Samstag, November 30

Der Bündner Spitzenkoch über die hiesige Gastfreundschaft, die Vielfalt der helvetischen Küche und seine grösste kulinarische Sünde.

Andreas Caminada, gibt es eine Küchenarbeit, die Sie besonders ungern verrichten?

Das verrate ich nicht, sonst haben die anderen auch keine Freude daran. Aber Berufseinsteiger sollten wissen: Kochen ist zunächst Produzieren. Wer das einmal kennt, kann kreativer werden. Jeder Tag beginnt so, dass Ware kommt, man putzt, schält, hackt, steht vor einem Berg von Fischen, die es zu filetieren gilt. Je mehr Zuneigung man der Basis gibt, den Saucen und Fonds, desto mehr Spass macht es am Ende. Ich bin als Koch in erster Linie ein Handwerker.

Beim Komponieren von Menus kommt die Kunst ins Spiel. Hatten Sie schon im Traum eine Idee, die es nach dem Erwachen nur noch umzusetzen galt?

Das passiert sogar oft. Meist jedoch setzt man sich zuerst gemeinsam zum Gedankenaustausch hin, es beginnt mit dem Brainstorming, das mein Küchenchef und Geschäftspartner Marcel Skibba und ich anhand der saisonal verfügbaren Produkte machen. Erst später geht es in die Küche, wo sich alles nochmals verändern kann. Wir entwerfen über mehrere Wochen sehr konzentriert ein neues Menu, das dann für zwei, drei Monate hält. Ausser in der Patisserie kochen wir nicht nach Rezept, sondern allein aus dem Bauch heraus, auch wenn wir es dann aufschreiben. Kochen ist nicht Kopf, der kann höchstens helfen, sondern Bauchgefühl. Rezepte sind ohnehin zweitrangig, die Menschen sind entscheidend.

Vom Dorfbuben zum Spitzenkoch

Andreas Caminada, 1977 geboren und in einfachen Verhältnissen im Bündner Bergdörfchen Sagogn aufgewachsen, gilt als renommiertester Botschafter der Schweizer Gastronomie. Das zeigt sich auch daran, dass er demnächst als Gastgeber der Show «Dinner Club» bei Amazon Prime wirken wird, um mit deutschen Prominenten wie Moritz Bleibtreu die Küchen rund um den Globus zu erkunden.

Sein 2003 eröffnetes «Schloss Schauenstein» im Bündner Ort Fürstenau, inzwischen auf demselben Anwesen um die währschafte «Casa Caminada» und das vegetarische «Oz» ergänzt, ist seit dreizehn Jahren mit 3 Michelin-Sternen und 19 Gault-Millau-Punkten dekoriert und ziert als einziges Schweizer Lokal das vielbeachtete Ranking «The World’s 50 Best Restaurants».

Inzwischen gehört Caminada zu den Besitzern des Schlosses, hat mit seinem Restaurantkonzept Igniv nach Zürich und bis nach Bangkok expandiert – und gilt als einer der grössten Nachwuchsförderer seiner Branche im Land. Dies auch dank seiner Stiftung «Fundaziun Uccelin», die seit bald zehn Jahren Koch- und Servicetalente im internationalen Austausch fördert.

Gibt es eine Geheimhaltungsklausel in Ihren Betrieben, damit die Köche nicht einfach ein Rezept an den neuen Arbeitsort mitnehmen können?

Nein. Falls das geschieht, motiviert uns das, immer wieder Neues zu wagen. In Zeiten der Rezeptvideos und Kochbücher teilt man sowieso vieles mit der Öffentlichkeit. Und in fünf Jahren ist ohnehin alles wieder anders: Die Gesellschaft ändert sich, und wir ändern uns mit ihr. Man kann nicht einfach seine fünf Rezepte machen, muss sich immer wieder neu entwickeln

Fondue, Raclette, Rösti, Birchermüesli: Das ist die Schweizer Küche, wie sie im Ausland als Folklore wahrgenommen wird. Wie sehen Sie unsere Gastronomie?

