Dienstag, Oktober 1

Schnell, bunt, ausgefallen: 800 Velokuriere stürmen in den nächsten Tagen die Stadt Zürich.

Ab Donnerstag ist Zürich für ein paar Tage die Welthauptstadt der Velokuriere. Vom 1. bis zum 4. August radeln zum 30. Mal Hunderte Teilnehmerinnen und Teilnehmer an den «Cycle Messenger World Championships» mit. Rund 800 Personen aus über 40 Nationen werden erwartet, unter ihnen erstmals auch Fahrer aus Afrika.

Sie treten in verschiedenen Disziplinen gegeneinander an. Die Rennen finden überall in der Stadt statt. Mitmachen kann jeder. Höhepunkt der Veranstaltung ist das Hauptrennen am Samstag, bei dem die Kuriere so schnell wie möglich Aufgaben erledigen und Sendungen zustellen müssen. Das Rennen dauert rund 4 Stunden.

Die Kurier-Meisterschaften wechseln jährlich ihren Austragungsort. Das erste Mal fanden sie 1993 in Berlin statt. Sechs Jahre später kamen sie erstmals nach Zürich. Nun, 25 Jahre später, kehren sie in die Stadt zurück und treffen hier auf eine Kurierbranche, die durch die Pandemie und das Aufkommen von Konkurrenzanbietern wie Uber eine andere geworden ist.

Organisiert wird der Anlass vom Verein ZHistole. Der Co-Organisator Roland Munz ist seit 29 Jahren Velokurier und hat die Veränderungen in der Branche selbst miterlebt.

Herr Munz, die nächsten Tage feiert sich Ihre Branche selbst. 800 Kuriere auf einem Haufen, wie muss man sich das vorstellen?

Die ersten Wettkämpfe finden am 1. August statt. Vorher gibt es bereits einige Willkommens- und Nebenanlässe wie Workshops und Führungen. Ich freue mich besonders auf das Pedalorennen am Freitag um 15 Uhr beim Zürichhorn. Dort wechseln die Teilnehmenden vom Strassenrennen auf klassische Pedalos im Wasser – das gibt es nur in Zürich. Aber auch das Lastenvelo-Rennen am Samstagmorgen um 9 Uhr auf dem Turbinenplatz wird spannend. Dort transportieren die Fahrerinnen und Fahrer in Cargobikes oder mit Anhängern Sperrgut auf und ab – zum Beispiel Badewannen, Autopneus und Festbänke.

Welchen Nutzen hat die Stadt Zürich von einer solchen Veranstaltung?

Das sind nicht nur Weltmeisterschaften für sportlich Ambitionierte, sondern auch ein Kongress, bei dem das Neuste aus der Branche diskutiert wird. Hier treffen sich Personen aus Städten wie New York, Tokio und London, um zu erkunden, was wir Kuriere besser machen können. Zudem soll es den Menschen Spass machen. Deshalb haben wir ein kulturelles Rahmenprogramm mit Kunstvernissagen, Open-Air-Filmnächten und Konzerten organisiert.

Wie hoch sind die Kosten für die Veranstaltung, und wie wird sie finanziert?

Das Budget beläuft sich auf 200 000 Franken, es wird durch Sponsoren und die Startgebühren der Teilnehmenden gedeckt. Die Gebühren halten wir aber bewusst niedrig, um eine breite Teilnahme zu ermöglichen. Wer sich die Teilnahme nicht leisten kann, kann einen Antrag auf Erlass der Gebühren stellen. Alle rund 200 Helferinnen und Helfer arbeiten ehrenamtlich. Nur so ist es möglich, die Kosten niedrig zu behalten.

Die Lieferdienstbranche boomt, in der Stadt fahren viele Velokuriere mit grossen Boxen von Anbietern wie Uber oder Eat auf dem Rücken herum. Wie hat sich diese neue Konkurrenz auf die Velokurierszene ausgewirkt?

Sehr stark. Gerade während der Covid-19-Pandemie sind viele neue Player auf den Markt gekommen, die meisten davon sind inzwischen wieder verschwunden. Die Auftraggeber haben sich ebenfalls verändert: Früher haben wir vor allem Fotografien und Drucksachen transportiert. Während der Pandemie waren es dann hauptsächlich Corona-Tests. Heute ist die Medizinalbranche das wichtigste Kundensegment. Viele Arztpraxen haben sich in der Pandemie einem zentralen Labor angeschlossen und sind auch danach Kunden geblieben.

