Das Argument der Einzigartigkeit Amerikas rückt in den Hintergrund. Der politische Sinneswandel in Europa und in China hat das Potenzial, einen längerfristigen Trend zu starten – Donald Trump sei Dank.

«Angesichts der Bedrohungen unserer Freiheit und des Friedens auf unserem Kontinent muss jetzt auch für unsere Verteidigung gelten: Whatever it takes.»
Friedrich Merz, dt. Politiker u. Kanzlerkandidat (*1955)

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«Oberste Priorität für 2025 ist es, den Konsum energisch anzukurbeln.»
Li Qiang, Premierminister d. VR China (*1959)

Im November und Dezember des vergangenen Jahres, nach dem Wahlsieg von Donald Trump, dominierte ein Begriff die Diskussion an den internationalen Finanzmärkten: American Exceptionalism.

Die Wirtschaft der USA ist im globalen Vergleich – vor allem im Kontrast zum schwachen Europa und zum lahmen China – einzigartig robust. Amerikas Innovationskraft, etwa auf dem Gebiet der künstlichen Intelligenz, ist unschlagbar. Nirgends auf der Welt sind die Rahmenbedingungen für Unternehmen besser – dank Trump werden sie noch besser. Und die Dominanz der amerikanischen Tech-Kolosse ist hart wie Stahl: An den «Magnificent Seven» – Nvidia, Microsoft, Apple, Amazon, Alphabet, Meta und Tesla – kommt niemand vorbei.

Nichts kann den Rekordlauf des S&P 500 und des Nasdaq 100 stoppen.

Das waren die Argumente, die das Narrativ des American Exceptionalism untermauerten. Sie dienten dazu, den signifikanten Bewertungsbonus zu rechtfertigen, den der US-Aktienmarkt gegenüber dem Rest der Welt aufwies.

Heute wissen wir: Als die gesamte Anlagewelt die Einzigartigkeit Amerikas feierte, war die Zeit reif, «short» zu gehen und Kapital an andere Orte zu verschieben. Getreu nach George Soros, einem der intelligentesten Investoren aller Zeiten: «Wir müssen das Offensichtliche diskontieren und das Kapital in Richtung des Unerwarteten lenken.»

Seit Ende 2024 zeigt sich eine bemerkenswerte Verlagerung der Präferenzen an den Aktienmärkten. Besonders die Börsen in Europa und China glänzen mit Gewinnen, während die US-Börsen in Rücklage geraten.

Der Nasdaq 100 steht an einer kritischen Wegmarke. Gestern Donnerstag hat der Tech-Index zum ersten Mal seit mehr als zwei Jahren unter seiner 200-Tage-Durchschnittslinie (rot) geschlossen.

Besonders brutal erwischt hat es Tesla: Der Aktienkurs des Elektroautoherstellers ist seit Jahresbeginn um 35% eingebrochen. Man darf sich fragen, mit wie viel Enthusiasmus die Tesla-Aktionäre heute auf die Tatsache blicken, dass der CEO ihres Unternehmens, Elon Musk, seine Zeit offenbar primär als Clown im Weissen Haus verbringt.

Die vergangenen zehn Handelswochen könnten den Beginn einer längeren Entwicklung darstellen. «Perioden relativer Stärke des Stoxx Europe 600 zum S&P 500 hat es immer wieder gegeben, wovon eine der längeren von Mai 2003 bis Juli 2007 anhielt», schreibt der Marktbeobachter Alfons Cortés in seinem neusten Beitrag. Und: «Die Geschichte, dass die US-Wirtschaft ungleich dynamischer, innovativer und stärker sei als die europäischer Länder, greift in dieser Marktkonstellation nicht. Jetzt spielen andere Faktoren eine Rolle, darunter Bewertungen, die Aufrüstung in Europa und eine vom Präsidenten skizzierte Wirtschaftspolitik in den USA, die, wenn sie umgesetzt wird, ganz einfach nicht aufgehen kann.»

Wir haben vergangene Woche bereits dargelegt, dass die Nutzniesser der MAGA-Politik Trumps («Make America Great Again») – auf den ersten Blick paradoxerweise – an den Aktienmärkten ausserhalb der USA zu finden sind. Im dieswöchigen «Big Picture» tauchen wir noch etwas tiefer in das Thema ein.

«Die Konsumenten in Amerika können einen harten Schlag einstecken, ohne umzufallen. Erst beim zweiten Schlag gehen sie in die Knie», pflegt Louis Gave von der Research-Boutique Gavekal zu sagen. Das ist sein Argument, weshalb es in den vergangenen drei Jahren in den USA – obwohl von vielen Ökonomen wiederholt prognostiziert – zu keiner Rezession gekommen ist.

