Das Halbleiterunternehmen und die Online-Apotheke stellen die Leidensfähigkeit der Aktionäre auf die Probe. The Market geht der Frage nach, ob sich Beharrlichkeit bei diesen scheinbar ewigen Turnaround-Kandidaten doch auszahlen kann.
Kaum ist wieder einmal Hoffnung aufgekommen, folgt der nächste Rückschlag: Die Aktionäre von AMS Osram und DocMorris kennen dieses nervenzehrende Wechselspiel zur Genüge. Wer den Stab über den Unternehmen bricht, wird viel Zustimmung aus dem Kreis von Enttäuschten ernten.
Werden in dieser Stimmungslage die Risiken von den Investoren überbetont und die Chancen unterschätzt? Wer sich von den Turnaround-Kandidaten ein Bild machen will, sollte dies anhand der folgenden drei Kriterien tun: Die Grundlage für eine erfolgreiche Wende bilden erstens konkurrenzfähige Produkte, mit denen gute Marktpositionen gehalten werden, zweitens eine tragfähige Bilanz sowie drittens ein vertrauenswürdiges Management.
AMS Osram: tief gefallen
Die Aktien von AMS, heute AMS Osram, haben verglichen mit dem Höchst von 2018 fast 81 Fr. oder 99% verloren. Der langjährige Kursverfall zeigt: Beim Anbieter von optischen Lösungen wie Leuchtdioden (LED), Sensoren oder Lampen war ein Managementwechsel überfällig geworden.
Die neue Konzernführung mit Aldo Kamper, CEO seit April 2023, und Rainer Irle, CFO seit Juli 2023, verzeichnete einen schwierigen Start: Im vergangenen September musste sie eine überraschend umfangreiche und für die Aktionäre schmerzhafte Kapitalerhöhung ankündigen – es war nach dem sorglosen Finanzgebaren der Vorgängercrew der notwendige und richtige Weg, um die angeschlagene Bilanz zu stärken.
Schock auf Schock
Ende Februar folgte ein weiterer Schock für die Aktionäre: Der Licht- und Sensorspezialist gab bekannt, das Schlüsselprojekt der MicroLED-Strategie sei «unerwartet storniert» worden – dass es sich bei dem Grosskunden um Apple handelte, ist ein offenes Geheimnis. Initiiert hatte das Projekt, für das AMS Osram in Malaysia eigens eine Fabrik für 800 Mio. € baute, die frühere Konzernführung.
Als Folge dessen ist der Aktienkurs seit Kampers Amtsantritt um gut 6 Fr. oder 85% gesunken. Immerhin hat AMS Osram mit dem im Juli präsentierten Zwischenergebnis – entgegen manchen Befürchtungen – die Markterwartungen erfüllt. Mit 16,5% lag die Marge auf Stufe Ebitda im zweiten Quartal sogar über dem Analystenkonsens.
Neues Management mit Bodenhaftung
Die Profitabilitätssteigerung verdankt sich vorab dem im Juli 2023 lancierten Effizienzprogramm. In seinem Rahmen sind bisher 60 Mio. € eingespart worden. Damit liegt man im Plan, der vorsieht, verglichen mit dem letztjährigen Stand bis Ende 2024 jährliche Kosteneinsparungen von 75 Mio. € und bis Ende 2025 von 150 Mio. € zu realisieren.
Marktbeobachter bescheinigen dem Management denn auch, auf dem richtigen Weg zu sein. Stephan Sola, Manager des Plutos-Schweiz Fund, hat Vertrauen in CEO Kamper und CFO Irle: «Sie sagen, was Fakt ist, und jagen anders als ihre Vorgänger nicht mehr das nächste Einhorn.» Aus einem persönlichen Gespräch hat Sola kürzlich den Eindruck mitgenommen, dass Kamper mit der Entwicklung des Unternehmens überaus zufrieden ist – abgesehen vom Schock der Stornierung des MicroLED-Projekts.
