Sonntag, November 24

Das Rennen um das Weisse Haus kommt in die heisse Phase. Ob Kamala Harris oder Donald Trump am 5. November gewinnt, hat Folgen für die Wirtschaft und die Finanzmärkte. The Market präsentiert Anlagestrategien für die künftige Machtkonstellationen in Washington.

Der Auftakt ins Schlussquartal des Jahres ist ruppig. An den amerikanischen Aktienmärkten ist der Leitindex S&P 500 am Dienstag 0,9% tiefer aus dem Handel gegangen. Der Nasdaq 100 mit den grössten Technologiewerten büsste 1,4% ein.

Auf die Stimmung drücken Nachrichten aus dem makroökonomischen Umfeld. Der ISM-Einkaufsmanagerindex signalisiert weiterhin eine Kontraktion in der US-Industrie. Auch die explosive Situation im Nahen Osten sorgt für Verunsicherung. Angesichts des steigenden Risikos eines grösseren Konflikts zwischen dem Iran und Israel waren gestern vor allem Aktien von Energie- und Rüstungsunternehmen gesucht.

Die Aktienmärkte in China bleiben nach den imposanten Kursavancen der letzten Tage für den Rest der Woche feiertagsbedingt geschlossen. In Hongkong geht die Rally derweil weiter. Der Hang Seng avancierte am Mittwochmorgen in den ersten Handelsstunden 6%.

An den US-Börsen richtet sich die Aufmerksamkeit in den kommenden Tagen erster Linie auf die amerikanische Wirtschaft. Besonders wichtig sind der ISM-Einkaufsmanagerindex zum Dienstleistungssektor am Donnerstag sowie der Bericht zum Arbeitsmarkt am Freitag. Ökonomen gehen davon aus, dass die US-Wirtschaft im September 140’000 Stellen geschaffen hat, nach 142’000 im August. Die Arbeitslosenquote soll auf 4,2% verharrt sein.

Die Entwicklung im Jobmarkt wird massgeblich beeinflussen, wie es mit der Geldpolitik weitergeht. «Insgesamt ist die Wirtschaft in solider Verfassung; wir beabsichtigen, unsere Instrumente einzusetzen, um sie in diesem Zustand zu halten», sagte Fed-Chef Jerome Powell während eines Referats am Montag. Da die Mitglieder im Vorsitz der US-Notenbank aber relativ zuversichtlich für die Konjunkturaussichten seien, «ist dies kein Gremium, das es eilig hat, die Zinsen rasch zu senken», fügte er hinzu.

Im Klartext: Nachdem das Fed den Leitzins an der Sitzung von Mitte September gleich um 50 Basispunkte auf 5% gesenkt hat, bleibt unklar, ob es beim nächsten Entscheid vom 7. November erneut zu einem Schritt in dieser Grössenordnung kommt. Im Terminhandel sind die Chancen dafür nach Powells Äusserungen auf rund 35% gesunken, wogegen einer Zinssenkung um lediglich 25 Basispunkte nun eine Wahrscheinlichkeit von knapp 65% eingeräumt wird.

Ausser der Geldpolitik werden für die Börsen zwei weitere Aspekte mit Blick auf den restlichen Verlauf des Jahres entscheidend sein. Erstens ist das die anstehende Berichtssaison, bei der das Thema künstliche Intelligenz einmal mehr im Mittelpunkt stehen wird. Der Hype hat merklich nachgelassen. Von den grössten IT-Konzernen haben nur Meta Platforms und Apple den Gesamtmarkt im dritten Quartal geschlagen. Nvidia, Microsoft, Amazon und Alphabet hinken demgegenüber nicht nur hinterher, sondern weisen allesamt eine negative Performance aus.

Der zweite entscheidende Punkt sind die US-Wahlen. In weniger als fünf Wochen wird sich zeigen, wer in Washington künftig das Sagen hat. Dies hat weitreichende Folgen für die Wirtschaft und die Finanzmärkte. In der heutigen Ausgabe befasst sich «The Pulse» mit dem Rennen um das Weisse Haus und verschiedenen Szenarien aus einer Investmentperspektive.

