Mittwoch, November 6

Er war Goalgetter in der Bundesliga und ein halbes Jahr bei GC, später landete Aílton regelmässig im Trash-TV. Nun legt der Brasilianer seine Autobiografie vor.

Aílton wird gefragt, wie viel Geld er eigentlich für Bussen habe bezahlen müssen in seiner Karriere. Er, der seinen Heimaturlaub notorisch eigenmächtig verlängerte. In Aíltons Augen blitzt etwas auf, er sagt: «Gar keins. Aílton bezahlt mit Toren.» Das ist nachweislich falsch – der Brasilianer zahlte oft üppige Strafen, 2002 etwa, als er per Taxi ins Trainingslager von Werder Bremen auf Norderney nachreiste und die 700 Euro Fahrkosten im Vergleich zur Busse vergleichsweise günstig ausfielen.

Es ist Ende Oktober, Aílton sitzt in Hamburg vor einem Laptop, er absolviert einen Interview-Marathon, um sein in dieser Woche erscheinendes Buch «Mein Fussballmärchen» zu bewerben. Neben ihm sitzt ein Dolmetscher; Aílton hat zwar viele Jahre im deutschsprachigen Europa verbracht, aber ein Germanist wird aus ihm in diesem Leben nicht mehr.

Der Sprech ist ein nicht unwesentlicher Teil seines Charmes. Aílton war ein erstklassiger Fussballer, Torschützenkönig der Bundesliga sowie 2004 Meister und DFB-Pokal-Sieger mit Bremen. Aber erst durch sein Wesen und seine Zitate wurde er Teil der deutschen Pop-Kultur: «Ein Schuss. Ein Tor. Das Aílton!» – «Aílton auswechseln – immer Fehler!» Und als er im Februar 2007 an die Grasshoppers ausgeliehen wurde, sagte er: «Schön Klub, schön Land, gut Name.»

Es waren Sätze, die dabei halfen, dass die Menschen ihm die Eskapaden und den Hang, punkto Trainingsfleiss und Lebenswandel allzu gnädig mit sich selbst zu sein, stets nachsahen. Sie machten ihn zu einer Marke, deren Strahlkraft weit über den Fussball hinausreichte.

Davon zehrt Aílton bis heute, er hat aus seinem Namen mit einer Schmerzlosigkeit Kapital geschlagen, die man nicht oft von jemandem sieht, der so weit oben stand wie er. Aber er führte lange ein Leben auf der Überholspur und gab das Geld mit beiden Händen aus. Es ist dem hohen Devisenbedarf geschuldet, dass Aílton sich für wenig zu schade war.

Noch mit 40 Jahren spielte er in der sechsten Liga bei Hassia Bingen für ein kolportiertes Salär im sechsstelligen Bereich. Und irgendwann vollzog er die Metamorphose vom Fussballstar zum Grüssaugust. Er nahm an der Wok-WM teil, reiste ins Dschungelcamp und präsentierte sich im giftgrünen und etwas zu engen Hemd bei «Let’s Dance». Er brachte einen eigenen Energydrink (Werbeversprechen: «Werde zum Kugelblitz») auf den Markt, bevor das zur Influencer-Masche wurde. Er warb für Bratwürste, Intimrasierer und Haselnusslikör. Ein deutscher Discounter verkauft einen «Standgrill Kugelblitz Ailton».

Die «Zeit» betitelte Aílton 2012 als «Witzfigur»

Aílton ist für seine Auftritte teilweise belächelt worden, die «Zeit» kanzelte ihn schon 2012 zur «Witzfigur» ab. Dabei ist er sich einfach treu geblieben: In seiner Blütezeit verdiente er Geld damit, die Menschen am Samstagnachmittag im Stadion zu unterhalten. In seinem ersten Jahr in Bremen habe er sich manchmal wie ein Zirkuspferd gefühlt, das durch die Manege geführt werde, schreibt er im Buch.

Knapp 25 Jahre später hat sich wenig geändert, er ist einfach Entertainer geblieben. Mit 51 wirkt er heute teilweise sogar im gleichen Arbeitsumfeld wie früher, für Werder Bremen ist er eine Art Botschafter, der an Heimspielen die VIP-Gäste bespasst. Er könne nichts anderes als Fussball, sagte Aílton einmal in schonungsloser Ehrlichkeit. Sein Werdegang ist der Beweis dafür, dass das für das schöne, gute Leben völlig ausreicht, auch wenn man hier und dort mal die falsche Ausfahrt wählt.

Ab und zu spielt Aílton auch heute noch, in der Baller League oder an Hallenfussballturnieren. Vom grossen Fussball ist er lange weg, er versuchte sich auch nie als Trainer oder Funktionär. «Ich hatte zahlreiche Angebote, um Nachwuchscoach zu werden. Aber da brauchst du sehr viel Zeit. Und ich verbringe die lieber mit meiner Familie», sagt Aílton. Er ist fünffacher Familienvater, sein Sohn spielt ebenfalls Fussball.

Als das Gespräch auf seine Kinder fällt, wird Aílton ungewohnt ernst. Er sagt: «Ich will nicht, dass meine Kinder die gleichen Fehler machen wie ich. Man braucht Disziplin im Leben. Wir sind auch nach Bremen zurückgezogen, weil die Kinder das hier am besten lernen können.» Die Familie lebte auch schon in den USA und Brasilien – in der alten Heimat besitzt Aílton einen Rodeopark und eine Baufirma.

