Der Chef der italienischen Grossbank Unicredit geht mit seinen Akquisitionsversuchen mit der Brechstange «all in». Zeugt das von Genialität oder Grössenwahn des Investmentbankers?
Sie lesen einen Auszug aus dem neuen Newsletter «Der andere Blick am Morgen», heute von Michael Rasch, Wirtschaftskorrespondent der NZZ in Frankfurt am Main. Abonnieren Sie den Newsletter kostenlos. Nicht in Deutschland wohnhaft? Hier profitieren.
Dem Italiener Andrea Orcel mangelt es nicht an Selbstbewusstsein. Der Konzernchef der Unicredit hat im September überraschend einen Übernahmepoker um die deutsche Commerzbank gestartet, und in der vergangenen Woche aus heiterem Himmel auch noch ein Kaufangebot für den italienischen Banco BPM vorgelegt. Selbst in der Welt der Investmentbanker mit ihren grossen Egos ist der Versuch zweier paralleler feindlicher Übernahmen eine absolute Seltenheit. Zeugt das von Genialität oder Grössenwahn?
Commerzbank ist doppelt so gross wie BPM
Orcel sagt selbst, er würde niemals zwei Banken gleichzeitig integrieren. Doch letztlich läuft es genau darauf hinaus. Die Einverleibung einer Grossbank dauert nämlich einige Jahre, wie bisherige Erfahrungen gezeigt haben. Selbst dann, wenn der frühere Chef der UBS Investment Bank anstrebt, zuerst BPM und später die Commerzbank zu integrieren, wären erhebliche Doppelspurigkeiten in dem Prozess unvermeidbar.
Doch so weit ist es noch lange nicht. Sowohl in Deutschland als auch in Italien steht die Politik dem jeweiligen Ansinnen skeptisch bis ablehnend gegenüber. Zudem fühlen sich die Managements der beiden Banken brüskiert. Commerzbank-Chefin Bettina Orlopp gibt sich nach aussen zwar diplomatisch und will sich ein potenzielles Angebot, das noch nicht vorliegt, erst einmal anschauen. Der Vorstand von BPM wiederum lehnt die vorhandene Offerte über 10 Milliarden Euro ab. Unicredit will die Übernahmen mit eigenen Aktien bezahlen und nimmt dafür eine Kapitalerhöhung vor.
Im Fall der Commerzbank, die etwa doppelt so gross ist wie der Banco BPM, hat Orcel über Aktien und Finanzderivate bereits Zugriff auf 21 Prozent der Papiere. Den Übernahmeversuch hat der 61-Jährige nun jedoch erst einmal pausiert – angeblich aus Respekt vor der anstehenden Bundestagswahl. In Deutschland hält ferner der Bund noch 12 Prozent an der Commerzbank.
Der Angriff auf BPM ist mindestens genauso vertrackt. Das Institut ist selbst erst im Jahr 2017 durch eine Fusion entstanden, weshalb es noch zwei Hauptsitze gibt, in Mailand und Verona. Zudem startete der Banco BPM vor kurzem die Übernahme des Vermögensverwalters Anima für 1,6 Milliarden Euro. Dieser Asset-Manager würde jedoch auch Unicredit gut zu Gesicht stehen, denn Beobachter sehen bei ihr Defizite in der Vermögensverwaltung.
Ferner hält die französische Grossbank Crédit Agricole 9,2 Prozent an BPM. Das ist für Unicredit Chance und Risiko, je nachdem, ob die Franzosen verkaufen wollen oder selbst weitere Ambitionen hegen. Zu allem Überfluss hatte BPM der italienischen Regierung vor kurzem 5 Prozent an der einstigen Krisenbank Monte Paschi di Siena (MPS) abgekauft. In Rom hoffte man, dass mittelfristig durch die vollständige Übernahme von MPS ein drittes grosses Institut nach Intesa Sanpaolo und Unicredit entstehen und den Wettbewerb auf dem italienischen Bankenmarkt anheizen könnte.
Andrea Orcel muss vier Gruppen überzeugen
Das klingt alles kompliziert? Ist es auch, sehr sogar. Orcel muss vier Gruppen überzeugen: die tonangebenden Politiker, die Managements der Banken, die für die Genehmigungen zuständige Bankenaufsicht bei der Europäischen Zentralbank und die Aktionäre der drei beteiligten Kreditinstitute. Infolge der Ankündigung des zweiten Übernahmeversuchs gaben die Aktien von Unicredit knapp 7 Prozent nach. Zwar haben sie sich inzwischen fast wieder erholt, doch das war eine eindeutige Warnung der Aktionäre, es nicht zu übertreiben.
Es ist offenkundig, dass Orcel eine Übernahme nicht mit Charme, sondern notfalls mit der Brechstange anstrebt, um mit Unicredit zu wachsen und in der Rangliste der europäischen Banken aufzusteigen. Ob das Ansinnen von zwei fast zeitgleichen Übernahmen von Genialität oder Grössenwahn zeugt, werden erst die kommenden Wochen und Monate zeigen. Derzeit spricht vieles dafür, dass sich Orcel verhebt. Doch man sollte ihn nicht unterschätzen. Würde Orcel allerdings mit beiden Plänen scheitern, hätte er so viel verbrannte Erde hinterlassen, dass er als Konzernchef der Unicredit nicht länger tragbar wäre.
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