Grundsätzlich basiert sie ja auf der klassischen französischen Küche, der starke Einfluss eines Paul Bocuse ist in der Ausbildung weiterhin spürbar. Wie bei der Viersprachigkeit gilt es, die Vielfalt zu schätzen, sie zeigt sich in all den regionalen Spezialitäten. Ausser vielleicht Fondue gibt es aber kein typisches Schweizer Gericht, das fürs ganze Land steht. Das hat es schwierig gemacht, uns als Food-Destination international so stark zu positionieren wie als Wintersportland.

Skandinavien hat etwa die New Nordic Cuisine zur Marke gemacht.

Es war ein bewusster Entscheid der nordischen Länder, die Kulinarik zu promoten und viel Geld zu investieren. Die haben das clever gemacht. Ähnliches gilt für Spanien, Peru, Slowenien oder Italien. Wir aber schaffen es leider nicht einmal, die Schweiz als Einheit zu präsentieren. Als «Schloss Schauenstein» es vor dreizehn Jahren erstmals auf die Liste der «World’s 50 Best Restaurants» schaffte, versuchten wir leider vergeblich, zusammen mit Tourismusorganisationen etwas Grösseres daraus zu machen. Von uns als Leuchtturm könnten viele andere profitieren, aber dafür müsste man das anständig promoten.

Haben Sie diesbezüglich kapituliert?

Ich habe das schon lange aufgegeben. Ich bin Unternehmer und kann nicht in der Politik arbeiten.

Klar, die Spitze ist top. Aber sind wir in der Breite des Alltags auch Weltklasse?

Ich würde schon sagen. Top drei sicher, eher top zwei: die Konstanz, die Qualität der Ausbildung, das duale System mit der Berufslehre. Man kann heute in eine Beiz gehen und erhält etwas Gutes, ob das ein Landgasthof ist oder ein Sternerestaurant. So eine Konstanz findet man im Ausland ausserhalb der Hauptstädte kaum, vielleicht noch in Südamerika oder in Italien.

Zugegeben, man kann hierzulande kaum so abstürzen wie etwa in Paris. Und der Service? Haben wir das Gastgeber-Gen in uns?

Auf jeden Fall! Das wurde schon immer kritisiert, zu Unrecht, wie ich finde. Wir sind in der Schweiz megagute Gastgeber.

Ich teile diese Euphorie nicht ganz.

(Lacht.) Sie gehen eben in die falschen Restaurants.

«Die Gäste sollten etwas entspannter, dankbarer werden. Allgemein ist die Wertschätzung für den Service lange vernachlässigt worden, von allen Seiten.»

Auch da müsste die Qualität doch flächendeckend hoch sein, wenn das Gen vorhanden wäre. Der Gast hat zum Beispiel zu oft das Gefühl zu stören, wenn er einen Wunsch anbringt.

Man ist in dem Land, in dem man wohnt, immer kritischer. Aber wir haben ein Problem mit diesen Themen, das stimmt schon. Und das Problem ist wohl auch die Kundschaft, welche die Wertschätzung nicht bringt. Die Gäste sollten etwas entspannter, dankbarer werden und sich bewusst sein: Ich zahle zwar, kann aber dennoch ein Lächeln und ein Danke geben. Allgemein ist die Wertschätzung für den Service lange vernachlässigt worden, von allen Seiten. Man muss die Wertschätzung zurückbringen, die Servicearbeit mehr zelebrieren, etwa indem man diese Leute auszeichnet. Es sollten nicht immer die Köche im Schaufenster stehen.

Wertschätzung hat auch mit Lohn zu tun. Wie viel verdient man bei Ihnen im Service?