Spannung bis zum Schluss

Die TV-Debatte zwischen den Vizekandidaten Tim Walz und J.D. Vance hat am Dienstagabend den Auftakt zur heissen Phase im Wahlkampf gemacht. Das Rededuell der Stellvertreter sorgt in den Umfragewerten üblicherweise für wenig Bewegung. Doch jeder sechste Amerikaner ist noch immer unentschlossen, womit jeder Eindruck in der breiten Bevölkerung zählt.

Nach einer verhältnismässig nüchternen Diskussion zwischen Walz und Vance verbleiben 34 Tage bis zum Wahltag am 5. November. Bis dahin wird sich das politische Klima in den USA weiter aufheizen. Zum aktuellen Stand hat Kamala Harris gemäss Wettbörsen wie PredictIt einen dünnen Vorsprung gegenüber Donald Trump. Es bleibt damit spannend. Nicht selten kommt es im Wahlkampf zudem zu einer «October Surprise»; einem zufälligen oder geplanten Ereignis, das den Ausgang beeinflussen kann.

Etwas unterschiedlicher sieht es bei den finanziellen Ressourcen aus. Gemäss der Non-Profit-Organisation OpenSecrets hat Harris bisher rund 685 Mio. $ an direkten Spenden erhalten, wogegen Trump knapp 307 Mio. $ zugeflossen sind. Ungefähr gleich ist der Stand mit jeweils rund 335 Mio. $ hingegen bei indirekten Spenden von Lobbyorganisationen, wobei auch von Super PACs gesprochen wird.

Angesichts des engen Rennens ist es gut möglich, dass es nach den Wahlen einige Tage dauern wird, bis feststeht, wer die für den Sieg nötigen 270 von insgesamt 538 Elektorenstimmen gewonnen hat. Der Ausgang wird sich in einigen wenigen US-Bundesstaaten entscheiden, in denen keine Partei eine klare Mehrheit hat. Zu diesen Swing States gehören Pennsylvania, Georgia, North Carolina, Michigan, Wisconsin, Arizona und Nevada.

Ebenso wichtig ist, wie die Macht im Kongress künftig verteilt sein wird. Im Repräsentantenhaus, wo derzeit die Republikaner eine knappe Mehrheit haben und sämtliche Sitze alle zwei Jahre zur Wahl stehen, werden den Demokraten etwas bessere Chancen eingeräumt. Mit grosser Wahrscheinlichkeit dürfte diejenige Partei die Kontrolle erhalten, die auch die Präsidentschaftswahlen gewinnt.

Im Senat, der erheblich mehr Einfluss auf das politische Geschehen in Washington hat, ist die Ausgangslage für die Republikaner günstig, eine knappe Mehrheit zu erobern. Von den insgesamt hundert Sitzen kontrolliert die Partei 38 Sitze, die nicht zur Wahl stehen, sowie weitere zehn Sitze, die relativ sicher sind. Bei den Demokraten sind es hingegen 28 bzw. 14 Sitze. Um die Kontrolle zu halten, müssten sie demnach acht oder neun der restlichen zehn umkämpften Sitze verteidigen bzw. gewinnen, was nicht einfach wird.

Marktverhalten in Wahljahren

An den Börsen dürften die Wahlen in den kommenden Wochen mehr und mehr in den Fokus rücken. Inwiefern die jüngsten Entwicklungen im Nahen Osten den Ausgang beeinflussen werden, lässt sich schwierig sagen. Der sich verschärfende Konflikt ist ein heisses Thema. Wichtige Anliegen sind auch die Wirtschaft, Inflation, Gesundheitskosten, Einwanderung und das Recht auf Schwangerschaftsabbruch.

Saisonal betrachtet ist der Oktober für die Leitmärkte in den USA in Wahljahren oft ein schwieriger Monat. Das gilt speziell für Aktien aus dem Technologiesektor. Ein schwacher Auftakt in den Monat wie gestern Dienstag ist nicht ungewöhnlich.