Zwar mussten die Konsumenten (und Unternehmen) einen heftigen Anstieg der Zinsen verdauen – aber das blieb der einzige Schlag. Es gab nach der Invasion Russlands in die Ukraine 2022 in den USA keine lange anhaltende Energiepreiskrise, und eine drohende Finanzkrise nach dem Kollaps der Silicon Valley Bank vor genau zwei Jahren wurde von der Notenbank (Fed) im Keim erstickt.

Doch nun könnte der zweite Schlag für die US-Konsumenten drohen. Und zu verdanken haben sie ihn ihrem eigenen Präsidenten. Mit seiner wirren Zollpolitik und dem Berserkerlauf der Musk-Truppe im Behördenapparat hat Trump offenbar bereits so viel Unsicherheit gestiftet, dass das Vertrauen der Konsumenten stark gesunken ist und sie steigende Inflation – eine logische Folge der Importzölle – erwarten.

Der vom Institute for Supply Management (ISM) erhobene Einkaufsmanagerindex des Industriesektors sandte diese Woche ebenfalls ein ominöses Signal: Er sank im Februar leicht stärker als erwartet auf 50,3, nach 50,9 im Vormonat. Zwar zeigt der konjunkturelle Vorlaufindikator damit immer noch eine leichte Expansion der Dynamik an. Doch die Subkomponente der neuen Bestellungen (New Orders) – ein Vorlaufindikator innerhalb des Vorlaufindikators – brach auf 48,6 (Vormonat: 55,1) ein. Es handelt sich dabei um den grössten Monatsrückschlag seit April 2020. Die Subkomponente der bezahlten Preise (Prices Paid) schnellte dagegen auf 62,4 in die Höhe, verglichen mit 54,9 im Januar.

Eine Abschwächung der konjunkturellen Dynamik bei gleichzeitig steigendem Inflationsdruck lässt die Befürchtung einer Phase der Stagflation steigen. Pikanterweise haben sowohl Trump als auch sein Finanzminister Scott Bessent in den vergangenen Tagen davon gesprochen, dass die Zollpolitik dem langfristigen Wohl des Landes diene, sie kurzfristig aber mit Erschütterungen verbunden sei. Bessent sagte, eine Wirtschaftsschwäche im laufenden Jahr gehe noch auf das Konto der Vorgängerregierung von Joe Biden.

Aufsehen erregte der GDPNow-Echtzeitindikator der Distriktnotenbank Atlanta, der für das laufende, erste Jahresquartal plötzlich einen Rückgang der Wirtschaftsleistung von 2,4% signalisiert.

Der Indikator dürfte zwar gegenwärtig verzerrt sein, weil die Importe der USA in Antizipation der Trump-Zölle in die Höhe geschnellt sind. Trotzdem müssen sich Investoren plötzlich mit der Perspektive befassen, dass die US-Wirtschaft ihre Robustheit verloren hat und in eine empfindliche Abkühlung gleitet.

Marginal unter den Prognosen blieb der mit Spannung erwartete Arbeitsmarktbericht für den Monat Februar: Demnach hat die US-Wirtschaft im Berichtsmonat 151’000 neue Stellen geschaffen (erwartet: 160’000). Die Arbeitslosenquote stieg auf 4,1%, nach 4% im Vormonat.

Regelmässige Leserinnen und Leser dieser Zeilen wissen: Wir halten wenig von Konjunkturprognosen. Aber wir beobachten die Finanzmärkte – und registrieren dort Signale, die zeigen, dass die Befürchtungen eines Abschwungs der US-Wirtschaft steigen. Nachfolgend illustriert mit Hilfe von vier Charts.

Erstens: Der Sektor Basiskonsum (Staples, d.h. Konsumgüter des täglichen Bedarfs) im S&P 500 performt seit Mitte Januar deutlich besser als der Sektor zyklischer Konsum (Consumer Discretionary). Das ist in der Regel dann der Fall, wenn Investoren die Sicherheit defensiver Aktien suchen, weil sie einen Abschwung erwarten.

Zweitens: Die besonders konjunktursensitiven Aktien aus den Bereichen Transport (Airlines, Paketdienste, Eisenbahnen; gelbe Kurve) und Häuserbau (rot) entwickeln sich seit Beginn des Jahres deutlich schwächer als der breite Markt (blau).

Drittens ist der Ölpreis der US-Referenzsorte West Texas Intermediate seit Mitte Januar kontinuierlich gefallen.