Etikett mit Beigeschmack
Seit dem Zusammenschluss von AMS und Osram 2020 ist das Unternehmen viel stärker auf den Automobilmarkt ausgerichtet. Im letzten Jahr hat das Geschäft insgesamt 52% zum Umsatz beigetragen. Beobachter sagen, AMS Osram sei jetzt in erster Linie ein Autozulieferer, was angesichts des allgemein harten Wettbewerbs in diesem Markt einen abwertenden Beigeschmack hat.
Die AMS-Osram-Gruppe ist auch im Consumer-Markt tätig, in dem sie zuletzt 19% des Umsatzes erwirtschaftet hat. Sie liefert etwa Umgebungslichtsensoren für die Kameras von acht der zehn Top-Smartphone-Modelle. Auch Apple ist als Kunde wohl erhalten geblieben: Dem Vernehmen nach hat sich CEO Kamper auf den US-Konzern bezogen mit seiner jüngsten Anmerkung, dass die Produktion von Umgebungslichtsensoren für einen Grosskunden jetzt anlaufe, was den Umsatz von AMS Osram im zweiten Halbjahr positiv beeinflusse.
Margenziel als Wink
Attraktive Produkte bietet die Gruppe auch für den Automobilmarkt. So sei sie im 3,3 Mrd. $ schweren Marktsegment für LED-Lieferanten mit einem Anteil von 34% die Nummer eins. Als vielversprechend gilt etwa das anlaufende Geschäft mit Eviyos. Es handelt sich dabei um einen LED-Chip für Scheinwerfer, der dank zusätzlichen Sicherheitsfunktionen auf erhebliches Interesse bei Autoherstellern stossen soll.
Dass AMS Osram mehr ist als ein «normaler» Autozulieferer, zeigt sich letztlich auch im Margenziel: Gruppenweit soll der adjustierte Ebit bis 2026 von zuletzt rund 7 auf 15% des Umsatzes steigen, während so manche Zulieferer der Autoindustrie Mühe bekunden, zweistellige Prozentraten zu erzielen.
Die Achillesferse
Die Bilanz bleibt – trotz der umfangreichen Kapitalerhöhung – der Schwachpunkt von AMS Osram. Im ersten Halbjahr stiegen die Nettoschulden um 281 Mio. auf 2 Mrd. €. Das ist zu viel, gerade für ein zyklisch anfälliges Unternehmen.
Wie Fondsmanager Sola betont, ist es wichtig, für die neue und mit der Stornierung des MicroLED-Projekts nicht mehr benötigte Fabrik in Malaysia «eine gute Lösung» zu finden. Das bedeutet, den Ausstieg aus dem dafür abgeschlossenen Sale-and-Lease-Back-Vertrag zu bewerkstelligen und die Fabrik an einen neuen Leasingnehmer zu übergeben. Damit will AMS Osram die Nettoschulden um 400 Mio. € senken.
Sola erwartet eine Lösung für die Fabrik erst für 2025. Daneben stelle sich noch die Frage, ob die dortigen Maschinen selbst genutzt oder verkauft werden könnten.
Um die Nettoschulden wie geplant unter das Zweifache des Ebitda zu drücken, muss AMS Osram auch die Ziele erfüllen. Dazu gehören neben der Profitabilitätssteigerung ein Umsatzwachstum von 6 bis 8% pro anno bis 2026 sowie eine Reduktion der Investitionsausgaben (Capex) auf 10% des Umsatzes.
Das Damoklesschwert
Werden die Ziele einigermassen erreicht, werden die Schulden gut zu verkraften sein und haben die Aktien von AMS Osram Aufholpotenzial. Derzeit ist das Umfeld weiter schwierig: Kürzlich wurde die Prognose für die weltweite Autoproduktion im zweiten Halbjahr nach unten revidiert.
In seinem Ausblick geht das AMS-Osram-Management davon aus, dass in seinem Halbleitergeschäft die Nachfrage nach Automobilprodukten schwächer wird. Dennoch sollte sich der Umsatz des Unternehmens im zweiten Halbjahr im Vergleich zum ersten verbessern, in erster Linie aufgrund des Hochlaufs von Design Wins, mit denen die Halbleiterprodukte wie Eviyos in neuen Plattformen der Kunden einbezogen werden. Die Produktpalette findet offenbar Anklang.
