Donnerstag, Januar 16

Amerika will dem Aufstieg der chinesischen Marine entgegenwirken, doch die Werften sind aufgrund historischer Fehlentscheidungen geschwächt. Jetzt sollen Südkorea und Japan helfen.

Die chinesische Marine wächst und wächst – und die US Navy schrumpft. Die mächtigste Flotte der Welt zählt inzwischen weniger als 300 Kriegsschiffe, Frachter und Öltanker eingeschlossen. Dieses Missverhältnis könnte Amerika und seine Verbündeten in einem Konflikt um Taiwan in grosse Probleme stürzen.

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Es kommt erschwerend hinzu, dass China seine Flotte weiter massiv ausbaut und die USA beim Bau neuer Schiffe kaum vorankommen. Der Stapellauf neuer Flugzeugträger der Gerald-R.-Ford-Klasse verzögert sich um Jahre, auch die Produktion neuer U-Boote harzt, obwohl die US Navy jährlich mehr als 30 Milliarden Dollar für neue Schiffe ausgibt.

Die amerikanische Politik hat das Problem erkannt, kommt selbst aber nur langsam in die Gänge: Eine neue Kommission, die am 1. Juli einen Bericht zur Zukunft der Navy hätte präsentieren sollen, wurde erst im Juni zusammengestellt.

Mittlerweile umwirbt der Navy-Sekretär Carlos Del Toro führende japanische und südkoreanische Schiffbauer: Sie sollen in den USA investieren und die Werften mit ihrem Fachwissen aus der Misere führen. Die beiden ostasiatischen Nationen sind die Einzigen, die China im Geschäft mit zivilen Frachtschiffen Konkurrenz machen können.

Del Toro wurde erhört. Im Juni kaufte die koreanische Hanwha Group, Teil eines der Konglomerate des Landes, für 100 Millionen Dollar Philly Shipyard, eine der grössten Werften in den USA. Diese hat seit der Jahrtausendwende rund die Hälfte aller grossen zivilen Schiffe gebaut, die in den USA verkehren. Darüber hinaus baut sie Trainingsschiffe für die Navy.

Auf den ersten Blick erstaunt die maritime Schwäche der USA. Die Wirtschaft des Landes ist die stärkste der Welt und wächst beständig. Geld für den Flottenausbau ist vorhanden. Warum schaffen es die Amerikaner nicht, selbst mehr Schiffe zu bauen?

Kaum zivile Schiffe

Ein grosser Nachteil der amerikanischen Schiffbauer gegenüber ihrer Konkurrenz in Japan und Korea ist: Sie bauen ausschliesslich fürs eigene Militär oder für den Binnenmarkt, aber keine zivilen Schiffe für den Weltmarkt.

Die USA waren nie eine grosse Schiffbaunation. Seit dem Amerikanischen Bürgerkrieg war der Schiffbau in den USA stets teurer als in den führenden Ländern der Welt – erst Grossbritannien, dann Japan, Südkorea und China. Daher kauften ausländische Reeder keine amerikanischen Frachtschiffe.

Die USA hatten einen Preisvorteil bei hölzernen Segelschiffen, weil Holz in Nordamerika so günstig war. Wegen ihres relativen Vorteils stiegen die Amerikaner im späteren 19. Jahrhundert erst verspätet auf den Bau von Stahlschiffen um und hinken der Konkurrenz seither hinterher.

Die USA antworteten mit Abschottung: Die noch immer gültige Jones Act von 1920 verfügt, dass in der Binnenschifffahrt nur in den USA gebaute Schiffe verkehren dürfen, mit US-Mannschaft und unter US-Flagge. Der Schutz hielt die einheimischen Werften am Leben, die sich fortan auf die inländische Frachtschifffahrt konzentrierten.

Die fehlende Konkurrenz führte aber zu hohen Preisen für die Schiffe, weshalb Transporteure in den USA heute, wenn möglich, auf Strassen- und Schienentransporte setzen. Der Markt für grössere Binnenschiffe ist stark geschrumpft und hilft den amerikanischen Schiffbauern heute kaum mehr dabei, ihre Werften auszulasten, falls von der Navy keine Bestellungen eintreffen.

Bis 1981 hielten die USA ihre zivilen Schiffbauer noch mit Subventionen am Leben. Präsident Ronald Reagan schaffte diese ab und stürzte die zivile US-Schiffbauindustrie endgültig in eine Krise, von der sie sich nie wieder erholte.

Die Werften versuchten immer wieder, mit staatlicher Hilfe Fuss zu fassen im internationalen Markt, sind daran aber regelmässig gescheitert. 2002 musste ein halb fertiges Kreuzfahrtschiff aus einer Werft in Mississippi quer über den Atlantik nach Bremerhaven geschleppt und dort fertiggestellt werden, weil der Auftraggeber pleiteging. Die «Pride of America» brauchte später eine Sondergenehmigung, um Kreuzfahrten in Hawaii durchzuführen, denn ihr Bau in Deutschland hatte die Jones Act verletzt.

In der Krise zur Höchstform

Optimisten verweisen dagegen auf die Erfahrung aus den zwei Weltkriegen: Zweimal war die US Navy zu Kriegsbeginn schlecht ausgerüstet. Zweimal schaffte es das Land dennoch, seine Industrie in Rekordzeit umzufunktionieren und neue Kriegs- und Frachtschiffe zu bauen, die entscheidend zum Sieg beitrugen.

