Freitag, Oktober 18

Vor dem Landgericht Tübingen beginnt am Freitag das Verfahren gegen Markus Kreitmayr, den früheren Chef des Kommandos Spezialkräfte. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm Strafvereitelung vor. Seine Verteidiger sagen, er habe verhindert, dass Munition in falsche Hände gerate.

Ein bisschen wirkt es wie ein Missverständnis, wenn an diesem Freitag in Tübingen der Prozess gegen den früheren Kommandeur des Eliteverbands der deutschen Bundeswehr beginnt. Markus Kreitmayr hat sich zwischen 2019 und 2021 erhebliche Verdienste bei der Aufklärung rechtsextremer Umtriebe im Kommando Spezialkräfte (KSK) in Calw erworben und eine Reform des Verbandes angestossen – und steht nun vor Gericht.

Grund dafür ist die «Munitionsaffäre». Die Staatsanwaltschaft hat Kreitmayr im Februar 2022 angeklagt, weil er Soldaten seines Verbandes die Möglichkeit gegeben hat, mutmasslich gestohlene Munition vor allem für Handfeuerwaffen anonym zurückzugeben. Seitdem steht der Vorwurf der «unterlassenen Mitwirkung bei Strafverfahren» im Raum, vergleichbar mit Strafvereitelung. Kreitmayr wurde inzwischen versetzt und kann bis zu einem rechtskräftigen Urteil nicht befördert werden.

Um das Verfahren gegen ihn einzuordnen, muss man in die Zeit zurückgehen, in der er noch nicht Kommandeur des KSK war. Damals hatte eine offenkundig aus dem Ruder gelaufene Abschiedsfeier («Schweinskopfparty») für den Chef der zweiten Kompanie für Schlagzeilen gesorgt. Auf der Party soll rechtsradikale Musik gespielt worden sein, lautete einer der Vorwürfe. Soldaten hätten den Hitlergruss gezeigt, lautete ein anderer.

Eine Mauer des Schweigens

Interne Ermittlungen unter anderem des Militärgeheimdienstes MAD liefen ins Leere. Die Soldaten der Kompanie bildeten eine Mauer des Schweigens. Der Vorwurf, in Deutschlands Militäreliteverband herrsche rechtsextremes Gedankengut, war immer wieder einmal erhoben worden. Nun aber machte er die Runde bis Berlin. Die Bundeswehrführung war aufgeschreckt. Annegret Kramp-Karrenbauer, die damalige Verteidigungsministerin von den Christlichdemokraten, schickte Kreitmayr nach Calw, um das KSK zu reformieren. Er hatte zu dieser Zeit im Ministerium gearbeitet und galt als untadeliger Offizier.

Doch auch Kreitmayr stiess auf interne Widerstände. Insbesondere in den Einsatzkompanien, aber auch im Unterstützungsbereich herrschte ein starker, mitunter toxischer Korpsgeist, der einen Zugang für Aussenstehende nahezu unmöglich machte. Seit seiner Gründung 1996 hat der Verband viele Kommandeure kommen und gehen sehen. Die Soldaten vor allem in den Kampfkompanien aber sind teilweise seit zehn, fünfzehn, mitunter sogar zwanzig Jahren dabei. Da gibt es interne Strukturen, die kein Kommandeur durchdringt.

Die mutmasslich rechtsextremen Vorfälle, die Kreitmayr aufklären sollte, vermischten sich Anfang 2020 mit dem Ergebnis einer Munitionsinventur. Sie hatte ergeben, dass etwa 28 000 Patronen für Gewehre und Pistolen fehlten. Schon in der Vergangenheit hatte es Vorwürfe gegeben, KSK-Soldaten hätten Munition entwendet oder verschwinden lassen. Die Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer sagte damals, für sie sei klar, «dass die Kultur der systematischen Missachtung von Regeln beim Umgang mit Munition vor der Übernahme des Kommandos durch General Kreitmayr auch Fragen an die Kommandoebene des KSK mindestens der Jahre 2017 und 2018 aufwirft sowie an die zuständige Dienstaufsicht».