«Seit 1950 verlief der Oktober in Wahljahren zu Beginn oft schwach, gefolgt von einer gewissen Stärkephase um die Mitte des Monats, worauf sich Kursschwächen erneut akzentuierten», berichtet Jeff Hirsch, Herausgeber des «Stock Trader’s Almanac». «Die deutlichen Verluste im Oktober 2008 beeinflussen dieses Muster, aber die saisonale Schwäche bleibt auch dann bestehen, wenn man das Jahr 2008 ausklammert.»

Immerhin: Herrscht dann Klarheit zum Resultat, kommt es in den letzten beiden Monaten üblicherweise zu einer Rally. Die folgende Grafik zeigt dazu die Performance des S&P 500 vor und nach US-Präsidentschaftswahlen in den vergangenen dreissig Jahren. Ausser während der Finanzkrise im Jahr 2008 wich der Leitindex auch 2012 und vor allem im Jahr 2000 vom üblichen Muster ab. Im letzten Fall stand der Ausgang der Wahlen wegen der Pattsituation in Florida erst Mitte Dezember fest.

Wie unsere Analyse mit Hilfe des Datendiensts S&P Global Market Intelligence weiter ergibt, zeigt sich ein ähnliches Verhalten bei Aktien von Technologiekonzernen im Nasdaq 100. Der Sektor litt im Jahr 2000 zudem besonders stark unter dem Crash nach dem Platzen der Internetblase.

Risikofaktor Staatsfinanzen

«Investoren konzentrieren sich zu Recht auf potenzielle Auswirkungen der Wahlen auf US-Aktien, und die politischen Programme der beiden Kandidaten sind recht unterschiedlich», meint Scott Chronert, Aktienstratege bei Citigroup. Seiner Ansicht sind für die Börsen zwar primär die Konjunkturentwicklung, der Boom im Bereich künstliche Intelligenz sowie die Zinspolitik der US-Notenbank entscheidend. «Bezüglich dieser Faktoren ist der Ausgang der Wahlen eher nebensächlich, es bestehen aber Restrisiken – und damit auch potenzielle Chancen.»

Erfahrungsgemäss bevorzugen die Märkte ein Szenario, in dem die Macht in Washington geteilt ist: Eine Partei stellt die Regierung, während die andere Partei eine oder beide Kammern im Kongress kontrolliert. Grössere Veränderungen sind unter solchen Konstellationen so gut wie unmöglich. Das bedeutet weniger politische Unsicherheit, was Investoren grundsätzlich begrüssen.

Besonders wichtig sind diese Überlegungen im Hinblick auf die Staatsfinanzen und die Renditen am Bondmarkt, die wiederum einen bedeutenden Einfluss auf die Bewertungen von Unternehmen und damit die Attraktivität von Aktien haben. Die über weite Strecken freundliche Entwicklung an den amerikanischen Börsen und der kontinuierliche Aufwertungsprozess im vergangenen Jahrzehnt beispielsweise fielen kaum zufällig mit einer relativ sparsamen Budgetpolitik zusammen.

Der Auslöser dafür war die Machtübernahme der Republikaner im Repräsentantenhaus im November 2010, worauf die Partei vier Jahre später auch die Kontrolle im Senat übernahm. Die Regierung von Barack Obama sah sich unter diesen Voraussetzungen zur Einschränkung der Staatsausgaben gezwungen. Am Bondmarkt sank die Rendite zehnjähriger Treasuries unter temporären Schwankungen bis zum Sommer 2016 von 3,7 auf 1,4%, wonach mit Trumps Wahlsieg und der vollständigen Machtübernahme der Republikaner im Kongress ein Gegentrend einsetzte.

