Mittwoch, November 27

Am Donnerstag avanciert der 41-Jährige mit seinem 1270. Einsatz zum Rekordspieler der Liga. Das Ende seiner grossen Eishockey-Karriere ist noch nicht absehbar.

Dienstagmittag, kurz vor zwölf Uhr. Das Telefon klingelt. «Hallo, da isch dr Andres.» Andres Ambühl lässt sich nicht anrufen, er lässt sich auch nicht verbinden. Er ruft selbst an. Das ist bezeichnend für ihn.

Am 14. September hat Ambühl, den alle nur «Büeli» nennen, seinen 41. Geburtstag gefeiert. Am Donnerstag absolviert er im Heimspiel gegen den SC Bern seine 1270. Partie in der National League und übertrifft damit den Rekord des Berner Verteidigers Beat Gerber. Dazu kommen 336 Länderspiele, 64 Partien für die Hartford Wolf Pack in der American Hockey League und eine ganze Menge anderer wichtiger und weniger wichtiger Eishockeypartien.

Wie oft Andres Ambühl in seinem Leben bisher die Schlittschuhe geschnürt hat, weiss niemand so genau, schon gar nicht er selbst. Ihm ist das auch nicht so wichtig. Auf die Frage, was es ihm bedeute, nun Rekord-Spieler in der National League zu werden, antwortet er: «Ach, eigentlich habe ich noch gar nicht richtig darüber nachgedacht. Aber natürlich ist es hübsch, auf einer Stufe wie Mathias Seger oder Beat Gerber zu stehen. Es freut mich aber auch für all die Menschen in meinem Umfeld, die dazu beigetragen haben, dass meine Karriere schon so lange dauert.»

Was wie die abgeschliffene Antwort eines gut beratenen Profis klingt, ist «Büeli unfiltriert». Er ist so, wie er spricht: einfach, bescheiden, unaufgeregt. Aufgewachsen im Sertig, einem Seitental in der Landschaft Davos, in dem es eine denkmalgeschützte reformierte Kirche, zwei Restaurants und ein modernes Mittelklassehotel gibt, hat er nie versucht, jemand anderes zu sein, als er ist: Dr Büeli usem Sertig.

Wirklich weggezogen aus der Bündner Bergidylle hat es ihn nie. Als er doch einmal ging und sich für eine Saison in der Organisation der New York Rangers versuchte, merkte er schnell: Nordamerika und die NHL, das sind nicht seine Welt. Der Glamour und Glitzer des New Yorker Broadways liegen ihm so fern wie all die Allüren, die sich im Profisport in den vergangenen Jahren bemerkbar gemacht haben.

Del Curto schwärmt vom stillen Leader

Arno Del Curto war fast zwei Jahrzehnte lang Ambühls Coach. Im Alter von 17 Jahren holte er ihn aus dem Nachwuchs in die erste Mannschaft des HCD. Del Curto sagt: «Man hat sein Potenzial schon früh gesehen. Er passte mit seinen läuferischen Fähigkeiten perfekt zu meiner Vorstellung davon, wie man Eishockey spielen sollte.» Den mittlerweile 68-jährigen Engadiner erstaunt nicht, dass Ambühl noch im Alter von über 40 Jahren auf höchstem Niveau Eishockey spielt. «Seine Art zu spielen ist nicht antrainiert, sondern eine natürliche Gabe, die ihm in die Wiege gelegt worden ist.»

Andres Ambühl wurde zu einem Eckpfeiler jener grossen Davoser Mannschaft, die unter dem charismatischen Engadiner Trainer zwischen 2002 und 2015 sechs Meistertitel gewann und neue Akzente in der Liga setzte. Trotzdem stand Ambühl meist im Schatten von anderen grossen Spielern jener Zeit, wie den Gebrüdern von Arx, Sandro Rizzi oder dem Tschechen Josef Marha. Das lag auch an seinem Wesen: Ambühl hat sich nie in den Vordergrund gedrängt. Del Curto sagt, er habe die Mannschaft mit seinem Vorbild auf dem Eis und nicht mit Worten in der Kabine geführt. «Er war ein stiller Leader, der führte, indem er voranging.»

Fünf seiner bisher sechs Meistertitel hat Ambühl mit dem HCD gewonnen, den sechsten mit den ZSC Lions, denen er sich nach seiner Rückkehr aus Nordamerika für drei Jahre lang anschloss. Die Zeit in Zürich bezeichnet er als sehr lehrreich und wichtig für seine Entwicklung. «Ich bin dort, aber auch nach meiner Rückkehr nach Davos in eine neue Rolle gewachsen. Hätte ich Davos nicht vorübergehend verlassen, dann wäre ich wahrscheinlich immer der kleine Büeli, eine Art ewiger Eishockey-Lehrling geblieben.»