Viertens hat sich der Risikoaufschlag (Spread) von Hochzinsanleihen (High Yield bzw. «Junk» Bonds) im US-Unternehmenssektor seit Anfang Februar um knapp 30 Basispunkte erhöht.

Zwar liegt der Spread damit historisch betrachtet weiterhin auf einem sehr tiefen Niveau und signalisiert keine grosse Besorgnis, doch diesen Indikator wird man in den kommenden Wochen gut im Auge behalten müssen (Anmerkung: Wir publizieren die High-Yield-Spreads für die USA und Europa in unserem wöchentlichen The Market Chart Pack auf Seite 26).

Die Grenzveränderung in der Konjunkturdynamik in den USA zeigt derzeit also nach unten. In Europa und China ist das Bild umgekehrt: Dort zeigt sie nach oben.

«Ich glaube immer noch nicht, dass die gewaltige Tragweite dieser Nachricht von den globalen Investoren auch nur annähernd vollständig erfasst wurde. Das ist eine tektonische Verschiebung von epischen Ausmassen»: So schätzt Jim Reid, globaler Chefökonom der Deutschen Bank, die Signale ein, die in den vergangenen Tagen aus Berlin an die Finanzmärkte gesandt wurden.

Friedrich Merz, der voraussichtlich nächste Bundeskanzler Deutschlands, hat alle Erwartungen übertroffen, als er am Dienstagabend sein mit den Sozialdemokraten abgeschlossenes «Whatever it takes»-Abkommen präsentierte. Der Vorschlag sieht eine Anpassung der Schuldenbremse vor, um einen mit 500 Mrd. € dotierten Fonds für Investitionen in die deutsche Infrastruktur aufzulegen. Zudem sollen künftig Rüstungsinvestitionen oberhalb der Grenze von 1% des BIP von der Schuldenbremse ausgenommen sein.

Gestern Donnerstag doppelten die 27 Regierungschefs der EU nach. Sie einigten sich im Grundsatz darauf, 150 Mrd. € an Verteidigungsinvestitionen in Form gemeinsam ausgegebener Anleihen zu finanzieren sowie die Fiskalkriterien zu lockern, um den EU-Mitgliedsstaaten höhere Rüstungsausgaben zu ermöglichen.

Wir teilen die Meinung von Jim Reid: Das ist ein epischer, extrem wichtiger Stimmungswandel, der von Friedrich Merz angestossen wurde. Deutschlands Austeritätspolitik, eine Konstante der vergangenen zwei Jahrzehnte, ist vorbei. Merz, dessen Partei während und nach der Eurokrise den «Fetisch» der schwarzen Null im Staatshaushalt feierte, hat die Zeichen der Zeit erkannt.

«Only Nixon could go to China»: Nur ein harter Republikaner wie Richard Nixon konnte es sich 1972 erlauben, nach Peking zu reisen und einen Deal mit dem Kommunisten Mao zu schliessen. In Anlehnung daran kann es heute heissen: Nur der CDU-Politiker Merz kann es sich erlauben, Deutschlands Schuldenbremse substanziell aufzuweichen.

Es ist unserer Ansicht nach der richtige Weg, den er eingeschlagen hat. Deutschland hat viel zu lange seine Binnennachfrage, seine Infrastruktur und seine Verteidigung vernachlässigt. Nach fünf Jahren Stagnation hat die wichtigste Volkswirtschaft Europas einen Wachstumsschub nötig. Merz› Ankündigungen dürften Mario Draghi ein Lächeln ins Gesicht gezaubert haben: Der ehemalige Vorsitzende der Europäischen Zentralbank hatte im September 2024 in einem umfassenden Bericht argumentiert, dass Europa eine Stärkung des Binnenmarktes sowie erhebliche Investitionen benötigt.

Wie es scheint, hat der rüde Auftritt von US-Vizepräsident JD Vance an der Münchner Sicherheitskonferenz vor einem Monat sowie die Abfertigung des Präsidenten der Ukraine, Wolodimir Selenski, im Weissen Haus vor einer Woche eine Schockwelle historischen Ausmasses durch Europas Hauptstädte gesandt.

Entsprechend heftig waren auch die Reaktionen der Finanzmärkte auf die Nachrichten aus Berlin und Brüssel. Die Rendite zehnjähriger deutscher Bundesanleihen verzeichnete am Mittwoch mit einem Plus von knapp 30 Basispunkten den grössten Tagessprung seit 1990:

Auch die Anleihenrenditen der anderen EU-Staaten wurden nach oben gezogen:

Überaus heftig, im positiven Sinn, fiel die Reaktion an den Aktienmärkten aus. Titel von Unternehmen, die an der Baukonjunktur Deutschlands hängen – beispielsweise der Zementhersteller Heidelberg Materials, der Baukonzern Hochtief oder aus der Schweiz der Sanitärspezialist Geberit –, verzeichneten kräftige Gewinne.