Nach den massiven Stimulusmassnahmen der letzten Jahre sind die US-Staatsfinanzen heute in einer prekären Verfassung. Mit 120% des Bruttoinlandsprodukts bewegen sich die Schulden auf einem Rekordniveau für die Nachkriegszeit. Das Haushaltsdefizit wird gemäss dem parteiunabhängigen Congressional Budget Office (CBO) in den kommenden Jahren zwischen 6 und 7% liegen, wobei die Zinskosten einen erheblichen Teil davon ausmachen werden – falls nichts unternommen wird.

Bezeichnenderweise ist das Budgetdefizit im derzeitigen Wahlkampf bestenfalls ein Randthema. «Donald Trump und Kamala Harris versuchen sich gegenseitig zu überbieten, wer mehr Schulden machen kann», sagt Wirtschaftsprofessor Kenneth Rogoff in diesem Interview. In einem Szenario ohne geteilte Macht in Washington ist das Risiko daher beträchtlich, dass es die Belastung für den US-Staatshaushalt noch bedeutend zunimmt.

Kamala Harris hat letzte Woche weitere Details zu ihrem wirtschaftspolitischen Programm präsentiert. Bei den Einnahmen will sie die Steuern für Unternehmen von 21 auf 28% erhöhen. Ausserdem sollen Abgaben erhöht werden, etwa jene bei Aktienrückkäufen für Unternehmen und bei Kapitalgewinnen für Investoren.

Auf der Seite der Ausgaben sollen die 2017 von den Republikanern eingeführten Steuerkürzungen verlängert werden. Allerdings nicht für Personen mit einem Einkommen von mehr als 400’000 $. Zusammen mit Vergünstigungen für Haushalte mit Kindern, für Start-up-Firmen und für erstmalige Käufer eines Eigenheims dürfte ihr Programm das Budget gemäss dem Research von Citigroup über die nächsten zehn Jahre zusätzlich um knapp 1,9 Bio. $ belasten.

Noch wesentliche gravierendere Folgen für die Staatsfinanzen hätte Trumps Wirtschaftspolitik. Mehreinnahmen durch höhere Zölle stehen bei seinem Programm einer voll umfassenden Verlängerung der 2017 erlassenen Steuerkürzungen gegenüber. Ausserdem will er Sozialzuschüsse, die Vergütung von Überstunden und Trinkgeld von Steuern befreien. Für Unternehmen soll der Steuersatz weiter auf 15% gesenkt werden. Unter dem Strich resultiert somit eine zusätzliche Belastung der Staatskasse im Umfang von rund 4,6 Bio. $.

Chancen für Sektoren und Branchen

Was die Auswirkungen der Wahlen auf einzelne Sektoren und Branchen betrifft, sind eindeutige Schlussfolgerungen schwierig. Dies selbst dann, wenn eine der beiden Parteien die gesamte Kontrolle über die Regierung und den Kongress gewinnen sollte. Grobe Anhaltspunkte lassen sich aber zumindest aus der Kursreaktion im unmittelbaren Nachgang der letzten beiden Präsidentschaftswahlen ableiten.

Als Donald Trump im November 2016 überraschend gewann, reagierten die Futures-Märkte zunächst geschockt. Im regulären Handel setzte in den ersten zwei Tagen nach dem Entscheid dann aber eine Rally ein. Von der Aussicht auf lockerere regulatorische Rahmenbedingungen und tiefere Steuern profitierten speziell die Sektoren Finanzen, Gesundheit, Grundstoffe und Energie. Trumps protektionistische Handelspolitik wurde zudem als positiv für US-Industriekonzerne erachtet.

Der Sieg von Joe Biden vier Jahre später spielte sich mitten in der Pandemie ab. Besonders freundlich reagierten unmittelbar die Sektoren Technologie, Kommunikation und zyklischer Konsum, in denen die Schwergewichte Apple, Microsoft, Alphabet, Meta Platforms, Amazon und Tesla vertreten sind. Weniger gut liefen die Sektoren Versorger, Energie, Basiskonsum und Finanzen. Allerdings zogen die zyklischen Aktien von Energie- und Finanzkonzernen mit der wachsenden Hoffnung auf ein Abklingen der Pandemie bis Ende Jahr dann besonders kräftig an.

