Sonntag, Oktober 6

Tim Walz kennt sich mit den Strukturen in dem asiatischen Land aus, ein «China-Versteher» ist er damit noch lange nicht. Kamala Harris hat ihn auch deswegen in ihr Team geholt.

Von der Nominierung Tim Walz’ zum Kandidaten für die Vizepräsidentschaft der US-Demokraten wurde die chinesische Regierung sichtlich auf dem falschen Fuss erwischt. Die Reaktion aus Peking fiel jedenfalls äusserst schmallippig aus.

«Die Präsidentschaftswahlen in den USA sind eine innere Angelegenheit der USA», sagte eine Sprecherin des chinesischen Aussenministeriums kurz nach der Bekanntgabe der Nominierung von Walz Anfang des Monats. Man kommentiere den Schritt nicht, hoffe jedoch, dass die USA an einer Verbesserung der chinesisch-amerikanischen Beziehungen arbeiteten.

Die chinesische Regierung, davon darf ausgegangen werden, versucht noch zu verstehen, was der plötzliche Kandidatenwechsel von Biden zu Harris und Walz – ein Vorgang, der im autokratischen China undenkbar ist – für Pekings Beziehungen zu den USA bedeuten könnte.

Hype um Walz im chinesischen Internet

Ganz anders fielen dagegen die Reaktionen im chinesischen Internet aus. Dass Walz ein ausgewiesener Kenner Chinas ist, sorgte für einen regelrechten Hype im Netz. Die Reaktionen reichten dabei von Kritik bis Hoffnung. Ein Nutzer schrieb etwa: «Sein besonderer Hintergrund eröffnet ihm eine wirkliche Perspektive auf China», Walz könne sich «in Zeiten, in denen die Beziehungen extrem schwierig sind, für einen vertieften Kulturaustausch zwischen China und den USA einsetzen».

Dass die Präsidentschaftskandidatin Kamala Harris den amtierenden Gouverneur von Minnesota zu ihrem Running Mate erkoren hat, ist mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auf Walz’ China-Hintergrund zurückzuführen. Denn die Rivalität zwischen dem autokratischen China und den USA wird auf Jahre eines der beherrschenden Themen der amerikanischen Politik sein. Im Unterschied zu Harris, die noch nie in China war, hat Walz das Land mehr als dreissig Mal bereist.

Walz begann mit dem Sammeln seiner ersten China-Erfahrungen zu einem denkwürdigen Zeitpunkt. Nachdem am 4. Juni 1989 Panzer die Studentenproteste auf dem Tiananmen-Platz niedergewalzt hatten, belegten die USA und die Europäische Union China mit Sanktionen. Wer zu dieser Zeit aus dem Westen nach China reiste, machte sich verdächtig.

Tim Walz hielt dies jedoch nicht davon ab, für ein Jahr in Chinas Südprovinz Guangdong zu reisen. Der Amerikaner hatte sich in den Kopf gesetzt, in China amerikanische Geschichte und Englisch zu unterrichten. Er besuchte Hongkong und Guangzhou. In Foshan, einer seinerzeit aufstrebenden Industriestadt, lehrte er schliesslich von Dezember 1989 bis Dezember 1990 an einer Mittelschule.

Von Neugier getrieben

Walz war zunächst von seiner Neugier getrieben. «Ich hatte immer ein grosses Interesse am Reisen und denke, dies ist eine goldene Gelegenheit, eine Kultur zu sehen, die mehr als 3000 Jahre alt ist», sagte Walz kurz vor seiner Abreise der Zeitung «The Chadron Record». Der Amerikaner arbeitete zu der Zeit am Chadron State College in Nebraska.

Walz war von China und seinen Menschen, zunächst vor allem von deren Gastfreundschaft, fasziniert. Er werde «behandelt wie ein König», schrieb Walz an seine Heimatfakultät in Chadron. Nachdem er nach Nebraska zurückgekehrt war, sagte er dem «Chadron Record» mit Blick auf seinen China-Aufenthalt: «Solange ich lebe, werde ich nie wieder so gut behandelt werden.»

Von nun an liess China Walz nicht mehr los. Als Lehrer in einer Kleinstadt in Nebraska rief er ein Programm für Brieffreundschaften ins Leben. Damit brachte er seine Schüler mit gleichaltrigen chinesischen Schülern in Kontakt. Walz wollte kulturelle Brücken schlagen, seinen Schülern aber auch die grosse Politik näherbringen.

Für kritische Themen sensibilisiert

Bereits damals hatten die USA ein grosses Handelsbilanzdefizit mit China. Walz sagte seinen Schülern: «Die chinesische Regierung will, dass wir das kaufen, was sie verkaufen, aber sie wollen nicht kaufen, was wir verkaufen.» Bereits sein erster China-Aufenthalt hatte Walz für kritische Themen der bilateralen Beziehungen sensibilisiert.

Kurze Zeit später gründete er zusammen mit seiner Frau ein kleines Unternehmen, das amerikanische Schüler zu Aufenthalten nach China brachte. Am 4. Juni 1994, dem fünften Jahrestag der Niederschlagung der Studentenproteste, heirateten die beiden. Walz hatte den Hochzeitstermin gewählt, weil er ein Datum wollte, «an das er sich immer erinnern kann».

Die Hochzeitsreise ging nach China. Mit dabei: zwei Schülergruppen aus Nebraska.

Vorhersagbare Reaktionen der Republikaner

Wenig verwunderlich, ruft die Affinität von Tim Walz zu China negative Reaktionen der Republikanischen Partei hervor. Der Senator Marco Rubi etwa nennt Walz ein Beispiel dafür, wie «Peking künftige amerikanische Führer heranzieht». Tom Cotton, Senator aus Arkansas, meint, Walz schulde den Amerikanern eine Erklärung für seine «ungewöhnliche 35 Jahre währende Beziehung zum kommunistischen China».

Dabei ist Walz alles andere als ein «Panda-Schmuser», wie allzu unkritische China-Beobachter umgangssprachlich oft bezeichnet werden. Vielmehr könnte man ihn als moderaten Kritiker des Landes bezeichnen, zu dem er durch sein tiefes Verständnis des Landes wurde. Walz hat etwa die Menschenrechtssituation in China immer wieder kritisiert. Er trug zudem Resolutionen im Kongress zu Hongkong und Xinjiang mit.

Auch mit dem Massaker im Juni 1989 hat Walz sich öffentlich auseinandergesetzt. Bereits bei seinem ersten China-Besuch reiste er von Foshan nach Peking, um den Ort des Geschehens mit eigenen Augen zu sehen. Walz sagte später einer amerikanischen Zeitung: «Der Tiananmen-Platz wird bei den Menschen immer in bitterer Erinnerung bleiben.»

The Tim Walz China Connection

Dass Walz zwischen den Menschen und der Politik Chinas sauber trennen kann, zeigt, dass er ein fundiertes China-Verständnis hat. Immer wieder machte der Politiker mit Aussagen von sich reden, nach denen die Chinesen «zu Grossem fähig sind» und ohne die Kommunistische Partei zu noch Grösserem fähig wären.

Natürlich ändern sich Menschen. Doch Walz dürfte immer ein Politiker bleiben, für den Fakten und Erfahrung mehr zählen als Ideologie. Das könnte eine Chance sein, dass sich zumindest die Dialoge zwischen Peking und Washington wieder verbessern, auch wenn eine Harris-Administration an Bidens China-Politik zunächst wenig ändern wird.

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