Der MDax, der als besonders konjunktursensitiv geltende Index der mittelgrossen Unternehmen Deutschlands, schnellte in vier Handelstagen um mehr als 7% in die Höhe.

Im Kontext der gesamten EU hat es der Euro Stoxx 50 Index der fünfzig grössten Standardwerte – endlich – geschafft, sein zur Jahrtausendwende markiertes Rekordhoch zu übertreffen.

Der fiskalpolitische Impuls wird in Europa in den kommenden Jahren für deutlich mehr Wachstum sorgen – und entsprechend Anlagekapital anziehen. Die Chancen für eine länger anhaltende Überperformance europäischer Aktien stehen unserer Ansicht nach gut.

Wie man mit ETF auf diese Anlagethese setzen kann, lesen Sie in diesem Beitrag von Sandro Rosa. Welche Einzelaktien besonders attraktiv sein dürften, zeigt Kollege Henning Hölder hier.

Nicht nur in Europa findet derzeit ein aus Investorensicht wichtiger Stimmungswandel statt. Auch in China bewegen sich die Dinge – und zwar in die richtige Richtung.

Nach dem medial inszenierten Treffen von Parteichef Xi Jinping mit den führenden Unternehmern des Landes am 17. Februar legte das Parteiorgan «People’s Daily» am Montag auf der ersten Seite einen langen Artikel nach: Darin wird gemäss dem China-Kenner Christopher Wood, Aktienstratege von Jefferies, die Aussage von Xi bekräftigt, er habe «schon immer die privaten Unternehmen unterstützt und ihre Wichtigkeit für die wirtschaftliche Entwicklung des Landes erkannt.»

Derartige Signale sind in China enorm wichtig – und gegenwärtig telegrafiert die Parteiführung eindeutig das Signal, dass die privaten Unternehmen wieder mehr Spielraum erhalten sollen. Die Börsenrenaissance des E-Commerce-Konzerns Alibaba symbolisiert die Wende.

Dieser Tage finden in Peking zudem die jährlichen «Zwei Sitzungen» des Nationalen Volkskongresses sowie der Konsultativkonferenz der Partei statt. In seinem Arbeitsbericht zur Wirtschaftspolitik hat Premier Li Qiang für das laufende Jahr ein Wachstumsziel von «rund» 5% kommuniziert. Die Fiskal- sowie die Geldpolitik sollen deutlich expansiver werden; das Haushaltsdefizit soll auf 4% des BIP steigen, nach 3% im Vorjahr. Als «oberste Priorität» nannte Li die «rigorose Ankurbelung des Konsums».

Zwar fielen die von Li genannten Details in ihrem Umfang eher enttäuschend aus, aber die kommunizierte Richtung ist wichtig: Es ist überfällig, dass die Partei den Fokus auf den zu schwachen Binnenkonsum richtet. Der private Konsum in China macht nur rund 40% des BIP aus. In Deutschland und Japan, die auch eher für frugalen Konsum stehen, sind es rund 55%, in den USA mehr als 70%. Das Aufholpotenzial in China ist gross.

Es ist davon auszugehen, dass sich die Regierung mit grösseren Stimulusmassnahmen noch zurückhält, um im Lauf des Jahres eine mögliche Eskalation des Handelskrieges mit den USA abfedern zu können. Chinas Aktienmarkt jedenfalls hat die Importzölle und Drohgebärden Trumps bislang gut weggesteckt. Besonders im Technologiesektor, wo Alibaba, Tencent oder Baidu als formidable Spieler im Bereich künstlicher Intelligenz (wieder)entdeckt werden, herrscht Aufbruchstimmung.

Die Bewertungsunterschiede zwischen dem US-Aktienmarkt und den Aktienmärkten Europas und Chinas – das gilt im Übrigen auch für Japan – sind historisch betrachtet immer noch abnormal gross.

Beide Trends, die Renaissance Europas und Chinas, bieten das Potenzial, mehr als ein blosses Strohfeuer darzustellen. Ein Duo aus zwei Narrativen – Investitions- und Integrationsschub in Europa, sowie Fokus auf den Binnenkonsum in China – könnte die These des American Exceptionalism ablösen.

Trump sei Dank.

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