Ein Bereich, in dem die US-Regierung ihre Politik relativ unabhängig vom Kongress gestalten kann, ist der Aussenhandel. Bei einem Sieg von Harris dürfte es diesbezüglich mehr oder weniger so weitergehen wie in den letzten vier Jahren. In einem Szenario, in dem Trump die Wahlen gewinnt, ist das Risiko einer neuen Eskalation von Handelskonflikten wesentlich grösser. Problematisch wäre eine solche Entwicklung vor allem für Unternehmen, die einen bedeutenden Teil ihrer Einnahmen ausserhalb der USA erwirtschaften. Dazu zählen vorab die Sektoren Technologie (besonders Halbleiterkonzerne), Grundstoffe, Kommunikation und Basiskonsum.

Massgeblichen Einfluss kann das Weisse Haus ebenso auf die Regulierung einzelner Branchen nehmen. Unter Trump dürften die Wettbewerbsbehörden generell eine weniger strenge Haltung bei der Genehmigung von Firmenzusammenschlüssen einnehmen, wovon unter anderem kleinere und mittelgrosse Biotech-Unternehmen profitieren sollten. Eine Lockerung der Umweltvorschriften dürfte derweil Öl- und Gasunternehmen sowie Rohstoffkonzernen generell entgegenkommen.

In einem Szenario mit Harris als Präsidentin wird sich der Fokus demgegenüber noch stärker auf die Förderung erneuerbarer Energien richten; namentlich in den Bereichen Windkraft, Photovoltaik und Biotreibstoffe. Gut positioniert für einen staatlich forcierten Umbau der Energiewirtschaft sind ebenso Industrieunternehmen, die auf Infrastruktur wie Strom- und Transportnetze ausgerichtet sind. Mit Kursavancen dürften ausserdem Aktien von Cannabis-Unternehmen auf einen Wahlsieg von Harris reagieren. Eine weitere Branche, die tendenziell profitieren sollte, sind Hausbauer.


Deep Diving

An dieser Stelle präsentieren wir wie immer einige Links, die einen vertieften Einblick in ein aktuelles Thema geben:

  • Kaum ein Unternehmen ist im Bereich künstlicher Intelligenz besser positioniert als Alphabet. Der Google-Mutterkonzern hat mit Gemini eines der fortschrittlichsten KI-Modelle, verfügt mit Google Cloud über eine Plattform zum Einsatz von KI-Diensten und ist auch bei der Entwicklung spezifischer Computerchips für die aufwendigen Rechenoperationen führend. CEO Sundar Pichai erklärt in diesem Referat an der Carnegie Mellon University in Pittsburgh, wie es mit der Technologie seiner Ansicht nach weitergehen wird.
  • Mit dem wachsenden Bedarf an Rechenkapazitäten für Cloud-Dienste und künstliche Intelligenz nimmt die Nachfrage nach Elektrizität deutlich zu. Microsoft will deshalb mit dem Versorger Constellation Energy zusammenarbeiten, um die Atomkraftanlage Three Mile Island wieder in Betrieb zu nehmen, wo es in den Siebzigerjahren zu einem bekannten, letztlich aber wenig gefährlichen Zwischenfall gekommen war. Das Newsportal des Nachrichtensenders «NPR» befasst sich in diesem Beitrag mit dem Projekt.
  • Die Nachricht lässt in der medizinischen Fachwelt aufhorchen: In China kann eine 25-jährige Frau mit Typ-1-Diabetes bereits weniger als drei Monate nach einer Transplantation von umprogrammierten Stammzellen eigenes Insulin produzieren. Sie ist die erste Person mit dieser Krankheit, die erfolgreich mit Stammzellen behandelt wurde, die ihrem eigenen Körper entnommen wurden. In den USA forscht das Biotech-Unternehmen Vertex an einer ähnlichen Therapie. Den Hintergrund dazu hat da Wissenschaftsmagazin «Nature».

