Montag, September 30

Die Piraten haben über 9000 Unterschriften für eine kantonale Volksinitiative gesammelt, die ein Recht auf digitale Integrität verlangt.

Bewerbungen schreiben ist anstrengend, Bewerbungen durchlesen genauso. Arbeitnehmer haben deshalb längst angefangen, ihre Unterlagen mithilfe künstlicher Intelligenz (KI) zu verfassen, etwa mit Sprachmodellen wie Chat-GPT. Aber auch die andere Seite des Arbeitsmarktes rüstet auf: Viele Firmen stellen sich zurzeit darauf ein, das Aussortieren von Bewerbungen der KI zu überlassen.

Das ist selbst in der EU legal, die im August die weltweit erste umfassende Regulierung von KI-Anwendungen in Kraft gesetzt hat. Dort wird der Einsatz bei Bewerbungsverfahren zwar als Hochrisiko-Technologie eingestuft, aber als grundsätzlich zulässig. Der Bund, der nächstes Jahr mit einer eigenen Regulierungsvorlage nachzieht, wird sich voraussichtlich daran orientieren.

In der Bevölkerung lösen solche Aussichten allerdings Unbehagen aus. Dies zeigt nicht nur eine Umfrage in der Deutschschweiz, laut der die meisten Arbeitnehmer im Bewerbungsprozess zwingend mit einer realen Person sprechen wollen. Es zeigt sich auch am Umstand, dass es in Zürich einer Minipartei gerade gelungen ist, genug Stimmen für eine kantonale Volksinitiative zu sammeln, die Praktiken wie ein vollautomatisiertes Auswahlverfahren bremsen könnte.

Es ist die Piratenpartei, die diese Initiative am Mittwoch einreicht. Dass diese Gruppierung eine Volksabstimmung erwirkt, ist bemerkenswert. Denn so wie die Grünen einst exklusiv aus Sorge um die Natur entstanden sind, haben sich die technisch versierten Piraten vor 15 Jahren aus Sorge um die Folgen der digitalen Revolution formiert – gross geworden sind sie trotz dem zeitgeistigen Thema bisher aber nicht.

In den letzten Nationalratswahlen haben im Kanton Zürich nicht einmal 1800 Wähler die Liste der Piraten eingelegt. Doch für ihre Volksinitiative haben sie in fünf Monaten über 9000 Unterschriften zusammenbekommen – 3000 mehr als notwendig. Ein Indiz, dass sie damit einen Nerv getroffen haben könnten.

Der Anspruch: Leben ohne Mobiltelefon muss möglich sein

Ihre Initiative trägt den etwas abstrakten Titel «Für ein Grundrecht auf digitale Integrität». Es geht also um digitale Unversehrtheit, analog zu klassischen Grundrechten wie jenem auf körperliche Unversehrtheit. Den Piraten scheint es gelungen zu sein, den Menschen auf der Strasse zu erklären, was sie damit meinen.

Unter anderem verlangt die Initiative:

  • ein Recht auf Vergessen: Man soll persönliche Informationen im Internet wieder löschen lassen können;
  • ein Recht auf Offline-Leben: Der Alltag muss so eingerichtet bleiben, dass man auch ohne Mobiltelefon klarkommt und nicht getrackt wird, sei es bei Bankgeschäften, im Kontakt mit Behörden oder beim Kauf eines Zugbilletts;
  • ein Recht darauf, nicht von Maschinen beurteilt zu werden: Dies könnte zum Beispiel so ausgelegt werden, dass man einspruchsberechtigt ist, wenn man bei einer Bewerbung automatisch ausgefiltert wurde;
  • ein Recht darauf, nicht überwacht und vermessen zu werden, sei es draussen auf der Strasse oder wenn man sich durchs Internet bewegt.

All das sind grosse Themen für eine kantonale Initiative. Dass es die Piraten dennoch auf dieser Ebene versuchen, ist in erster Linie auf Pragmatismus zurückzuführen: Eine nationale Volksinitiative wäre für die Kleinpartei eine Überforderung. Ihre Hoffnung ist, dass ein Erfolg in Zürich eine Dynamik auf nationaler Ebene auslösen könnte.

Zuversicht schöpfen sie aus der Tatsache, dass in Genf eine ähnliche Initiative letztes Jahr mit über 94 Prozent Zustimmung angenommen wurde. Treibende Kraft hinter diesem Erfolg war neben dem ehemaligen Präsidenten der Piratenpartei Schweiz auch ein Lokalpolitiker der FDP.

Im Bundesparlament hingegen ist eine parlamentarische Initiative aus den Reihen der SP, die das Recht auf digitale Integrität in die Verfassung schreiben wollte, am Widerstand der bürgerlichen Parteien gescheitert. Es wird daher interessant sein zu sehen, wie sich die Zürcher Parteien zum Anliegen der Piraten stellen.

Exit mobile version