Die Einstiegslöhne hält der Gesamtarbeitsvertrag fest. Es steht uns frei, mehr zu bezahlen, wenn jemand länger da ist. Der Verdienst ist viermal so hoch wie in Italien oder Griechenland, wo er bei etwa 800 Euro im Monat liegt. Die Gastronomie ist sicher nicht die am schlechtesten bezahlte Branche in der Schweiz, die auch diesbezüglich eine Insel ist. Darum kommen zu unserem Glück auch viele Deutsche, Österreicher und so weiter als Arbeitskräfte hierher.

Ist das Trinkgeld ein Lohnbestandteil in Ihren Betrieben?

Nein, in der Schweiz ist es das auf keinen Fall. Das Trinkgeld wird unter der Belegschaft aufgeteilt und mit dem Lohn ausbezahlt, somit ist es auch versteuert. Wir zahlen gut, und das ist ein toller Job, wenn das Umfeld stimmt. Das Problem ist, dass heute jeder ein Restaurant eröffnen kann, also viele Inhaber keine gastronomische Ausbildung mehr haben.

Sie fanden es eine schlechte Idee, dass mit der Liberalisierung der Gastgewerbegesetze vor rund zwanzig Jahren vielerorts die Voraussetzungen zum Wirten gelockert wurden?

Auf jeden Fall. Gerade auch im Sinne einer korrekten Personalführung wären Wirtepatente sinnvoll. Ist der Service nicht freundlich, stimmt weiter oben etwas nicht.

Kochen ist so präsent auf allen Kanälen wie nie zuvor – dennoch hat der Beruf ein Nachwuchsproblem. Und viele, die ihn trotzdem erlernen, steigen früh wieder aus.

Es hat wohl zu viele Abgängerinnen und Abgänger, die nur den Glamour suchen und vergessen, dass sie an der Basis anfangen müssen. Man kann nicht mit 19 schon ein Spitzenkoch sein, es braucht Aufopferung, schon in der Ausbildung. Die ersten zehn Jahre in Fürstenau waren cool, aber auch Horror: Ich begann mit vier Angestellten, wir arbeiteten jeden Tag 18, 19 Stunden, sonst wären wir heute nicht hier. Natürlich hat sich die Szene seither stark verändert, es gibt heutzutage saubere Stundenabrechnungen und geregelte Arbeitszeiten, was die Branche attraktiver macht.

Sie finanzieren Ihren Betrieb ohne Mäzen oder Luxushotel im Rücken, auch das macht Sie zu einer Ausnahmeerscheinung in der hiesigen Topgastronomie. Warum gelingt Ihnen das, was andere nicht schaffen?

Der Betrieb wäre tot gewesen, bevor ich richtig begonnen hätte, wenn ich von Anfang an 3 Sterne angestrebt hätte. Das funktioniert höchstens mit einem Hotel oder einem Geldgeber im Hintergrund, aber das ist dann kaum je nachhaltig. Ich habe die Verantwortung, dass mein Unternehmen wirtschaftlich überlebt, wobei diverse Mitarbeitende in die Führung einbezogen sind, die es mit meiner Frau und mir leiten. Wir versuchen, unseren Köchen mit auf den Weg zu geben, dass sie die Kosten im Griff haben müssen und nicht an den Gästen vorbeikochen dürfen.

Letzteres ist sicher nicht einfacher geworden?

Die Challenge ist gross, es gibt ja alles, von Gluten- bis zu Olivenöl-Intoleranz. Das hat krasse Ausmasse angenommen, weil es uns zu gut geht, aber auch, weil es tatsächlich mehr Allergien und Unverträglichkeiten gibt. Ich weiss nicht, woher das kommt. Zu viele Industrieprodukte oder so.

Die Sonderwünsche sind das eine. Aber der Ernährungsbereich ist immer stärker durch Ideologien geprägt. Was macht die entsprechend aufgeladene Atmosphäre mit Ihnen persönlich?