Und zum Schluss noch dies: Skynet

Künstliche Intelligenz weckt Hoffnungen und Ängste zugleich. Für Kontroversen sorgt vor allem Fragen, wie die Technologie am besten reguliert werden soll. Entsprechend für Aufmerksamkeit sorgt das Veto, mit dem Kaliforniens Gouverneur Gavin Newsom soeben ein umstrittenes Gesetz zum Thema KI-Sicherheit abgeschmettert hat.

Kalifornien und speziell die Bay Area des Grossraums San Francisco stehen im Fokus, wenn es um die künftige Regulierung grosser Sprachmodelle wie ChatGPT in den USA geht. Dies, nicht nur wegen der Vorreiterrolle des Bundesstaats als globales Zentrum für Innovation. Was die Behörden im Golden State beschliessen, wird zudem später oft auch in anderen Teilen Amerikas umgesetzt.

Die SB 1047 genannte Vorlage war der bisher weitreichendste Versuch zur Regulierung von KI und umfasste zwei Kernpunkte. Einerseits Sicherheitstests für KI-Modelle, um das Risiko «katastrophaler Schäden» zu reduzieren; konkret Cyberattacken mit Kosten von 500 Mio. $ oder mehr. Anderseits einen Sicherheitsmechanismus, um ein Programm jederzeit abschalten zu können, wenn es beginnt, sich gefährlich zu verhalten – quasi ein Skynet-Szenario wie in den Terminator-Filmen.

Gouverneur Newsom begründet seinen Entscheid damit, dass sich die Vorlage lediglich auf die grössten und teuersten Modelle mit Entwicklungskosten von mehr als 100 Mio. $ beschränkte. Seiner Argumentation nach hätte dies ein «falsches Gefühl der Sicherheit vermitteln können», zumal auch kleinere KI-Modelle in Bereichen mit grossem Risiko eingesetzt werden, wie etwa bei der Kontrolle von Stromnetzen oder Datenbanken im Gesundheitswesen.

Das hört sich plausibel an. Kritiker werfen Newsom jedoch vor, dass er letztlich einfach die Regulation von künstlicher Intelligenz bremsen wolle. Dies, zumal er der Tech-Branche als vormaliger Bürgermeister von San Francisco seit vielen Jahren nahe stehe. Diesbezüglich wird beispielsweise darauf verwiesen, dass Salesforce-Gründer Marc Benioff der Pate von Newsoms ältestem Kind ist.

Bezeichnenderweise galt SB 1047 aber auch im Tech-Sektor als äusserst umstritten. Branchenriesen wie Google, Meta Platforms und Microsoft versuchten, das Gesetz mit der Begründung zu verhindern, es sei zu vage. Ähnliche Einwände äusserten OpenAI, die Firma hinter ChatGPT, sowie zahlreiche kleinere KI-Start-ups und mächtige Venture-Capital-Investoren wie Andreessen Horowitz.

Einige der prominentesten Stimmen im Silicon Valley hingegen sprachen sich dafür aus. «Dies ist ein schwieriger Entscheid und wird einige Leute verärgern, aber alles in allem denke ich, dass Kalifornien wahrscheinlich das Gesetz SB 1047 zur Sicherheit von KI umsetzen sollte», meinte Elon Musk. Gleicher Ansicht waren ebenso renommierte KI-Forscher wie Geoffrey Hinton und Yoshua Bengio, die Newsom in einem öffentlichen Schreiben zur Ratifikation der Vorlage aufforderten.

Die Kontroverse macht klar: Eine sinnvolle Regulierung von künstlicher Intelligenz wird zu einer enormen Herausforderung. Weniger Aufmerksamkeit hat derweil auf sich gezogen, dass Kalifornien in den letzten Tagen auch eine Reihe von KI-Gesetzen zu spezifischen Bereichen umgesetzt hat; etwa zum Problem mit der Verwendung von Stimmen toter Schauspieler oder von verfälschten Medieninhalten.

Vielleicht ist das ein zielführenderer Ansatz als ein generelles Gesetz, das versucht alles zu regeln, wofür man künstliche Intelligenz einsetzen kann.

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