Wie bedeutend ist der Lebensmitteltransport für die Branche?

Für klassische Velokuriere ist der Lebensmitteltransport nur ein kleiner Bereich, da diese Nische bereits gut abgedeckt ist. Die meisten Anbieter oder Restaurants haben eigene Flotten mit spezialisierten Kurieren und besserer Infrastruktur, wie Thermorucksäcken.

Wie schätzen Sie den Einfluss von Uber und Lieferando auf die Velokurierbranche ein?

Es handelt sich hier nicht um Konkurrenz. Diese Lieferdienste haben ein anderes Modell und bedienen andere Kunden. Man könnte sagen: Wir klassischen Lieferdienste sind wie Taxis, die Post ist wie die VBZ, und Uber ist ein Lastwagenbetrieb – alle transportieren etwas, aber für unterschiedliche Bereiche.

Trotzdem hört man immer wieder von schlechten Arbeitsbedingungen in der Velokurierbranche.

Das stimmt. Es ist leider so, dass einige Anbieter unfaire Arbeitsbedingungen bieten. Viele kümmern sich nicht um Versicherungen und zahlen kaum je zweistellige Löhne. Das schadet dem Ruf der Branche. Dabei sind wir eigentlich ein Luxusprodukt: Wir bieten eine spezielle Leistung, die schnell ausgeführt wird und angemessen bezahlt werden sollte. Es liegt im Interesse der Firmen, ihre Angestellten gut zu behandeln.

Wie wird das sichergestellt?

Seit drei Jahren gibt es für Velokuriere einen Gesamtarbeitsvertrag. Firmen, die sich dem freiwillig anschliessen, bieten höhere Löhne und bessere Versicherungsleistungen. Beim Veloblitz, wo ich arbeite, werden deutlich höhere Löhne gezahlt, als es der GAV vorsieht. Das spricht sich herum, und wir haben nie Personalprobleme.

Wie hoch ist denn der Lohn eines Velokuriers?

Bei uns liegt der Lohn, abhängig von der Erfahrung, zwischen 25 und 30 Franken pro Stunde, plus eine Entschädigung für das Velo, das die Fahrerinnen und Fahrer selbst organisieren müssen.

Was sind die grössten Herausforderungen, mit denen klassische Velokuriere im Alltag konfrontiert sind?

Wir müssen stets am Ball bleiben, wenn neue Entwicklungen aufkommen. Neue Technologien könnten uns überflüssig machen. Wir entwickeln uns stets mit der Zeit. Das wurde während der Covid-Pandemie deutlich, als die Digitalisierung den Fototransport ersetzte. Daraufhin fanden wir mit dem Transport von Laborproben ein neues Geschäftsfeld.

Das klingt nach einem belastenden Umfeld.

Es hört nie auf. Wenn sich die Wirtschaft schneller entwickelt, müssen wir uns ebenso schnell anpassen. Das ist aber auch das Spannende an der Branche und der Grund, warum ich nach 30 Jahren noch dabei bin. Es macht Spass, ständig Neues zu entwickeln und mit der Kundschaft auszuprobieren, ob es funktioniert. Man braucht Freude an der Veränderung.

Was ist das Neueste, was Sie derzeit testen?

Seit Anfang des Jahres arbeiten wir mit der Stadt Zürich zusammen. Wir transportieren nicht nur Dinge, sondern übernehmen Ausseneinsätze der Stadtverwaltung. Das bedeutet: Wir kontrollieren, ob Strassen und Plätze beschmutzt oder beschädigt sind. Da wir ohnehin fixe Touren fahren, können wir das kombinieren und während des Fahrens prüfen, ob etwas in der Infrastruktur des öffentlichen Raums nicht stimmt.

Wie sehen Sie die Zukunft der Velokurierbranche in den kommenden Jahren?

Ich blicke optimistisch in die Zukunft. Immerhin haben wir vom Veloblitz gerade eine neue Zentrale in der SBB-Werkstätte in Altstetten aufgebaut – und dafür fast eine halbe Million Franken investiert.

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