Es ist alles etwas aus dem Gleichgewicht zurzeit, vieles hochexplosiv, auch in anderen Bereichen. Man muss nur extrem vorsichtig sein, was man sagt. Ich weiss auch nicht, wo das hinführt. Beim Essen sicher noch stärker in Richtung bewusste, gesunde Ernährung. Aber ich will keine ideologische Aufladung, deshalb habe ich in unser vegetarisches Restaurant «Oz» Stühle aus Kuhleder gestellt. Dort geht es mir um die Kreativität, gerade der Fokus auf Gemüse hat diese in Küchen stark erhöht. Da entstehen extrem coole Sachen jenseits der Standardgerichte, wie Zizi Hattab im Zürcher «Klee» als eine der Ersten gezeigt hat. Sie ist auch eine Inspiration, wie man daheim kochen kann.

Die Industrie begegnet dem Trend des Veganismus mit stark verarbeiteten Ersatzprodukten. Kann fleischlose Küche auf diese Art gesund sein?

Es ist schlimm. Diese Industrieprodukte sind für mich ein Horror, da sie mir einfach nicht schmecken. Es gibt wenig Übleres, als wenn ich ein Randencarpaccio kaufen muss, das finde ich so schrecklich wie dieses fertig gezupfte Chicken. Aber allgemein ist der Trend des Veganismus am Abflauen, wird jedenfalls nicht mehr so extremistisch gelebt.

Wer etwa Bündnerfleisch verteufelt, missachtet einen Teil unserer Kultur und ihrer Techniken, die verlorenzugehen drohen. Einverstanden?

Auf jeden Fall. Ich stelle mir gerne die Frage, wie wir uns bei einer Hungersnot verhalten würden. Es geht uns einfach zu gut, darum ist alles so aufgeladen. Ich plädiere für Vernunft auf allen Seiten. Warum muss zum Beispiel eine Airline in der Firstclass ein Rindsfilet servieren, das ohnehin immer verkocht ist? Macht doch ein Gulasch, das produziert erst noch viel weniger CO2-Ausstoss!

Wie stehen Sie zu Foie gras?

Braucht es nicht. Wir haben das schon längst aus dem «Schloss Schauenstein» verbannt, wir sind kreativ genug, ohne diese zu kochen. Dennoch finde ich, dass auch sie ihre Berechtigung hat. Es ist ein Kulturgut von Frankreich, und es gibt eine Kundschaft, die das schätzt.

Diese Kundschaft findet auch, ohne Hummer und Kaviar gebe es kein Luxusgefühl. Was sagen Sie ihr?

Wir haben hier den Begriff «Luxus» sicher etwas neu definiert. Kocht man mit den teuersten Produkten, macht das die Küche nicht besser. Aus einfachen Zutaten das Beste herauszuholen, wie wir es hier gerne tun, lernte ich von Hans-Peter Hussong im «Wiesengrund» am Zürichsee.

Man hört oft Klagen, Auswärtsessen sei zu teuer geworden in der Schweiz. Die Branche betont, es sei eher zu billig. Interne und externe Wahrnehmung driften da stark auseinander. Wie sehen Sie das?

Im Vergleich mit dem Ausland ist es angesichts unserer Kosten tatsächlich zu günstig. Zu teuer können es nur Leute finden, die nicht selbständig sind, und oft träumen dieselben dann von einer Viertagewoche bei gleichem Lohn. Die Schweiz ist da, wo sie ist, weil Generationen bereit waren, die Ärmel hochzukrempeln und sich diesen Wohlstand zu erarbeiten.

Ein Abend bei Ihnen kostet den Gast mindestens 500 Franken, mit Getränken. Das ist viel Geld.

Ja, und man isst während fünf bis sechs Stunden. In einem Spitzenlokal in Paris zahle ich 800 Euro dafür. Und das Personal verdient dort etwa einen Drittel von meinem, die Produkte kosten einen Viertel. Zumindest in der Spitzengastronomie ist es im Verhältnis nicht korrekt. Ich habe wohl die gleiche Lohnsumme wie ein Restaurant in New York mit 150 Mitarbeitenden — bei halb so grosser Belegschaft.

