Donnerstag, Mai 8

Frauen würden keine Highheels mehr tragen, heisst es: zu ungesund, zu unfeministisch. Doch schon früher hat sich gezeigt: Totgesagte laufen länger.

Der rote Teppich am eben zu Ende gegangenen Filmfestival in Cannes hat schon vieles gesehen. Vor allem hat er über die Jahre ein beachtliches Repertoire an Highheels zu spüren bekommen: kleine Absätze, grosse Absätze, Killer-Stilettos, Pumps, Pantoletten, Plateausandalen. Das ungeschriebene Gesetz bei diesen Filmfestspielen lautet nämlich «Absatz only».

Bisweilen ging es trotzdem geerdet zu. 2016 stieg Julia Roberts als erste Schauspielerin die Stufen an der Croisette barfuss hoch, später zogen auch Kristen Stewart oder Cate Blanchett demonstrativ ihre hohen Hacken aus. Jennifer Lawrence lupfte im vergangenen Jahr einmal kurz den bodenlangen Saum ihres Dior-Abendkleids und offenbarte: Flip-Flops.

Die Aufregung war jedes Mal gross, der allgemeine Tenor allerdings: Wurde ja auch Zeit. Frauen sollten tragen können, was immer sie wollten, zumal sie im «echten» Leben, abseits von glamouröser Teppichware, zunehmend in flachen Schuhen oder Turnschuhen unterwegs seien.

Highheels werden seit Jahren zum Auslaufmodell erklärt. Viel zu unbequem, sexistisch, spätestens nach Pandemie und Home-Office-Schlabberlook nicht mehr zeitgemäss. Selbst Barbie wechselt im gleichnamigen Kinofilm mit ihrem ewigen Hohlfuss in ein gemütliches Birkenstock-Fussbett.

Dazu passt eine Meldung aus dem «Economist», wonach selbst die Französinnen – sonst gern als letzter Hort der Weiblichkeit und Eleganz gepriesen – keine Lust mehr auf hochhackige Schuhe haben und bequeme Gummisohlen bevorzugen. Laut einer Umfrage wisse die Hälfte von ihnen nicht einmal, wie man in den Dingern laufen solle. Enfin!

Der Trend zum Zwanglosen

Doch auch dieses Jahr zeigte sich in Cannes ein etwas anderes Bild. Wer sich durch die «Best-Dressed-Listen» und «VIP Alerts» der Luxusmarken klickte, entdeckte jede Menge Highheels, vorzugsweise spitz und hoch. Lediglich die Schauspielerin Lily Gladstone trug klobige Gucci-Loafer – allerdings mit ziegelsteinhohem Plateau-Absatz.

Rein zahlenmässig lässt sich bei hochhackigen Schuhen kein Umsatzeinbruch feststellen. Der weltweite Markt für Highheels ist laut Statista von 34,1 Milliarden Dollar im Jahr 2019 auf knapp 40 Milliarden im Jahr 2023 sogar noch gestiegen und soll in diesem Jahr bei schätzungsweise 42,7 Milliarden liegen. Auch bei der Online-Luxusboutique Mytheresa heisst es, Highheels blieben gefragt. Parallel dazu hätten jüngst vor allem die Umsätze mit kleineren Absätzen stark angezogen.

Die gefühlte Wahrheit war in den letzten Jahren, dass die Schuhmode eher flacher wird. Zogen viele Frauen im Job früher regelmässig Highheels an und balancierten beim Ausgehen manchmal auf 10-Zentimeter-Absätzen, ist es in den letzten fünfzehn Jahren immer akzeptierter geworden, in sämtlichen Lebenslagen flache Schuhe oder Stiefel zu tragen.

Als der damalige Lanvin-Designer Alber Elbaz bei seiner Fashion-Show im Herbst 2010 einer Reihe von Models «erlaubte» (O-Ton «Vogue»), flache Sandalen zu Kleidern zu tragen, grenzte das noch an eine Sensation. Es sollte eine Art modische Zeitenwende markieren. Später wurden sogar Sneaker auf dem Laufsteg zur Normalität.

«Casual» hiess das Schlagwort, alles sollte möglichst zwanglos sein. Stilettos mit dünnen Pfennigabsätzen passten kaum zur neuen Lockerheit – und zur neuen Feminismuswelle noch weniger. Wenn Unternehmensberatungen oder Hostessenagenturen Frauen trotzdem noch zu Absatzschuhen verdonnerten, ernteten sie Shitstorms.