Auch über AMS Osram hängt indes das Damoklesschwert einer Rezession. Wie Sola sagt, ist eine Rezession für kein Unternehmen gut, «für stark verschuldete aber doppelt so schlimm». Er rechnet jedoch mit einer sanften Landung der Wirtschaft, weshalb die Aktien von AMS Osram in seinem Plutos-Schweiz Fund prominent vertreten bleiben.
Wer als Investor mit einer harten Landung rechnet, sollte mit einem Engagement in den Werten des Halbleiterherstellers besser zuwarten.
DocMorris: das lange Warten
Anders gelagert ist der Fall von DocMorris. Die Online-Apotheke hatte mit dem im Februar 2023 angekündigten Verkauf ihres rentablen Schweizer Geschäfts an die Migros-Tochter Medbase zu einem Befreiungsschlag ausgeholt und ihr drängendes Schuldenproblem gelöst.
In der ersten Hälfte dieses Jahres hat sie die ausstehenden Wandelanleihen mit Fälligkeit 2025 vorzeitig zurückgezahlt und sie mit der Ausgabe einer Wandelanleihe in Höhe von 200 Mio. Fr. mit Fälligkeit 2029 refinanziert. Per Ende Juni hat sie nun Bar- sowie barähnliche Mittel von 195 Mio. Fr. vorzuweisen, und rund die Hälfte der Finanzverbindlichkeiten wird erst im Mai 2029 fällig: Das Unternehmen sollte genügend Spielraum und Zeit haben, um den Weg in die Profitabilität zu schaffen.
Regulatorische Hürden genommen
Mit dem Verkauf des Schweizer Geschäfts hat DocMorris im Grunde endgültig alles auf eine Karte gesetzt: auf das Online-Geschäft in Deutschland. Der deutsche Markt für rezeptpflichtige oder Rx-Medikamente wird auf rund 55 Mrd. € beziffert – bis dato wird indes nicht einmal 1% der Rezepte online eingelöst, in etwa zu gleichen Teilen bei DocMorris und ihrem grossen Konkurrenten Redcare Pharmacy.
Wichtige regulatorische Hürden für die Ausweitung dieses Online-Anteils am Medikamentenhandel sind genommen – endlich: Seit 1. Januar ist das E-Rezept in Deutschland verpflichtend, die Ärzte müssen den gesetzlich Versicherten Rezepte elektronisch ausstellen.
Am 10. April hat DocMorris von Gematik, der deutschen Agentur für Digitale Medizin, die Zulassung für ihre CardLink-Lösung erhalten. Über eine App können die Kunden seit Mitte April E-Rezepte nun voll digital einlösen. Das bedeutet auch: Wer ein E-Rezept bis 20 Uhr bei DocMorris einlöst, erhält das Medikament am nächsten Werktag geliefert. Am 6. Mai hat Redcare ebenfalls eine eigene App lanciert. Beiden Konkurrenten gilt die CardLink-Lösung als entscheidender Schritt bei der Gewinnung von Neukunden.
Langsame Fortschritte
Doch der Wandlungsprozess verläuft noch schleppend, gerade bei DocMorris. Im ersten Halbjahr wuchs ihr Aussenumsatz, inklusive Partnerapotheken, in Lokalwährung um 8,4% auf 530,1 Mio. Fr., gegen 10 Mio. Fr. weniger als erwartet. Das Unternehmen hat die Jahresprognose darauf nach unten angepasst: Die Wachstumsrate soll statt mehr als 10 nun 5 bis 10% betragen.
Zurzeit ist noch ein Ablöseprozess im Gang: Der Umsatz auf Basis von Papierrezepten ist in diesem Jahr stark gesunken, inzwischen wird dieser Effekt durch den Zuwachs beim Umsatz mit E-Rezepten (eRx) aber überkompensiert. Im Juli ist der Umsatz mit rezeptpflichtigen Medikamenten verglichen mit dem Durchschnitt der ersten drei Monate insgesamt um 36% gestiegen – wobei aber der entscheidende eRx-Umsatz nicht so stark wuchs wie von der Zürcher Kantonalbank erhofft.