Der dänische Spitzenkoch René Redzepi schliesst Ende Jahr sein legendäres Restaurant «Noma» in Kopenhagen. Da werden die Rufe noch lauter, Fine Dining sei ein Auslaufmodell.

Redzepis Aussage, er schliesse, weil es auf diesem Niveau einfach nicht mehr aufgehe, verärgerte viele extrem. Es war ein Affront gegenüber allen, die ihren Job gut machen. Sein System war nur möglich gewesen, da der Staat Dänemark es zugelassen hatte, Stagiaires ohne Verdienst anzustellen. Als das unterbunden wurde, brach sein Modell zusammen. Fine Dining ist überhaupt nicht tot. Die Spitzengastronomie funktioniert, wenn man es gut macht. Es gibt nichts Schöneres, als in einem schönen Restaurant die Zeit gegen das kulinarische Momentum einzutauschen. Das war vor dreissig Jahren so und wird in hundert so sein. Es ist purer Luxus.

Wie viele können oder wollen sich diesen Luxus noch leisten – wie hoch ist der Altersschnitt im «Schauenstein»?

Wir haben eine Mischung von Zwanzig- bis Achtzigjährigen, das war schon immer sehr durchmischt bei uns. Wir strahlen das auch aus, waren nie elitär, kein Marmorpalast. Bei uns feiert der einheimische Bauer seinen Hochzeitstag, selten kommt auch einmal ein Milliardär. 95 Prozent unserer Gäste sind aus der Schweiz, das ist seit dem Anfang so geblieben.

Träumten Sie schon in der Kochlehre von Höherem?

Überhaupt nicht. Keine Sekunde dachte ich daran, ein Gourmetkoch zu werden. Hilde Veraguth, die berühmte Köchin aus Sagogn, war bei uns im Dorf natürlich eine grosse Persönlichkeit. Aber als ich mit 19 nach Vancouver kam, wusste ich noch nicht einmal, dass es Führer wie Michelin und Gault-Millau gibt. Da erst sah ich, dass es noch anderes gibt als Capuns und Maluns, und beschloss, bei erstklassigen Köchen zu lernen.

«Die Menschen machen dich zu dem, was du bist, und Chefs müssen Menschenliebhaber sein.»

Und wie kamen Sie einst auf die Idee, Koch zu werden?

Als ich mit 13 in einer Hotelküche in Falera schnupperte, waren alle so nett, genau darum erlernte ich schliesslich auch diesen Beruf. Es war ein Bauchgefühl, ich mochte diese Leute, so wählte ich auch später meine Stellen aus. Die Menschen machen dich zu dem, was du bist, und Chefs müssen Menschenliebhaber sein. Dass ich den Beruf überhaupt erlernte, war eigentlich Zufall. Wir mussten im Sommer immer ein, zwei Wochen einen Ferienjob verrichten, ich ging mit dem Onkel, der Maler war, in Tiefgaragen oder half in Vaters Gipsergeschäft.

Es hätte sein können, dass Sie Maurer oder Maler geworden wären?

Absolut. Handwerk fasziniert mich.

Und was hätten Sie daraus gemacht?

Ich nehme an, ich hätte mich weitergebildet. Gion Caminada, mit dem wir zwei Ställe zur «Casa Caminada» umgebaut haben, war Schreiner und ist jetzt ETH-Professor. Man muss einfach etwas finden, was einen fasziniert, egal was. Und man braucht Mentoren, die einem Inputs geben, das reicht.

Welche Gerichte prägen Ihre Kindheitserinnerungen?

