Die Beziehungen zwischen Israel und den USA sind so schlecht wie lange nicht mehr. Die Positionen beider Regierungschefs verhärten sich, weil sie innenpolitisch unter Druck stehen.

Es herrscht ein neuer Ton in den amerikanisch-israelischen Beziehungen. Die Tötung von sieben internationalen Helfern in Gaza durch die israelische Armee in der Nacht auf Dienstag sei kein isolierter Vorfall gewesen, sagte Joe Biden. In einer schriftlichen Mitteilung zeigte sich der US-Präsident «empört» über den Vorfall: «Israel hat nicht genug getan, um Zivilisten zu beschützen.»

Auch Chuck Schumer, Fraktionsvorsitzender der Demokraten im Senat und langjähriger Unterstützer Israels, hat die Samthandschuhe abgelegt. In einer Rede Mitte März nannte Schumer den israelischen Ministerpräsidenten in einem Atemzug mit der Hamas ein Hindernis für den Frieden zwischen Israeli und Palästinensern. Biden sagte kurz darauf, Schumer habe eine gute Rede gehalten.

In Israel verhärten sich die Positionen ebenfalls. Kurz nach der Rede Schumers verbat sich Netanyahu Einmischung in innere Angelegenheiten Israels, sein Land sei keine Bananenrepublik. In einem Interview mit «Politico» im März sagte Netanyahu, dass Israel Rafah im Süden des Gazastreifens angreifen werde, obwohl Biden eine Militäroffensive in der Stadt als rote Linie bezeichnet hatte. Rund 1,5 Millionen Zivilisten haben dort Schutz vor den Kämpfen gesucht.

Die USA und Israel sind immer noch enge Verbündete, amerikanische Waffen sind essenziell für die Fortsetzung des Gaza-Kriegs. Jährlich unterstützt Washington den jüdischen Staat mit Militärhilfen in Höhe von 3,8 Milliarden Dollar. Trotzdem werden beide Länder voraussichtlich weiterhin rhetorisch auf Konfrontationskurs bleiben – denn in den USA stehen im Herbst Wahlen an, Neuwahlen in Israel sind nicht ausgeschlossen. Der innenpolitische Druck wird beide Regierungen weiter auseinandertreiben.

Biden versucht den Spagat

«Spannungen zwischen den USA und Israel sind nichts Neues», sagt Efraim Inbar, der Leiter des Jerusalem-Instituts für Strategie und Sicherheit, einer konservativen israelischen Denkfabrik für Aussenpolitik. Die Meinungsverschiedenheiten seien zudem nicht überraschend. «Wir dürfen nicht vergessen, dass die Biden-Regierung nur eine neue Version der Obama-Administration ist – genau so verhält sie sich.» Bereits zwischen dem ehemaligen Präsidenten Obama und Netanyahu herrschte eine diplomatische Eiszeit. «Es ist kein Geheimnis, dass die Biden-Regierung Netanyahu aus dem Amt drängen will.»

Es ist allerdings nicht ausgemacht, dass eine Abwahl Bidens und eine Wiederwahl Donald Trumps zu einer Besserung im bilateralen Verhältnis führen wird. Ende März sagte Trump der Zeitung «Israel Hayom», Israel habe einen grossen Teil seiner öffentlichen Unterstützung verloren. «Bomben, die auf Häuser in Gaza fallen, geben ein schreckliches Bild für die Welt ab», sagte der ehemalige Präsident, der als besonders israelfreundlich gilt. Trump appellierte an Israel, den Krieg so schnell wie möglich zu beenden («finish the job»), ohne zu fordern, dass die Hamas zerstört werden müsse.

Die gleichen Aussagen hätte auch Joe Biden treffen können. Der amtierende Präsident versucht einen Spagat: Er verschärft die Rhetorik gegenüber Israel, ohne allerdings die materielle Unterstützung einzustellen. So will der selbsternannte Zionist Joe Biden seinen Prinzipien treu bleiben und andererseits eher israelkritische linke Wähler der Demokraten vor der Präsidentschaftswahl besänftigen.

In dieses Muster passt auch die Enthaltung der amerikanischen Regierung im Uno-Sicherheitsrat vergangene Woche. Die USA haben kein Veto eingelegt; die Resolution, die zu einem sofortigen Waffenstillstand in Gaza aufruft, wurde angenommen. Kurz darauf erklärte der Sprecher des Rats für nationale Sicherheit der Vereinigten Staaten allerdings, dass die Resolution nicht bindend sei. Sanktionen gegen Israel wird Washington also nicht unterstützen.

Netanyahu reagierte prompt: Eine israelische Delegation, die Washington besuchen sollte, um den Streitpunkt Rafah zu diskutieren, pfiff er zurück. Kurz darauf kündigte er allerdings an, einen neuen Termin zu finden, um über die geplante Militäroperation in Rafah mit den amerikanischen Verbündeten zu sprechen.

Netanyahu steht unter internem Druck

«Netanyahu will keine existenzielle Krise mit den USA provozieren. Allerdings steht er unter Druck wegen der Extremisten in der Regierung», sagt Efraim Inbar. Nationalreligiöse Minister wie Itamar Ben-Gvir und Bezalel Smotrich wollen keinerlei Einschränkungen im Krieg gegen die Hamas akzeptieren und treten offen für eine Vertreibung der Palästinenser aus dem Küstenstreifen ein.

Deren Aussagen sind daher noch weitaus schärfer: «Zurzeit bevorzugt Biden die Positionen von Rashida Tlaib und von Sinwar gegenüber jenen von Benjamin Netanyahu und Ben-Gvir», sagte Israels Minister für nationale Sicherheit, Itamar Ben-Gvir, der «New York Times» vor wenigen Tagen. Die palästinensisch-amerikanische Kongressabgeordnete Tlaib ist eine der schärfsten Kritikerinnen Israels in der amerikanischen Politik, Yahya Sinwar der Chef der Hamas im Gazastreifen.

«Vielen Israeli missfällt die offene Intervention in die inneren Angelegenheiten einer anderen Demokratie, wie sie die USA praktizieren», sagt Inbar. Sich antiamerikanisch zu geben, helfe Ben-Gvir, Stimmen in Israel zu erhalten. «Mit diesen Provokationen kann er seine Wählerbasis erweitern.» In den Umfragen befindet sich der Rechtsextreme momentan im Aufwind, während Netanyahu selbst schlecht dasteht.

So schlägt der israelische Ministerpräsident derzeit bewusst einen härteren Kurs gegenüber den USA ein, um einerseits seine Koalitionspartner bei der Stange zu halten und andererseits seine eigene Wählerbasis zu mobilisieren. Laut einer Umfrage des Jewish People Policy Institute vom März befürworten nur 16 Prozent der Wähler von Netanyahus Likud Kompromisse mit den USA, selbst wenn diese die Sicherheit Israels nicht gefährden.

Am Wochenende haben die Proteste gegen die aktuelle Regierung wieder Fahrt aufgenommen, Zehntausende gingen in Tel Aviv und Jerusalem gegen Netanyahu auf die Strasse. Ausserdem könnte der Militärdienst für ultraorthodoxe Juden seine Regierungskoalition sprengen. Je wahrscheinlicher Neuwahlen werden, desto stärker wird sich Netanyahu als Verteidiger israelischer Interessen gegen die USA präsentieren. Die nahenden Präsidentschaftswahlen und der parteiinterne Druck werden US-Präsident Joe Biden wahrscheinlich ebenfalls dazu bringen, den Ton gegenüber Israel zu verschärfen. Ob darauf auch Taten folgen, etwa reduzierte Militärhilfen, ist eine andere Frage.

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