Doch nachdem letzten Sommer bei Valentino sogar bei der Haute-Couture-Show nur flache Schuhe zu sehen waren und CNN bereits fragte, ob wir jetzt endgültig «goodbye» zu Absätzen sagten, sind auf den Laufstegen nun wieder deutlich mehr Pumps und Stilettos zu sehen. Bei Saint Laurent oder Versace sowieso, aber auch bei Balenciaga, Acne Studios oder Courrèges. Im Freundeskreis sieht man wieder mehr Frauen Ballerinas oder Adidas Samba in grosse Handtaschen stopfen, um zwischendurch von hoch auf flach oder zurück zu wechseln.

«Sex and the City» machte Manolo Blahnik populär

In der Mode muss immer etwas Neues passieren – oder etwas Altes wieder für neu erklärt werden. Jüngst kehrten die 1990er und die nuller Jahre zurück, die Hauptsendezeit der Serie «Sex and the City», die gerade auf Netflix läuft. Die Hauptfigur Carrie Bradshaw steht darin irgendwann ohne Wohnung da, weil sich ihr Lebensgefährte von ihr trennt. Sie hat nur 700 Dollar auf dem Konto – aber einen Schuhschrank im Wert von rund 400 000 Dollar. Dank der Serie wurden Namen wie Manolo Blahnik oder Christian Louboutin zum Inbegriff eines in jeder Hinsicht hochtrabenden Lebensstils.

Sind Frauen jetzt wieder so wahnsinnig? Nach einer guten Dekade an mehr Bodenständigkeit und Bewegungsfreiheit wirken Highheels umso mehr wie ein Rückschritt in vergangene, schmerzhafte Zeiten. Denn egal, was Celebritys, bezahlte Influencer oder Engländerinnen aus Manchester behaupten: Wirklich bequem sind hochhackige Schuhe nicht. Die Fussballen fühlen sich mit zunehmender Höhe und Tragedauer so an, als liefe man auf einem spitzen Nagelbett. Übung, Massagen und eingebaute Silikonkissen helfen da nur bedingt.

Doch es gibt auch den aufbauenden Effekt. Hohe Hacken strecken den Körper, verlängern die Beine, verbessern – im Idealfall – die Haltung. Sie verleihen mehr Eleganz, manchen gleich noch Selbstbewusstsein. Neurowissenschafter glauben, dass die Affinität zu Absätzen tief in uns drin sei: Schon in der Steinzeit war Grösse ein Vorteil, hochgewachsene Sammlerinnen kamen leichter an Nahrung in Bäumen und Sträuchern heran.

Die Modehistorikerin Valerie Steele wiederum sieht im Stiletto eine Art «Ersatz-Penis», der besonders erotisch auf Männer wirke, während Frauen ihn mit Phantasien von Macht, Status und Glamour besetzten.

Lust auf Unvernunft

Bei einer Frau ohne schlanke Waden sehen Beine in kurzen Hosen oder Röcken mit flachen Schuhen schnell etwas gestaucht aus. Sogar die Schauspielerin Zendaya, 27, Superstar der Stunde, die sehr schmal ist, trägt fast immer Highheels, und zwar stets das gleiche Paar – das Louboutin-Modell «So Kate» mit 12-Zentimeter-Absätzen. Ihr Stylist verriet kürzlich, dass die Schauspielerin sie zum ersten Mal mit 14 angehabt habe und ihr höllisch die Füsse weh getan hätten, er ihr aber verboten habe, die Schuhe auszuziehen. Mittlerweile könne sie damit stundenlang tanzen.

Highheels sind nicht tot, sie halten sich hartnäckig. Es mag ein gewisser Wahnsinn oder Wagemut darin stecken, ganz sicher eine Spur Lust auf Unvernunft, was jeder Orthopäde unterschriebe. In einer Gesellschaft, in der alle Prozesse durchoptimiert werden, wirken solche Stolpersteine angenehm anachronistisch. Und wo einem ständig gesagt wird, man solle raus aus seiner Komfortzone – mit Highheels ist jegliche Bequemlichkeit garantiert dahin. Gerade wer sie selten trägt, fühlt sich sofort verwandelt. Der Gang ist anders, der gesamte Auftritt wirkt beflügelt. Zumindest bis das Nagelbettgefühl eintritt.

Selbst wenn die meisten Frauen längst über alte Statussymbole hinweg sind und keinen Ersatzphallus im Job brauchen: Als die amerikanische Politikerin Nikki Haley im vergangenen Jahr ihre Präsidentschaftskandidatur bekanntgab, sagte sie: «Eines sollte man über mich wissen – ich lasse mich nicht von Tyrannen schikanieren. Und wenn man sich wehrt, tut es ihnen mehr weh, wenn man Absätze trägt.»

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