Meine Mama kommt aus dem Prättigau, wir hatten Capuns, Maluns, Pizokel. Sie kochte auch nach Betty Bossi, wir assen sehr gut, am Sonntag meist einen Braten. Sie war aber offen für Neues, machte mit einigen Frauen aus dem Dorf früh schon einen Kochkurs bei einer Asiatin, «sweet and sour» und so. Und erst ihre knusprigen Herdöpfelküachli aus roh geraffelten Kartoffeln mit Apfelmus!

Ihr Gourmetlokal bietet laut Website den «Geschmack der Bündner Berge – gewürzt mit viel Neugier und einer Prise Fernweh». Das riecht nach einem Mix aus Murmeltierschweiss und Curry.

Ist das wirklich unser Slogan? Das müssen wir wieder einmal anschauen. Es schmeckt nach Graubünden, das ist so, ein Tourist will hier nicht essen, was er auch in London bekommt. Aber Capuns muss man so lassen, wie meine Mutter sie machte. Ich wollte im «Schloss» nie die bäuerlich geprägte Bündner Tradition interpretieren, sondern eine neue Küche zeigen.

Was hat die mit Graubünden zu tun?

Nun, in den ersten zehn Jahren kochten wir klassisch französisch. Mit dem dritten Michelin-Stern hinterfragten wir uns und begannen, vermehrt lokale Produkte einzusetzen. Früher bestellten wir Granny Smith, bis wir merkten, dass es im Domleschg die beste Auswahl an Äpfeln gibt. Solche Einsichten brauchen Reife, auch eine gesellschaftliche Entwicklung, die uns vorwärtsbrachte. Inzwischen haben wir den eigenen Garten stark ausgebaut und zwei Gärtner eingestellt.

Was halten Sie von dem mit der New Nordic Cuisine in Mode gekommenen Grundsatz, nur Produkte aus einem Umkreis von wenigen Dutzend Kilometern zu verwenden?

Ich weiss nicht, wie lange diese Nummer noch zieht, heute setzen ja selbst Discounter auf regionale Produkte. Es geht mir um die Balance, Leute wollen zum Beispiel auch wieder einmal asiatisch essen.

In den letzten Jahrzehnten war Globalisierung grossgeschrieben, die Zahl der asiatischen Lokale etwa ist in Zürich explodiert. Der Aargauer Daniel Humm, der berühmteste zeitgenössische Schweizer Koch neben Ihnen, sagte mir einmal: Wenn er nach Zürich komme, möchte er nicht thailändisch essen, sondern lokale Spezialitäten kennenlernen.

Er sprach wohl aus Sicht des Touristen, und wir kochen nicht für diese allein, sondern auch für Einheimische, die Abwechslung wollen. Wir begannen vor fünfzehn Jahren mit Saibling und Forellen, jetzt gibt es die fast überall, und eines Tages haben die Gäste sie wohl auch gesehen. Sustainability ist uns wichtig, allerdings nimmt bald jede börsenkotierte Firma sie in ihren Slogan. Das ist irgendwann auch ein Witz. Man muss Nachhaltigkeit im Alltag leben, in Restaurants aber bin ich für Vielfalt.

Werden die einheimischen Traditionen dabei noch genug gepflegt?

Seit der Corona-Zeit setzen wieder mehr Restaurants auf Regionales. Gerade in Zürich, das sich in den letzten zehn Jahren gastronomisch enorm entwickelt hat, tun das viele junge Köche mit Stolz und auf eigenständige Weise. Auch da gilt es, in Bewegung zu bleiben. Vor zwanzig Jahren gab es in vielen Restaurants den Schoggikuchen mit flüssigem Kern, jetzt bieten selbst Fast-Food-Ketten einen solchen an.

Zumindest in Zürich ziert diese Nachspeise noch immer gefühlt jede zweite Speisekarte. Mangelt es der hiesigen Gastronomie nicht an Phantasie, gerade was das Dessert betrifft?

