Sonntag, November 24

Lucas Barioulet

Die ukrainische Kultur hat sich der russischen Einflusssphäre Stück für Stück entzogen. Auch darum wird sie von Russland seit der Annexion der Krim 2014 und besonders jetzt im vollumfänglichen Angriffskrieg systematisch attackiert. Eine Ausstellung in der Dresdener Frauenkirche zeigt nun die Bilder der Zerstörung, aber auch der Stärke und der Widerstandskraft der Kultur in der Ukraine.

Der russische Krieg in der Ukraine fordert seit 2014 jeden Tag Menschenleben, zerstört Wohnhäuser und lebensnotwendige Infrastruktur, aber er richtet sich auch gegen die Kulturinstitutionen: Museen werden geplündert, Kirchen zerstört und Theater angegriffen.

Die genauen Zahlen lassen sich schwer erfassen, aber bis zum Sommer 2024 wurden laut einer Schätzung des ukrainischen Kulturministeriums insgesamt etwa zweitausend kulturelle Einrichtungen beschädigt oder zerstört.

Denkmal für den ukrainischen Schriftsteller und Dichter Taras Schewtschenko in Charkiw

Zu Beginn der grossangelegten Invasion im Februar 2022 schlossen sich Aktivisten und Freiwillige in allen Städten der Ukraine zusammen, um Denkmäler vor Beschuss zu schützen. Sie wurden mit Sandsäcken bedeckt, manchmal wurde ein Holzrahmen hinzugefügt, um die Stabilität der Konstruktion zu erhöhen. Das Foto zeigt ein 1936 in Charkiw errichtetes Denkmal für den ukrainischen Nationaldichter Taras Schewtschenko, das hier vor Angriffen bewahrt wurde. Schewtschenko war ukrainischer Dichter, Prosaschriftsteller, Dramatiker, Künstler sowie eine wichtige politische und öffentliche Persönlichkeit des 19. Jahrhunderts.

Verklärungskathedrale in Odessa

Am 23. Juli 2023 schlug eine russische Rakete in den Hauptaltar der Verklärungskathedrale in Odessa ein, zerstörte die Decke und beschädigte die Innenausstattung und die Ikonen erheblich. Auf dem Foto begutachtet ein Geistlicher die Schäden in der Nähe des zerstörten Altars. Das Gebäude der Verklärungskathedrale in Odessa wurde 1794 erbaut und 1936 auf Befehl Stalins abgerissen. 2005 wurde die Kathedrale unter erheblichen Kraftanstrengungen wieder aufgebaut.
Nach dem gezielten Angriff und den grossen Zerstörungen durch die russischen Raketen begannen die Menschen sofort mit den Aufräum- und Reparaturarbeiten, die bis heute andauern.

Nationaloper Lwiw

Nach dem russischen Angriff im Februar 2022 wurde die Nationaloper geschlossen. Bereits im April 2022 begann das Theater aber wieder mit der Aufführung einzelner Stücke. Auf dem Foto vom 10. Juni 2022 bereiten sich die Tänzerinnen auf den Beginn von «Giselle» vor, einem sehr beliebten Ballett in der Ukraine. Im Falle eines Luftalarms sind das Publikum und die Mitwirkenden verpflichtet, sich in den Schutzraum des Theaters zu begeben. Daher ist die Anzahl der Eintrittskarten immer auf die Anzahl der Personen begrenzt, für die der Schutzraum zugelassen ist.

Haus der Kultur in Posad-Pokrowski im Gebiet Cherson

Das Kulturzentrum beherbergte eine Bibliothek, eine Sporthalle und einen Kinosaal mit 600 Plätzen. Hier fanden regelmässig Konzerte, Festtage und Ausstellungen statt. Durch den achtmonatigen russischen Beschuss wurde das Gebäude praktisch vollständig zerstört. Das Foto zeigt die Aula des Kulturzentrums. Unter dem Kulturgebäude befand sich ein Bunker, in dem die Menschen während der Artillerieangriffe Schutz suchten. Die Wände und das Dach des Kulturzentrums sind beschädigt, und der Boden droht einzustürzen. Es kann nicht wiederhergestellt werden.

Die Garnisonkirche St. Peter und Paul in Lwiw

Auf dem Foto beten Menschen in der Garnisonkirche während der Beerdigungszeremonie für einen Fallschirmjäger, der im September 2022 in der Region Charkiw ums Leben kam. Um die Skulptur der Kreuzigung ist ein beweglicher Schutzmechanismus installiert – er kann die Skulptur abdecken, sobald ein Luftalarm beginnt, und so vor möglichen Bomben- oder Glassplittern schützen. Das Gotteshaus spielt eine besondere Rolle für Militärangehörige, besonders jetzt während des Kriegs. Sie heiraten hier, lassen ihre Kinder taufen und verabschieden ihre gefallenen Kameraden und Familienangehörige.

Nationalphilharmonie Lwiw

Neben der Bühne stehen Kisten mit Hilfsgütern: In den ersten Kriegstagen wurde das Gebäude der Philharmonie zu einem Zentrum für humanitäre Hilfe. Auf dem Foto führen Musiker und ein Chor das Requiem von Mozart zur Eröffnung eines internationalen Festivals auf, das trotz dem Krieg im Mai 2022 dort stattfand. Unter immer wiederkehrendem Beschuss der Stadt und ständigen Stromausfällen konnte die Philharmonie in Lwiw alle geplanten Spielzeiten der vergangenen zwei Jahre durchführen. Mit einem Teil der Gelder, die die Philharmonie durch den Ticketverkauf einnimmt, werden die Armee und die Familien von im Krieg getöteten Soldaten und Zivilisten unterstützt.

Himmelfahrtskirche in Lukaschiwka in der Region Tschernihiw

Während der Besetzung des Dorfes im Frühjahr 2022 richteten die russischen Truppen ihr Hauptquartier in der Himmelfahrtskirche ein und nutzten sie später als Munitionsdepot. Als die ukrainischen Truppen in das Dorf zurückkehrten, wurden die Leichen getöteter Einwohner neben dem Gebäude gefunden. Das Foto zeigt den zentralen Teil der Kirche, verbrannte Kirchenutensilien und Fragmente der Decke, die infolge des Beschusses einstürzte. Inzwischen hat die örtliche Gemeinde in der Nähe eine kleine Holzkapelle für Gottesdienste errichtet.

Tanzveranstaltung in der U-Bahn-Station Teatralna in Kiew

Seit mehr als zwei Jahren sind die ukrainischen Städte ständigen russischen Raketenangriffen ausgesetzt. Die Bewohner der Grossstädte haben die Möglichkeit, sich in der U-Bahn vor den Angriffen in Sicherheit zu bringen. Das Foto zeigt tanzende Menschen in der U-Bahn-Halle im Zentrum von Kiew im März 2023. Überall in der Ukraine arbeiten die Menschen weiter, halten Vorlesungen, studieren, tanzen und feiern sogar Weihnachten in Luftschutzbunkern. In Charkiw wurde mittlerweile sogar eine Schule im U-Bahnhof eingerichtet.

Die Ausstellung «Stronger Than Bombs», aus der diese Bilder stammen, ist noch bis zum 20. November in der Frauenkirche in Dresden zu sehen. Sie entstand in Zusammenarbeit der Stiftung Frauenkirche und des Netzwerks für Border Crossing Journalism N-Ost.
Die beteiligten Fotografen sind ukrainische und internationale Dokumentarfotografen, die immer wieder über die Ukraine und den Angriffskrieg Russlands berichten.

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