Der Aufbau verlief auch in den Weltkriegen chaotisch und war teuer. Doch sie führten auch zu Innovationen. Im Zweiten Weltkrieg setzten die Werften erstmals auf die Vorfabrikation grosser Rumpfteile, die bloss noch zusammengeschweisst werden mussten. Das beschleunigte den Bau der Schiffe erheblich. Nach dem Krieg perfektionierten Ingenieure in Japan das Verfahren.

In den USA, die dank dem Kriegseffort nun über eine riesige Handelsflotte verfügten, stellten viele Werften den Betrieb wieder ein, andere fielen technologisch wieder zurück.

Eine Rolle spielten dabei auch die Gewerkschaften. Streiks und weitere Arbeitskonflikte hatten nach 1940 bereits die Wiederinbetriebnahme der stillgelegten Cramp-Werft in Philadelphia stark verzögert. Die Gewerkschaften standen zeitsparenden Technologien oft skeptisch gegenüber.

Der Jo-Jo-Effekt

Bis heute ist knappes Personal ein Schlüsselproblem der US-Werften. Im Zweiten Weltkrieg war es noch möglich, ungelernte Arbeiter in die Werften zu holen. Doch der Bau eines Schiffes war damals weniger komplex, heute brauchen die Werften vor allem ausgebildete Fachleute.

Weil die Aufträge der Navy aber unregelmässig eintreffen und die Auslastung nicht durch Aufträge aus der kommerziellen Schifffahrt ausgeglichen werden kann, können die Werften in mageren Zeiten ihr Personal nicht halten. Sie investierten dann auch nur wenig in ihre Anlagen wie zum Beispiel grössere Trockendocks. Treffen die Aufträge der Navy schliesslich doch ein, dauert es lange, bis neues Personal ausgebildet wird und die Anlagen modernisiert werden.

Der US-Kongress und die Navy versuchen der Industrie mit langjährigen Plänen und Zusagen Gewissheit zu geben und sie so zu kontinuierlichen Investitionen zu motivieren. Aber letztlich beschliesst das Parlament Jahr für Jahr, wie viel Geld die Navy für neue Schiffe erhält. Tendenziell investieren die Werftbetreiber daher oft zu wenig in den Substanzerhalt.

Hinzu kommt, dass die Navy für die meisten ihrer Schiffstypen bloss einen einzigen Anbieter hat. Die Marktkräfte sind praktisch ausser Kraft gesetzt: Beide Seiten sind aufeinander angewiesen, daher hat der Anbieter wenig Anreiz, effizienter zu produzieren.

Ein schwieriger Kunde

Ein Grund für diese gegenseitige Abhängigkeit ist: Die US Navy hat dank zahlreichen Kampfeinsätzen viel Erfahrung gesammelt, worauf es beim Bau eines Kriegsschiffs ankommt. Das führt dazu, dass die Navy ein komplizierter Kunde ist. Sie hat zahlreiche Sonderwünsche und Spezifikationen, selbst nach Baustart eines Schiffes teilt das Militär mitunter Änderungswünsche mit. Wie ein Hersteller von Luxusautos bauen die Werften stets massgeschneiderte Einzelanfertigungen – wofür der Käufer einen hohen Preis bezahlt.

Die Politik ist unbeständig

Der US-Kongress kennt das Problem der Werften – und weiss, dass er Teil des Problems ist. Er hat erkannt, dass er mehr Geld investieren muss, damit die USA eine grössere Flotte erhalten.

Es gibt jedoch Zielkonflikte, die weit über die Navy oder die Streitkräfte insgesamt hinausgehen. In den vergangenen Jahren haben die USA die Ausgaben für soziale Wohlfahrt derart stark erhöht und sich jüngst ein für Friedenszeiten enormes Budgetdefizit von 6,4 Prozent des BIP eingebrockt. Und das, obwohl die Wirtschaft wächst und die Steuereinnahmen sprudeln.

Der designierte Präsident Donald Trump hat versprochen, das Budgetdefizit zu senken, will aber gleichzeitig die Steuern stark senken und die teuren staatlichen Sozialprogramme nicht kürzen. Die Streitkräfte sind einer der grössten verbleibenden Budgetposten. Trump hat Militärexperten in sein Team geholt, die den Ernst der Lage kennen. Aber der Präsident will die USA bekanntlich aus Kriegen in der Ferne heraushalten. Die Frage stellt sich, wofür er dann viel Geld in eine Navy investieren will, die an mehreren Schauplätzen gleichzeitig agieren kann.

Die koreanischen Investitionen in die Werft in Philadelphia kommen zur richtigen Zeit, aber sie bieten keine Patentlösung. Bereits 1970 hatten die USA viel Geld für eine Modernisierung ihrer kommerziellen Werften in die Hand genommen – und mit Japan zusammengearbeitet, um das verlorengegangene Fachwissen wieder ins Land zu bringen. Doch selbst die japanischen Ingenieure konnten die Qualitätsprobleme der amerikanischen Werften nicht ausmerzen, und ihre Effizienz blieb weit hinter der japanischen Konkurrenz zurück.

Amerika wird China im Schiffbau nicht so schnell einholen, doch jede Anstrengung zählt. Denn auf eine neue Krise – und ein neues Produktionswunder wie im Zweiten Weltkrieg – will niemand setzen.

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