Mehr Munition zurückgegeben, als das KSK vermisste

Bei einer Durchsuchung der Kaserne im Jahr 2017 konnte die Polizei aber nichts finden. Kreitmayr entschied sich schliesslich, etwas zu tun, was er von anderen westlichen Eliteverbänden kennt. Er liess in der Kaserne eine Amnestie-Box aufstellen. Die Soldaten sollten dort Munition straffrei zurückgeben dürfen. Bei dieser Sammelaktion sollen weitaus grössere Mengen zusammengekommen sein, als das KSK vermisst hatte, darunter vielfach nichtscharfe Übungsmunition.

Warum Kreitmayr die Amnestie erliess, darüber gibt es unterschiedliche Mutmassungen. Soldaten, die mit ihm darüber gesprochen haben, sagen, er habe verhindern wollen, dass Munition in falsche Hände gerate, womit Rechtsextreme gemeint gewesen seien. Die Staatsanwaltschaft wiederum erhob unter anderem den Vorwurf, Kreitmayr habe Straftaten vertuschen wollen.

Doch darum, betonen Kreitmayrs Anwälte, sei es ihm nie gegangen. Er habe die Sammelaktion vielmehr «unter Notstandsgesichtspunkten» angeordnet. Es habe «ein berichteter Fehlbestand geklärt» und verhindert werden müssen, dass «Munition möglicherweise in falsche Hände gerät». Hinweise auf Straftaten in seinem Verband habe Kreitmayr nicht gehabt.

Ministerium und Heereskommando frühzeitig informiert?

Die Staatsanwaltschaft legt Kreitmayr zudem zur Last, seinem Vorgesetzten einen Verdacht auf Straftaten nicht gemeldet und den Vorgang nicht an die Staatsanwaltschaft abgegeben zu haben. Laut dem Landgericht Tübingen ist es nun Gegenstand des Verfahrens, die «Berechtigung der von der Staatsanwaltschaft erhobenen Vorwürfe» zu klären. Es hatte gut zwei Jahre geprüft, ob es die Anklage überhaupt zulasse. Kreitmayrs Anwälte argumentieren, die Vorwürfe seien «tatsächlich und rechtlich unbegründet». Sie gingen davon aus, dass die Anklage vor dem Gericht keinen Bestand haben werde.

Das liegt möglicherweise auch daran, dass es Hinweise gibt, die darauf schliessen lassen, dass Kreitmayr das Verteidigungsministerium und das Heereskommando frühzeitig von der «Amnestie» in Kenntnis gesetzt hatte. So berichtete es der «Spiegel» im Februar 2021. Ausserdem soll aus einer Stellungnahme des Bundeswehrverbands, einer Soldatengewerkschaft, zu Kreitmayr aus dem Frühjahr 2021 ebenfalls hervorgehen, dass das Ministerium im Bilde gewesen sei. Die besagte Erklärung ist auf der Webseite des Verbands allerdings nicht mehr auffindbar.

Einige Wochen nach der Amnestie-Sammelaktion stiess die Polizei im Mai 2020 bei einem KSK-Soldaten in Sachsen auf ein Waffen-, Sprengstoff- und Munitionslager. Die Behörden hatten zuvor einen Hinweis vom MAD bekommen. Ausserdem fanden die Ermittler ein SS-Liederbuch und Postkarten mit nationalsozialistischen Symbolen. Das Landgericht Leipzig verurteilte den Stabsfeldwebel im März 2021 zu einer Bewährungsstrafe. Der Richter bescheinigte ihm eine «rechtsnationale Geisteshaltung», die im KSK offenbar verbreitet sei, wollte aber keine gefestigte rechtsextreme Haltung erkannt haben.

Kreitmayr hatte schon einmal juristischen Ärger. Kurz vor seiner Versetzung vom Kommando Spezialkräfte auf einen Posten in der Streitkräftebasis soll er im September 2021 bei einer Verkehrskontrolle mit einem erhöhten Alkoholblutwert von 1,8 Promille erwischt worden sein. Ab 1,1 Promille gilt Fahren unter Alkohol als Straftat. Ob es in der Sache bisher ein Verfahren gegeben hat, ist nicht öffentlich bekannt.

Der Prozess gegen den früheren KSK-Kommandeur in Tübingen ist zunächst auf vier Tage bis Ende Februar angesetzt.

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