Montag, Oktober 7

Vor gut einem Jahr hat das VBS eine Studienkommission eingesetzt, um sicherheitspolitische Grundlagen zu erarbeiten. Diese kommt zu dem Schluss: Die Schweiz muss ihre Neutralitätspolitik revidieren und militärisch enger mit der Nato und der EU zusammenarbeiten.

Die Sicherheitslage in Europa hat sich seit dem Ausbruch des Ukraine-Krieges dramatisch verschlechtert. Das ist offensichtlich – auch für die Studienkommission unter der Leitung von Valentin Vogt, dem ehemaligen Präsidenten des Schweizerischen Arbeitgeberverbandes. Autokratien und Demokratien stünden im Konflikt, es sei in absehbarer Zeit mit einer «Weltunordnung» zu rechnen. Mittendrin: die Schweiz. Diese sei ein attraktives Ziel, als Infrastruktur-Knotenpunkt von wichtigen Verkehrsachsen oder auch dem Swift-Rechenzentrum. Für die Mehrheit der Kommissionsmitglieder aus Politik, Wirtschaft oder auch Wissenschaft ist es deshalb klar: Die Schweiz und ihre Bevölkerung müssen sich auf eine weitere Verschärfung der Lage vorbereiten.

Die Kommission empfiehlt in ihrem Bericht unter anderem folgende Punkte:

  • Die Schweizer Neutralitätspolitik soll revidiert werden und sich stärker an der Uno-Charta ausrichten. Diese unterscheidet klar zwischen einem Aggressor und dem Opfer, dem das Recht zusteht, sich zu verteidigen.
  • Die Schweiz soll im Militärbereich enger mit der Nato und der EU zusammenarbeiten. Gemeinsame Ausbildungen sowie bilaterale und multilaterale Übungen sollen vertieft werden.
  • Das Kriegsmaterialgesetz soll angepasst werden an die geopolitischen Entwicklungen. Heisst: Ein Verbot der Wiederausfuhr von Schweizer Rüstungsmaterial soll es für Länder wie Deutschland oder die USA nicht mehr geben (sprich für jene Länder, die im Anhang 2 der Kriegsmaterialverordnung aufgelistet sind).
  • Das Armeebudget soll schneller auf 1 Prozent des Bruttoinlandproduktes erhöht werden – bis 2030, wie ursprünglich geplant.
  • Der Sollbestand der Armee soll erhöht werden, indem Doppelbürger, die in der Schweiz wohnen, hier Militärdienst leisten müssen. Ausserdem sollen der Zivildienst und der Zivilschutz zusammengelegt werden.
  • Die Bevölkerung soll für eine verschlechterte Bedrohungslage sensibilisiert werden und Notvorräte anlegen.

Der Bericht, welcher der NZZ bereits vorliegt, soll diese Woche präsentiert werden. Hätte Verteidigungsministerin Viola Amherd ihre persönliche Wunschliste vorgelegt, wäre diese wohl deckungsgleich mit den Ergebnissen ihrer Studienkommission. Dies war indes von Anfang an die Kritik. Neben sechs Mitgliedern aus dem Spektrum der politischen Parteien von SP bis SVP hat die Bundespräsidentin vierzehn Mitglieder eigenhändig ausgewählt.

Kritik an Zusammensetzung der Kommission

Die Spannweite reicht vom Präsidenten der Schweizerischen Offiziersgesellschaft, Dominik Knill, bis zum Friedensforscher Laurent Goetschel. Die klare Mehrheit der Mitglieder seien «Neutralitätsskeptiker, Nato-Sympathisantinnen und EU-Befürworter», schrieben nach Bekanntgabe die Tamedia-Zeitungen.

Die Grüne Marionna Schlatter und der SVP-Politiker Thomas Hurter hätten wegen der Experten und Referenten über einen Austritt nachgedacht, berichtete kürzlich die Zeitung «Le Temps». Die meisten Experten seien bewusst strategiekonform ausgewählt worden, wodurch die Meinungsbildung unterbunden werde. Geblieben sind beide jedoch trotzdem bis zum Schluss. Andere traten aus.

Austritte aus unklaren Gründen

Im November 2023 verliess Christian Catrina, ehemaliger Chef Sicherheitspolitik VBS, die Studienkommission. Die genauen Gründe wurden nie kommuniziert. Gemäss «Blick» soll er sich mit der Rolle des Protokollanten schwergetan haben. Auch der sozialdemokratische Nationalrat und Buchautor Pierre-Alain Fridez ging, bevor der Bericht fertiggestellt wurde. In einem seiner Bücher stellt er die Frage, ob die Armee für die Kriegführung der Zukunft wirklich alle Hauptsysteme brauche. Er dürfte mit den ausgeführten Bedrohungsszenarien der Kommission nicht einverstanden sein.

Die Ergebnisse der Studienkommission sollen gemäss Verteidigungsdepartement «Impulse» geben für die öffentliche und parlamentarische Diskussion über die Schweizer Sicherheitspolitik der kommenden Jahre. Ob das gelingt, ist fraglich: Wie soll sich das Parlament auf einen echten Konsens einigen, wenn es schon die Spezialisten kaum geschafft haben? Es ist die dritte Studienkommission für strategische Fragen, nachdem sich die sicherheitspolitische Lage massgeblich verändert hat. 1996 bis 1998 war eine mehr als doppelt so grosse Gruppe aktiv. Bundesrat Adolf Ogi hatte sie eingesetzt und bewusst breit aufgestellt. Mitglieder waren unter anderem eine Gymnasiastin, der bis dahin einzige Schweizer Astronaut, ein Schweiz-ohne-Armee-Exponent und Christoph Blocher. Und auch diese Gruppe wurde damals kritisiert. Sie sei zu «heterogen».

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