Auf und Ab im Marketing
Ein anderer Kritikpunkt sind die Marketingkosten: DocMorris hat im ersten Halbjahr unerwartet einen zusätzlichen zweistelligen Millionenbetrag investiert, um in Deutschland neue Kunden gewinnen zu können. Die Zürcher KB kann die Erklärungen des Managements für diese Zunahme der Marketingausgaben, die nun 15 Mio. Fr höher als budgetiert ausfallen, nur zu einem Teil nachvollziehen.
Fondsmanager Sola erläutert, dass die finanziell bedrängte DocMorris im Rahmen ihres 2022 gestarteten Break-even-Programms, mit dem die Kosten um 90 Mio. Fr. reduziert wurden, vor allem auch beim Marketing gespart hatte. Als Folge davon hat sie im Online-Handel Marktanteile an Redcare verloren – und hat nun offenbar eine Flucht nach vorne angetreten.
Ein wichtiger Teil der zusätzlichen Marketingausgaben dürfte gemäss Sola in die Telemedizin fliessen. DocMorris hält in dem Bereich die führende Position in Deutschland: Ihre Tochter TeleClinic ermöglicht Online-Sprechstunden mit Ärzten, über eine App erhalten die Patienten direkt E-Rezepte oder Krankschreibungen. Im System von DocMorris ist TeleClinic ein wichtiger Pfeiler. Ihr Umsatz hat sich im ersten Halbjahr verdoppelt und soll 2024 auf mehr als 10 Mio. Fr. steigen, bei zweistelliger Ebitda-Marge.
Die zusätzlichen Marketingausgaben verlängern den Weg in die Profitabilität indes erneut. DocMorris hat die Jahresprognose für den bereinigten Ebitda reduziert: Neu ist auf dieser Stufe mit einem Minus von 50 Mio. Fr zu rechnen statt von 0 bis 35 Mio. Fr. Mittelfristig strebt das Management aber nach wie vor eine Ebitda-Marge von 8% an.
Verschiedene Ansichten
Auf der Jagd nach Marktanteilen sei bei DocMorris «Geduld gefragt», meint der Analyst der Zürcher KB, der die Aktien mit «Übergewichten» einstuft. Er geht unverändert davon aus, dass im deutschen Markt bis 2026 rund 5% sämtlicher Rezepte online eingelöst werden. Zurzeit liegt der Marktanteil der Online-Apotheken noch unter 1%.
Gerade für chronische Patienten, auf die vier Fünftel der Nachfrage nach rezeptpflichtigen Arzneimitteln entfallen, müsste der Online-Handel Erleichterungen bringen, meint Sola. Aus seiner Sicht ist die Stimmung gegenüber DocMorris viel zu negativ, weil von einer zu kurzfristigen Sichtweise bestimmt. In seinem Plutos-Schweiz Fund nimmt die Online-Apotheke weiter eine wichtige Position ein.
UBS hat dagegen ihre Verkaufsempfehlung für die Aktie in dieser Woche bestätigt. Davor schon brachte der Analyst ins Spiel, dass die Apps der deutschen Krankenkassen diejenigen der Online-Apotheken konkurrenzieren und Verkehr von ihnen weglenken könnten. Laut Sola sehen das sowohl DocMorris als auch Redcare als unwahrscheinlich an, und es deute derzeit auch nichts darauf hin.
Manchmal dauert es länger
The Market schrieb vor über einem Jahr, dass DocMorris auf tiefem Niveau eine neue Chance biete. Heute liegt der Aktienkurs, nach einem zeitweiligen Anstieg auf mehr als 100 Fr., mit rund 37 Fr. wieder unter diesem Ausgangspunkt. Die ständigen Rückschläge sind zermürbend. Das schürt Zweifel am Management, auch wenn regulatorisch bedingte Verzögerungen nicht in seiner Verantwortung lagen. Die Bilanz ist jedoch saniert, und die Marktposition im Online-Handel mit Medikamenten stimmt. Für nervenstarke Anleger sind die Titel damit eine Überlegung wert – auch wenn die Kursausschläge auf absehbare Zeit hoch bleiben werden.
Häufig dauert es eben länger als erhofft, bis ein Turnaround-Kandidat die Wende schafft und der Aktienkurs die Tiefs endlich hinter sich lässt.