Der Start in Deutschland sei für einen Latino wie ihn nicht einfach gewesen, sagt Aílton. Er wunderte sich öffentlich über die Eigentümlichkeiten des Karnevals, bei dem die Deutschen sich entwürdigende Kostüme überstreiften, während man sich in Brasilien einfach freudig auszog. Längst hat er die westeuropäische Kultur jedoch schätzen gelernt. Und natürlich geniesst er seinen Status in Bremen, wo er bis heute ein Volksheld geblieben ist. Er kann in der Stadt kaum einen Meter gehen, ohne erkannt zu werden, was ihm schmeichelt.

1998 war Aílton mit fünf Millionen D-Mark Werders teuerster Einkauf der Klubgeschichte. Der Manager Willi Lemke hatte ihn nach langwierigen Verhandlungen in Mexiko abgeholt. Der im August verstorbene ehemalige SPD-Politiker konnte allerdings kein Portugiesisch. Während des Flugs nach Deutschland, so schreibt es Aílton, habe Lemke zwischen 30 und 50 Mal das Gleiche gesagt, nämlich: «Bremen bom», Bremen gut. Schade, hat der gute Mann nie Smalltalk-Kurse angeboten. Und gut wurde es ja tatsächlich, Aílton prägte eine Ära, der Werder bis heute nachtrauert.

Aber gibt es nichts, was Aílton retrospektiv anders machen würde? An der Meisterfeier vor laufenden TV-Kameras nackt ins Entmüdungsbecken zu springen, beispielsweise; «Bild» schrieb damals: «Erst bestieg Aílton den Meister-Gipfel, dann zeigte er den Meister-Zipfel», es war ein Satz, für den sich wahrscheinlich sogar Mario Barth, der Grossmeister des schlechten Geschmacks, schämen würde.

Oder sich für die Wok-WM hinzugeben, ein Trash-TV-Format, bei dem man davon ausgehen kann, dass die Torschützenkönige Harry Kane und Robert Lewandowski nie zum Teilnehmerfeld gehören werden. Nein, sagt Aílton, was denn an der Wok-WM falsch sein solle? Er sei wieder dabei, bei der neuesten Auflage, diesen Samstagabend auf Pro Sieben: «Eine geile Show, bisschen gefährlich, passt für Aílton.»

Zerreissprobe in Altach: Hier der Zuchtmeister Urs Schönenberger, dort das Enfant terrible Aílton

Wenn er etwas bereut, dann am ehesten die zahllosen Klubwechsel nach dem Weggang aus Bremen im Sommer 2004. In sechs Jahren spielte er für zwölf Vereine, es verschlug ihn unter anderem nach China, Serbien und Österreich. Im August 2008 landete er in Altach, in der Provinz Vorarlbergs. Bei seinem Debüt setzte es eine 0:1-Heimniederlage gegen den SV Ried ab, Aílton sagte danach: «For mi das nicht Profi-Mannschaft, das nicht Profi-Fussball. Unglaublig.»

Ailton: Das ist kein Fußball

Sein Trainer war der Zürcher Urs Schönenberger, ein gestrenger Hochbauzeichner, der mit dem FC Thun ein paar Jahre zuvor sensationell die Champions League erreicht hatte. Hier der asketische Disziplinfanatiker Schönenberger, dort der Lebemann Aílton. Der grinst vor der Laptop-Kamera und sagt: «Der Coach hat mir gesagt: ‹Aílton, du musst laufen.› Aber ich habe geantwortet: ‹Amigo, ich will nicht laufen, ich will Tore machen.›» Ende Dezember war Aílton weg, zwei Wochen später Schönenberger und am Saisonende auch Altach aus der höchsten Liga.

Bei GC hatte Aílton da bessere Erfahrungen gemacht. Im Buch stehen nur zwei Sätze über sein halbes Jahr in Zürich im Jahr 2007; «neun Tore in dreizehn Spielen waren keine schlechte Ausbeute». Es waren zwar nur acht, aber das Fazit stimmt schon. Es war die Saison des Abschieds aus dem Hardturm, der GC-Anhang empfing die neue Attraktion mit dem Spruchband: «Aílton – Welcome to Zurich’s Finest». Unter dem Coach Krassimir Balakov spielte er oft, bei einem 6:1-Sieg in Luzern gelang ihm ein Hattrick.

Was ist ihm sonst geblieben von diesem Intermezzo? «Zürich ist eine Super-Stadt mit vielen Latinos, ich hatte eine Menge Spass. Die Langstrasse ist eine gute Adresse, GC ein toller Klub», sagt Aílton. Es ist eine seiner Qualitäten: Er hat für alles und jeden ein warmes Wort übrig. Und nimmt dabei sich selbst nicht zu ernst, was sich wahrlich nicht von vielen Fussballprofis behaupten lässt.

Auf die Frage, was er sich erhoffe von diesem Buch, gibt Aílton die sehr einleuchtende Antwort: dass es sich gut verkaufe. Und dann ergänzt er: «Ich hoffe, die Leute haben Spass, wenn sie die schönen alten Geschichten von Aílton lesen können.» Es sei für ihn selbst eine Bereicherung gewesen, in alten Erinnerungen zu kramen. Auch wenn sie teilweise schmerzhaft seien.

Die finale Passage seines Buchs lautet so: «Nicht jeder Traum ist in Erfüllung gegangen. Aber ich habe mir einen Namen gemacht, eine Marke aufgebaut und mit Werder Bremen Geschichte geschrieben. Für einen Jungen aus Mogeiro ist das mehr, als ich erwarten konnte. Also, ja, ich bin zufrieden. Und ist es nicht das, was am Ende zählt?»

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