Mittwoch, Februar 5

Wer ein klassisches Biopic erwartet, wird sich über «Maria» ärgern. Aber gerade die Nichtopernliebhaber werden Pablo Larraíns Annäherung an die Diva lieben.

Schon oft wurde versucht, in Theaterstücken, Romanen und Filmen, das Phänomen Callas von hinten aufzurollen, von ihrem einsamen Ende aus und ihrem bis heute nicht restlos aufgeklärten Tod. Auch Pablo Larraín hat sich so entschieden. Sein Film zeigt, was in den letzten sieben Tagen im Leben von Maria Callas passiert sein könnte. Viel ist es nicht.

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Die Callas lebt allein in ihrem Apartment in Paris in der Avenue Georges-Mandel. Innen ist alles echt, vollgestopft mit Erinnerungen. Die Aussenansicht wurde anderswohin verlegt. Ihre einzige Gesellschaft sind zwei Pudel, ihr langjähriger Butler Ferruccio Mezzadri und die treu ergebene Haushälterin Bruna. Maria schläft bis in den Nachmittag, dann geht sie spazieren.

Sie ist tablettensüchtig, zickig, zynisch. Sie spricht mit den Toten, erfindet Gespenster, mit denen sie diskutiert über den nicht existenten Unterschied zwischen Kunst und Realität. Halluzinationen hat sie auch draussen auf der Strasse. Passanten formieren sich zum Opernchor. Ein andermal, es regnet in Strömen, intoniert ein tropfnasses Blasorchester ein Arrangement des «Butterfly»-Summchors.

Verlust der Stimme

Die Dialoge mit den Lebenden dagegen wiederholen sich, in einem Da-capo-Ritual, das erzeugt Stillstand. Es geht um den Arzt, den sie nicht sehen will, den Flügel, den der Butler dauernd von einem Raum in den andern verschiebt, das Essen, welches sie nicht isst. Und es geht um den Verlust ihrer Stimme.

In den Schwarz-Weiss-Sequenzen ist die Jahrhundertstimme noch voll da. Zu Beginn singt sie den Schlussmonolog der Desdemona aus Giuseppe Verdis «Otello». Maria Callas sieht uns an, in einer Pose, die der des Callas-Fotos von Cecil Beaton entspricht. Es ist ihre Originalstimme: unverkennbar der Schmelz, dieser einzigartige, zu Klang gewordene Fluss der Emotion. Aber ihr Gesicht ist das von Angelina Jolie. Weil die beiden Diven einander überhaupt nicht ähneln, wirkt das zuerst wie ein schlechter Scherz. Noch bevor Desdemona das Amen erreicht, sind die beiden jedoch verschmolzen zu einer Figur. Und wir haben kapiert: Aus dieser Sache kommen wir jetzt nicht mehr heraus.

Jolie ist Callas ist Jolie: perfekt. Sie atmet und agiert wie eine Sängerin. Wie verlautet, hat sie im Vorfeld monatelang hart daran gearbeitet. Der «Vogue» gegenüber erklärte sie: Jeder Mensch sollte regelmässig Gesangsunterricht nehmen, man erfahre so viel über sich selbst.

Jolie singt auch mit ihrer eignen Stimme etliche Passagen aus grossen Belcanto-Arien, bewundernswürdig intonationssicher. Ihr Sopran hat das rostige Timbre einer Giesskanne. Larraín hat diese brüchige Jolie-Stimme zusammen mit dem Tontechniker John Warhurst raffiniert mit der Originalstimme der Callas überblendet, in verschiedensten Abstufungen. Das Ergebnis ist surreal. Aber es trägt.

Kitschfrei und wahrheitstrunken

Wer «Maria» an einem Biopic misst und ein dokumentarisches Korsett erwartet, der wird sich vielleicht ärgern. Alle anderen, auch und gerade die Nichtopernliebhaber, werden diesen zauberischen Film lieben. Wie stets hat Larraín eine eigne Story entworfen, die dem inneren Wesen der Menschen auf der Spur ist, kitschfrei und wahrheitstrunken, nach Opernart. Wie Verdi so richtig sagte: Die Wahrheit nachbilden ist gut. Noch besser ist es, sie zu erfinden.

Schliesslich, auch «Jackie» und «Spencer», die beiden ersten Filme aus Larraíns Trilogie über weibliche Medien-Ikonen des zwanzigsten Jahrhunderts, reduzierten sich auf einen kleinen Zeitausschnitt. In «Maria» aber geht es um die denkbar allerkürzeste Zeitspanne, das Sterben. Das Licht wirkt körnig und alt, die Farben sind überbelichtet oder vernebelt, wie in einem Traum. Es ist Herbst, eindeutig. Die Sonne steht tief.

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