Strom zu versorgen.

Doch die Dominanz der grossen Reaktoren gerät ins Wanken. Zunehmend wird die Idee besonders kleiner Kernreaktoren attraktiv. Zu den SMR zählen nur Reaktoren, die höchstens 300 Megawatt Strom produzieren. Für gewisse Anwendungen werden sogar besonders kleine SMR entwickelt, die weniger als 10 Megawatt Strom herstellen.

«Es braucht nicht überall einen grossen Reaktor», sagt Manera. Denn ein grosser Reaktor hat nur in einem Stromnetz Sinn, das grosse Mengen Energie aufnehmen und verteilen kann. Viele kleine Länder, beispielsweise in Osteuropa, besässen ein solches Stromnetz gar nicht.

Auch an abgeschiedenen Orten, wo man nicht viel Energie braucht, könnte man SMR nutzen – anstelle von Dieselgeneratoren. Das bietet sich zum Beispiel im Norden Kanadas an, etwa dort, wo Energie für den Bergbau benötigt wird. Russland hat bereits einzelne spezielle SMR auf Eisbrechern in der Arktis in Betrieb.

SMR lassen sich kombinieren

Bei den Small Modular Reactors steckt die Modularität bereits im Namen: Man kann mehrere kleine Blöcke zusammenschliessen und gemeinsam betreiben. Vorteile hat das vor allem in der Bauphase.

Möchte man eine grosse Menge an Strom herstellen, muss man bei einem konventionellen Kraftwerk eine lange Bauzeit in Kauf nehmen. Nach zehn Jahren hat man dann einen Reaktor, der den gesamten Strom liefert. Macht man das Gleiche mit SMR, kann man in mehreren Schritten bauen. Eine Einheit herzustellen, dauert nur ein bis drei Jahre. Nach kurzer Zeit produziert die erste Einheit also schon Strom, dem Zielwert nähert man sich schrittweise.

Auch finanziell ist die Modularität attraktiv. «Investoren müssen nicht gleich die komplette Summe zur Verfügung haben, sondern können nach und nach mehr Reaktoren dazukaufen», sagt Manera.

SMR können potenziell für mehr Investoren finanziell erschwinglich sein

Die Besitzer grosser Reaktoren profitieren davon, dass sie nur einmal in Bau und Lizenzierung investieren müssen und dann viel Strom herausbekommen. Doch ein konventionelles Kernkraftwerk zu bauen, ist so teuer, dass es nur für sehr wenige Investoren infrage kommt. Und es ist finanziell riskant: Kommt es zu Verzögerungen, können die Zinsen auf einen hohen Kredit für Investoren zum Problem werden.

Ausserdem sollen SMR in der Herstellung günstiger sein. «Die Serienproduktion in einer Fabrik könnte potenziell die Kosten drücken», sagt Filip Johnsson, Professor für Energiesysteme an der Chalmers University in Göteborg. Im Idealfall können die kleinen Reaktoren in einer Fabrik gleich neben dem zukünftigen Einsatzort produziert werden. Es ist aber auch möglich, die Komponenten von SMR nach der Produktion an ihren Einsatzort zu bringen und dort zusammenzubauen.

Noch existiert kein kommerzielles Modell; noch verfügt kein Unternehmen über die Infrastruktur, um die Reaktoren tatsächlich in Serie herzustellen. Deshalb sind die Kosten, die gegenwärtig veranschlagt werden, hoch. Es ist ausserdem unklar, wie stark die laufenden Kosten und die Kosten für die Lizenzierung ins Gewicht fallen werden.

SMR sollen besonders sicher sein

Bei einem herkömmlichen Kernkraftwerk springt im Falle einer unterbrochenen Stromversorgung eine Diesel-betriebene Notversorgung an. Damit werden weiter die Pumpen betrieben, die die Wasserzirkulation um den Reaktorkern gewährleisten, so dass dieser nicht überhitzt.