Mittlerweile ist Andres Ambühl schon seit elf Jahren wieder zurück im Landwassertal. Sein gegenwärtiger Vertrag läuft im Frühjahr aus. Wie es danach weitergeht, weiss er zumindest im Moment noch nicht. «Es ist Oktober, die Saison hat eben erst angefangen. Ich fühle mich gut und wohl und kann mir gut vorstellen, noch ein, zwei Jahre weiterzuspielen. Doch es ergibt keinen Sinn, zu weit im Voraus zu planen. Im Eishockey kann so viel geschehen.»

Man kann sich den HC Davos fast nicht ohne Ambühl vorstellen. Der Klub ist geprägt vom unschönen Karriereende der Von-Arx-Brüder. Del Curto wollte den Center Reto zum Verteidiger umfunktionieren und dem jüngeren Bruderer Jan keinen Vertrag mehr geben. Daran zerbrach eine langjährige Männerfreundschaft – und vorübergehend auch die gute Beziehung zwischen den Spielern und dem Klub. Anfänglich wollten sich die beiden nicht einmal mehr bei der Ehrung und dem Rückzug ihrer Trikot-Nummern im Stadion zeigen.

Andres Ambühl kann sich nicht vorstellen, Davos und seine Heimat ein zweites Mal zu verlassen und sich einem neuen Klub anzuschliessen. «Ich bin hier aufgewachsen und fühle mich hier zu Hause.» Er ist mittlerweile Vater zweier Mädchen im Alter von vier- und zweieinhalb Jahren.

Ambühl ist nicht nur Rekord-National-League-Spieler und sechsfacher Meister, sondern hält auch den Rekord an WM-Teilnahmen, den meisten WM-Spielen und den meisten Skorerpunkten an WM-Turnieren. Im Frühjahr war Ambühl für die Schweiz ein wichtiges Puzzlestück auf dem Weg zur Silbermedaille in Prag. Obwohl der Erfolg der perfekte Moment zum Rücktritt gewesen wäre, will Ambühl von einem solchen nichts wissen. Er sagt: «Man bekennt sich nicht zum Nationalteam, das Nationalteam ruft einen. Solange ich aufgeboten werde, werde ich mich auch zur Verfügung stellen.»

Spielen, so lange auch Jaromir Jagr gespielt hat?

Der Nationaltrainer Patrick Fischer ist ein ehemaliger Teamkollege von Ambühl. Vor fünf Jahren, als dieser seinen 1000. Match in der Liga absolvierte und ein erstes Mal landesweit gewürdigt wurde, erzählte Fischer der NZZ: «Zu meiner Zeit als Spieler hat man in der Kabine meist gar nicht gemerkt, dass Ambühl da ist. Dafür war er danach auf dem Eis umso auffälliger.»

Andres Ambühl ist Dauerläufer im Schweizer Eishockey, ein Spieler, der auch dann noch Energie findet und weiterläuft, wenn rund um ihn bereits alle auf dem Zahnfleisch gehen. Ambühl hat Zeit seines Lebens an den Wert von harter, ehrlicher Arbeit geglaubt. Darauf fusst die Existenz seiner Familie, die in der unwirtlichen Gegend des Sertigtals einen Bauernhof betreibt. Seine Überzeugung gipfelt im Satz: «Wenn die Kühe im Winter etwas zu fressen haben sollen, muss man im Sommer dafür arbeiten.» In dieser Aussage verdichtet sich, was ihn ausmacht und in der ganzen Liga so populär macht. Immer wieder wurde er von den Fans am Ende der Saison zum «most popular player», dem beliebtesten Spieler, gewählt.

Ambühl ist im Schweizer Eishockey eine Persönlichkeit wie der ehemalige ZSC-Captain Mathias Seger, oder Berns Kult-Torhüter Renato Tosio. Er geniesst nicht nur den Respekt und die Anerkennung der eigenen Fans, sondern hat auch in den Stadien der Konkurrenten viele Bewunderer und Anhänger.

Und er hat ein prominentes Vorbild. Jaromir Jagr kündigte in Kladno vor ein paar Wochen an, dass die bevorstehende Saison seine letzte sein werde. Der tschechische Superstar ist 52 Jahre alt, und doch will man ihm noch nicht ganz glauben, dass er seine Schlittschuhe im kommenden Frühjahr tatsächlich und endgültig an den Nagel hängt.

Ambühl wird weiterspielen. 41 Jahre ist ja auch noch kein Alter, nicht für Büeli, dieses Perpetuum mobile des Schweizer Eishockeys.

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