Da braucht es halt eine gewisse Kompetenz, Leidenschaft der Verantwortlichen – und Manpower. Allgemein hat die Schweiz aber eine ausgezeichnete Grundlage in der Patisserie, die Ausbildung ist vielleicht nicht ganz so vielfältig wie in Frankreich, aber immer noch top. Das zeigt sich vor allem in der Spitzengastronomie und hat im Bündnerland, dessen Zuckerbäcker einst die Welt eroberten, von jeher einen starken Stand.

Sie selbst haben einmal als Patissier gearbeitet.

Da habe ich viel mitgenommen, auch für die Welt des Salzigen. Ich schicke auch meine Köche gerne in die Patisserie, man lernt vor allem Präzision.

Was ist das perfekte Dessert?

Es lebt von der guten Balance der Geschmäcke, Texturen und Temperaturen: Ich liebe es, wenn es etwas Warmes dabeihat, das teigig ist, und etwas Kaltes, das für mich persönlich nicht zu fruchtig sein sollte. Und eine Nachspeise muss zwar eine gewisse Leichtigkeit haben, aber süss sein. Ich hasse Desserts, die nicht süss sind. Zudem sollte eine Spannung drin sein, etwa mit Säure oder etwas Salz, das oft das Geheimnis ist, als Gegenpol zur Süsse.

«Ich habe schon diverse Male gesagt: Macht doch beim Herd wieder Rädli unten hin, zumindest etwas Haptisches, das ‹klick› macht!»

Sie sind längst eine Marke, mit eigener Publikation, diversen Ablegern, enger Verbindung zu Herstellern und Gault-Millau. Fühlen Sie sich manchmal als Rädchen in einer riesigen Marketingmaschinerie?

Ich habe nicht den Eindruck einer Maschinerie. Alle diese Partnerschaften wurzeln in einer Lust, uns weiterzuentwickeln. Natürlich helfen sie, indem sie mit Events unsere Auslastung und unseren Bekanntheitsgrad steigern. Aber meine Restaurants müssen wirtschaftlich eigenständig funktionieren.

Hand aufs Herz des V-Zug-Markenbotschafters: Waren diese Touch-Tasten, die man heute überall an Herden findet, nicht die grässlichste Idee seit Erfindung elektronischer Küchenhelfer?

Ich habe schon diverse Male gesagt: Macht doch wieder Rädli unten hin, zumindest etwas Haptisches, das «klick» macht! Das wird kommen, keine Angst. Viele unserer Inputs sind schliesslich umgesetzt worden.

Nicht nur was die Attraktivität als Werbepartner betrifft, könnten Sie als Roger Federer der Schweizer Gastronomie durchgehen: Weltklasse, skandalfrei. Wo sind die Abgründe des Andreas Caminada?

Ich habe sehr gerne die sauren Gummis von Haribo.

Gut, wenn es nur das ist. Es nagen keine Ängste?

Ich gehe immer mit einem guten Gefühl ins Bett.

2010 wurden Sie zum jüngsten Koch Europas, der den dritten Michelin-Stern erhielt. Wer früh reüssiert, scheitert später oft am Erfolgsdruck. Half Ihre Herkunft als Bergbub, am Boden zu bleiben?

Da hat die Erziehung einen grösseren Einfluss. Aber wir Bergler sind wohl schon anders, leben nicht im Tempo der Stadt, nicht unter diesem Druck. Wir können unsere Sachen etwas entspannter angehen. Ich versuche einen Respekt zu haben vor allem, was ich tue, auch eine gewisse Distanz. Es braucht eine Leidenschaft, aber man darf es nicht zu verbissen machen, bei allem Druck und den Erwartungen der Gäste. Und von den vielen Mitarbeitenden, die in den zwanzig Jahren hier gewirkt haben, gibt es wohl kaum jemanden, der mich für ein Arschloch hält oder gar geschädigt worden wäre. Mir war schon immer wichtig, was andere von mir denken.

Frei nach Federer: «It’s nice to be important, but it’s more important to be nice.»

Das hat er gesagt? Recht hat er.

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