Donnerstag, März 6

Union und SPD wollen die Verteidigungsausgaben weitgehend von der Regel ausnehmen und planen einen Infrastrukturfonds von 500 Mrd. €. Falls die Grünen nächste Woche zustimmen, wäre der Paradigmenwechsel in der Finanzpolitik perfekt. Das Projekt hat Folgen für die Anlagestrategie.

Bei ihren Koalitionsverhandlungen haben Union und SPD eine Einigung erzielt, die einen Paradigmenwechsel für die Finanzpolitik von historischem Ausmass bedeuten würde. Die Parteien kündigten einen Infrastrukturfonds im Volumen von 500 Mrd. € an. Ausgaben für die Landesverteidigung oberhalb von 1% der Wirtschaftsleistung sollen von der Schuldenbremse ausgenommen werden, die dafür erforderliche Schuldenaufnahme würde somit nicht länger durch die Regel begrenzt.

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«Angesichts der Bedrohungen unserer Freiheit und des Friedens auf unserem Kontinent muss jetzt auch für unsere Verteidigung gelten: Whatever it takes», sagte Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz am Dienstagabend in Berlin bei einem gemeinsamen Auftritt mit den SPD-Spitzenpolitikern Lars Klingbeil und Saskia Esken sowie CSU-Chef Markus Söder. Mit dieser Redewendung hatte der damalige Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB), Mario Draghi, am 26. Juli 2012 unbegrenzte Massnahmen zur Eindämmung der Euro-Schuldenkrise angekündigt und dadurch Investoren und Märkte beruhigt. Merz schwebt offenbar ein ähnlich beherztes Vorgehen vor.

4. März 2025 | Live-Statement mit Friedrich Merz, Markus Söder, Lars Klingbeil und Saskia Esken

Alles, was nötig ist: Diese Aussage gilt offenbar auch für das Ankurbeln der seit zwei Jahren darbenden deutschen Konjunktur. «Die zusätzlichen Ausgaben für die Verteidigung sind nur zu verkraften, wenn unsere Wirtschaft binnen kürzester Zeit wieder auf einen stabilen Wachstumskurs zurückkehrt», sagte Merz. Dazu brauche es schnelle Investitionen in die Infrastruktur, die nicht allein aus dem laufenden Haushalt bestritten werden könnten. «Deshalb wollen wir ein kreditfinanziertes Sonderprogramm in Höhe von 500 Mrd. € für die nächsten zehn Jahre errichten», kündigte Merz an. Ausserdem soll den Bundesländern die Aufnahme von Nettoschulden im Volumen von 0,35% des Bruttoinlandprodukts gestattet werden.

Die weitreichenden Vorschläge sollen bereits in der kommenden Woche in den Bundestag eingebracht werden. Dort haben Union, SPD und Grüne nach der alten Zusammensetzung noch eine Zwei-Drittel-Mehrheit, die nötig ist, um die im Grundgesetz festgeschriebene Schuldenbremse zu reformieren. Die Grünen haben noch nicht öffentlich zugesagt, den Plänen zustimmen zu wollen.

Deutsche-Bank-Ökonom spricht von historischem Moment

Der Chefökonom der Deutschen Bank, Robin Winkler, wies in einer Reaktion von Dienstagabend darauf hin, dass die Zustimmung durch die Grünen noch nicht sicher sei. Dennoch stufte er die Einigung als sehr weitreichend und einflussreich ein. «Das ist einer der bedeutendsten Paradigmenwechsel in der deutschen Nachkriegsgeschichte», schrieb Winkler. Sowohl die Geschwindigkeit der Geschehnisse als auch das Ausmass der in Aussicht gestellten fiskalischen Expansion erinnere an die deutsche Wiedervereinigung. Dies, auch wenn die zu Grunde liegende geopolitische Veränderung weit weniger positiv sei als 1990.

Es sei klar, dass das Wachstum im Jahr 2026 nun deutlich über seiner Prognose von 1% liegen könne, schrieb Winkler. Die Wirtschaftsentwicklung im Jahr 2025 werde dagegen weitgehend von der Zollpolitik bestimmt.

Vor der Bundestagswahl hatten Merz und die Union mit ihrem Wirtschaftsprogramm keine grossen Erwartungen geweckt. Es wirkte angesichts der mehrjährigen deutschen Wirtschaftsflaute überaus verhalten, zum Beispiel weil die darin versprochenen Steuersenkungen auf vier Jahre gestreckt werden sollten. Bankökonomen von UBS und Goldman Sachs hatten nur geringe Lockerungen der Schuldenbremse prognostiziert.

Reformplan übertrifft Markterwartung bei Weitem

Das am Dienstagabend verkündete Vorhaben würde die Verschuldung Deutschlands erheblich erhöhen. Die Staatsschulden betrugen 2023 knapp 64% des Bruttoinlandprodukts. Sie lagen damit geringfügig über der Grenze von 60%, die im Maastricht-Vertrag als Obergrenze für eine tragfähige Verschuldung festgelegt sind.

Der Plan für die Lockerung der Schuldenbremse und für einen weiteren Sonderfonds übertrifft die Erwartungen von Marktbeobachtern und Investoren deutlich. Auch wenn die langfristigen Folgen der höheren Verschuldung kontrovers diskutiert werden, ist eines klar: Kurz- und mittelfristig würde die bedeutende Erhöhung der Staatsausgaben die Wirtschaftsentwicklung stark ankurbeln.

Direkteste Profiteure der höheren Rüstungsausgaben sind Rüstungshersteller wie Rheinmetall und Hensoldt, die vor allem in Europa ihre Produkte verkaufen. The Market hält die beiden Titel weiterhin für aussichtsreich.

Die Aussicht auf bedeutende Stimuluspakete dürfte auch die seit Jahren hinter dem Leitindex zurückgebliebenen kleineren Aktien antreiben. Die Nebenwerte im MDax und SDax sind so günstig bewertet, wie es selten der Fall ist: Zeitweilig notierten deutsche Small Caps auf dem Niveau ihres Buchwerts.

Die fiskalpolitische Wende in Deutschland würde auch der Kursrally europäischer Aktien weiteren Anschub verleihen. Nachdem sie jahrelang hinter US-Titeln zurückgeblieben waren, entwickelten sich die Börsenindizes des alten Kontinents seit der Wiederwahl Donald Trumps besser als ihre transatlantischen Pendants.

Um Wirtschaft und Aktienkurse hochzuhieven, müssen (wie bereits erwähnt) noch die Grünen im Bundestag zustimmen. Da die Parteiführung ihre grundsätzliche Bereitschaft zur Reform der Schuldenbremse zuvor signalisiert hatte, erscheint ein Kompromiss mit Union und SPD durchaus erreichbar und wahrscheinlich. Der Zeitpunkt wirkt günstig, um bei attraktiv bewerteten Aktien von Unternehmen mit starkem Geschäftsmodell aufzustocken, wie sie The Market immer wieder empfiehlt.

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