Donnerstag, Dezember 26

Im November 2021 erschoss ein Jugendlicher vier Mitschüler an seiner Highschool. Jetzt wurde seine Mutter zur Verantwortung gezogen. Das Urteil ist umstritten.

Für die Schulen im amerikanischen Gliedstaat Michigan ist der 30. November 2021 der wohl dunkelste Tag ihrer Geschichte. Der damals 15-jährige Ethan C. zieht an jenem Dienstag an einer Highschool nördlich der Metropole Detroit 30 Mal den Abzug seiner Pistole. Er tötet vier Mitschüler im Alter von 14 bis 17 Jahren, sieben weitere Personen werden verletzt. Es ist der blutigste Amoklauf, den es je an einer Schule in dem Gliedstaat gegeben hat.

Mehr als zwei Jahre nach dem Amoklauf beschäftigt der Fall die Behörden in Michigan noch immer. Am Dienstag hat ein Gericht in Pontiac sein jüngstes Urteil zu dem Amoklauf gefällt. Dieses betrifft allerdings nicht den damaligen Schützen. Ethan C. wurde bereits im Jahr 2022 zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt. Jetzt stand Jennifer C. im Zentrum der Verhandlungen – die Mutter des Amokläufers.

Die Eltern ignorierten Warnsignale und kauften die Tatwaffe

Obwohl Jennifer C. niemanden umgebracht hat, wurde sie am Dienstag von den Geschworenen nach elfstündiger Beratung in vier Fällen der fahrlässigen Tötung schuldig gesprochen – einmal für jedes Opfer. Der Schuldspruch ist durchaus brisant. Noch nie zuvor wurde in den USA ein Elternteil eines Todesschützen der fahrlässigen Tötung schuldig gesprochen.

Die Staatsanwältin Karen McDonald warf Jennifer C. in ihrem Schlussplädoyer vor, die elterliche Sorgfaltspflicht vernachlässigt zu haben. Sie habe nicht nur die Tatwaffe gekauft, sondern ihrem minderjährigen Kind auch Zugang zu dieser gewährleistet. Die Tat hätte leicht verhindert werden können, wenn die Mutter die Waffe und die Munition fachgerecht weggesperrt hätte, betonte McDonald.

Zudem warf McDonald Jennifer C. vor, mehrere Warnsignale aus dem schulischen Umfeld ignoriert zu haben. Bereits Monate vor der Tat habe es in Textnachrichten von Ethan Hinweise auf eine psychische Störung gegeben. Die Eltern seien jedoch nicht auf diese eingegangen. Auch als die Schulleitung die Eltern per Mail darauf hingewiesen hatte, dass Ethan während des Unterrichts im Internet nach Munition suchte, erhielt sie keine Antwort.

Am Morgen des Attentats selbst waren die Eltern in der Schule vorgeladen. Lehrpersonen hatten auf einem Arbeitsblatt von Ethan verstörende Zeichnungen einer Waffe und einer Leiche entdeckt, versehen mit dem Text: «Die Gedanken hören nicht auf. Helft mir.» Dennoch weigerten sich die Eltern an jenem Morgen, ihren Sohn mit nach Hause zu nehmen. Wenige Stunden später eröffnete er das Feuer.

Der Mutter des Täters drohen bis zu 15 Jahre Haft

Jennifer C. plädierte vor Gericht auf nicht schuldig. Trotz den Warnsignalen habe sie nicht ahnen können, dass ihr Sohn unter einer psychischen Störung leide und eine Gefahr für andere darstelle. «Als Mutter verbringt man sein ganzes Leben damit, sein Kind vor Gefahren zu schützen», sagte sie vor Gericht. Man käme nie auf die Idee, sein Kind davor zu schützen, dass es jemand anderem Schaden zufügt.

Nun drohen Jennifer C. bis zu 15 Jahre Haft. Im April soll das Strafmass verkündet werden. Ihrem Ehemann James wird im März ein separater Prozess gemacht.

Wie weit soll die Verantwortung der Eltern gehen?

In den USA ist der Schuldspruch von Jennifer C. umstritten. In einer Zeit, in der tödliche Fälle von Waffengewalt an Schulen und Universitäten zunimmt, wird erneut die Frage aufgeworfen: Können Eltern für die Verbrechen ihrer Kinder verantwortlich gemacht werden?

Vor allem bei den Angehörigen der Opfer des Amoklaufs in Michigan sorgt die Verurteilung der Mutter für viel Zuspruch, wie aus Gesprächsprotokollen amerikanischer Medien hervorgeht. Sie sehen die Eltern klar mitschuldig am Handeln ihres Sohnes. «So sollte das System funktionieren», sagte der Vater einer getöteten Schülerin dem Fernsehsender CNN nach der Gerichtsverhandlung.

Experten hingegen warnen davor, dass mit dem Urteil ein gefährlicher Präzedenzfall geschaffen würde. Dieser könne dazu führen, dass die Staatsanwaltschaft künftig aktiv nach Sündenböcken suche. «Bei vielen Eltern dürfte das ein ungutes Gefühl zurücklassen», sagte der Strafrechtsprofessor Ekow N. Yankah der «New York Times».

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