Bei SMR kann man auf die sogenannte passive Sicherheit setzen. Diese Reaktoren brauchen keinerlei Strom, um sicher herunterzufahren. Die Wasserzirkulation ist allein dadurch stark genug, dass warmes Wasser vom Kern aufsteigt, sich oben abkühlt und dann wieder absinkt. Diese natürliche Zirkulation kühlt den Reaktorkern auch ohne Pumpen. Ausserdem gibt es viel mehr Wasser pro Brennmaterial in einem SMR.

Zwar verspricht die Bauweise der SMR Vorteile für die Sicherheit – die Kosten, die für das Personal in dem Bereich anfallen, bleiben aber vorerst sehr hoch. «Laut den Regularien sollten pro Kernkraftwerk ungefähr 50 bis 100 Personen im Bereich der Sicherheit arbeiten», sagt Johnsson. Bei einem herkömmlichen Kernkraftwerk, das mehrere Gigawatt liefere, sei das in Ordnung. Aber bei einem SMR mit einer Leistung von 300 Megawatt wäre es zu teuer. Die laufenden Kosten pro Kilowattstunde produzierten Strom wären dann zu hoch. Daher, so Johnsson, sei es wahrscheinlich, dass mehrere SMR an einem Ort sein müssten, um die laufenden Kosten zu begrenzen.

Laut Johnsson ist es theoretisch denkbar, die Sicherheitsregularien für SMR künftig solchermassen zu ändern, dass weniger Sicherheitspersonal pro Reaktor benötigt wird. Eine solche Änderung muss aber international abgestimmt und beschlossen werden. «Das ist nicht über Nacht zu erwarten», sagt er.

Das Prinzip von SMR ist genau gleich wie bei grossen Kraftwerken

Sowohl beim klassischen Kernkraftwerk als auch beim SMR wird im Kern Uran gespalten. Dabei wird viel Wärme frei, diese lässt Wasser verdampfen, und der Wasserdampf treibt Turbinen an. Am Ende entsteht radioaktiver Abfall. Bei SMR ist das nicht anders. Pro Energiemenge produzieren sie genauso viel Atommüll, laut einer Studie sogar mehr als konventionelle Reaktoren. Das Problem der Endlagerung lösen SMR also nicht.

Vor allem die grossen Firmen, die derzeit SMR entwickeln, vertreiben auch grosse Reaktoren. Sie bauen als SMR nun schlicht den grossen Reaktor als kleine Version nach. Auf diese Weise können sie ihre Erfahrung optimal nutzen.

Doch viele kleinere Firmen und Startups, die gerade den Hype nutzen und Konzepte für SMR vorschlagen, setzen auch gleich auf ganz neue Technologien. Ihre Reaktoren sollen statt mit Wasser beispielsweise mit flüssigen Salzen gekühlt werden, oder der Reaktor soll bei besonders hohen Temperaturen operieren.

Solche und weitere Konzepte sollen auch bei den grossen Kernkraftwerken der sogenannten vierten Generation zum Einsatz kommen. Auch passive Sicherheitsmassnahmen sollen bei diesen modernen Kernkraftwerken vermehrt genutzt werden. Diese Ideen sind also nicht spezifisch für SMR. Noch sind diese Konzepte aber in der Testphase. Welche davon machbar sind und wann sie zur Verfügung stehen, ist unklar.

Neue Verwendungszwecke für die kleinen Reaktoren

Werden SMR bald in grossem Stil zum Einsatz kommen? «Die grosse Frage ist, ob sich die Kosten für SMR so weit drücken lassen, dass sie konkurrenzfähig werden», sagt Johnsson. Dazu brauche es einen Lernprozess, für den man Erfahrungen mit einer ausreichend grossen Zahl von SMR-Anlagen machen müsse. «Dazu wäre wahrscheinlich eine Zusammenarbeit auf globaler Ebene erforderlich. Doch das lässt sich mit der derzeitigen geopolitischen Entwicklung und den sich verschlechternden transatlantischen Beziehungen nicht wirklich in Einklang bringen», so Filip Johnsson weiter.

Die grossen Investitionen der Tech-Firmen dürften jedenfalls die Wahrscheinlichkeit deutlich erhöhen, dass es tatsächlich erste SMR auf den Markt schaffen.

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