Montag, November 25

Am Mittwoch dürfte es zur ersten Leitzinssenkung durch die US-Notenbank in diesem Zyklus kommen. Der Bondmarkt hat reagiert, die Zinsstrukturkurve ist nicht mehr invers. Was bedeutet das für Anleger?

Die Finanzmärkte warten gespannt auf den Zinsentscheid der US-Notenbank (Fed) am Mittwoch. Dass sie die Geldpolitik lockern wird, ist so gut wie sicher. Die Frage lautet bloss, ob es einen Schritt um 25 oder einen um 50 Basispunkte geben wird, wobei die in der vergangenen Woche publizierten Inflationszahlen eher auf einen kleineren Schritt hindeuten, denn die Entspannung bei der Kerninflation – sie klammert die Energie- und die Nahrungsmittelpreise aus – in den USA hat sich zuletzt verlangsamt.

Neben dem Rückgang der Teuerung spricht aber auch die konjunkturelle Abkühlung, die sich nun auch am Arbeitsmarkt bemerkbar macht, für eine weniger straffe Geldpolitik. Derzeit liegt das Zielband für die Federal Funds Rate bei hohen 5,25 bis 5,5%, Spielraum für Senkungen besteht also durchaus.

Die Stimmen, die deshalb einen beherzten Schritt befürworten, sind zuletzt wieder lauter geworden. So hat der einflussreiche Journalist Nick Timiraos am Donnerstag im «Wall Street Journal» wieder die Möglichkeit eines Doppelschritts ins Spiel gebracht. Der frühere Präsident der Distriktnotenbank New York, Bill Dudley, sagte an einem öffentlichen Auftritt in Singapur, er würde ebenfalls eine Zinssenkung von 50 Bp begrüssen. Inzwischen geben die Terminmärkte einem solchen Schritt eine Wahrscheinlichkeit von rund 60%.

Bewegung im Zinsgefüge

Vor diesem Hintergrund kam es bei den Zinsen zu spürbaren Verschiebungen. Die Differenz zwischen zehn- und zweijährigen amerikanischen Schatzpapieren (Spread) war seit dem 1. April 2022 negativ, da die kurzfristigen Renditen höher waren als die langfristigen. Dieses Phänomen wird als invertierte Zinskurve bezeichnet. Vor kurzem hat sich die Inversion jedoch aufgelöst, der Spread ist in den positiven Bereich vorgerückt.

Gemessen an der Renditedifferenz zwischen zehn- und zweijährigen Staatsanleihen führte die Kombination aus geringerem Wachstum und der Erwartung niedrigerer Zinsen in den vergangenen Monaten zu einer deutlich steileren US-Zinskurve. Getrieben wurde die Normalisierung dadurch, dass die Renditen am kurzen Ende stärker gefallen sind als am langen – im Jargon spricht man von einem Bull Steepener.

«Normalisierung» klingt erfreulich. Allerdings ist eine solche Versteilerung der Kurve typisch für die Abschwungphase eines Konjunkturzyklus, in der schwache Wirtschaftsdaten Abwärtsdruck auf die langfristigen Renditen ausüben, während (die Hoffnung auf) eine Lockerung der Geldpolitik die kurzfristigen Zinsen noch rascher fallen lässt.

Was passiert nach der Normalisierung?

Was bedeutet das nun für die Marktteilnehmer? Wie in jedem Zyklus sind die Optimisten überzeugt, der Notenbank werde durch eine frühzeitige geldpolitische Lockerung eine sanfte Landung der Wirtschaft gelingen. Sprich: Die niedrigeren Zinsen beginnen rechtzeitig ihre Wirkung zu entfalten, um einen Konjunktureinbruch zu vermeiden und einen neuen Aufschwung einzuleiten.

Die historische Evidenz zeigt allerdings, dass es nicht so einfach ist. Wie Aktienstratege Mislav Matejka von JPMorgan zeigt, kam es in den vergangenen acht Phasen, in denen das Fed mit Zinssenkungen begann, nur vier Mal zu einer sanften Landung. Vier Mal rutschte die amerikanische Wirtschaft in eine Rezession.

«Eine inverse Renditekurve ist nicht per se ein Baissesignal, aber Aktien tendieren dazu, während des Bull Steepening zu konsolidieren, wenn sich die Renditekurve normalisiert», schreibt Analyst Andrea Ferrario von Goldman Sachs. Und genau dies liess sich in den vergangenen Monaten beobachten: Der Aufwärtstrend an den Börsen ist ins Stocken geraten, die Kursausschläge haben zugenommen.

In einer Phase, in der die Zinskurve steiler wird, findet typischerweise eine Rotation zugunsten von defensiven Aktien statt, während zyklische Werte zurückbleiben. Das zeigt die «Investment Clock» von JPMorgan: Sie bildet die historische Performance verschiedener Aktiensegmente während unterschiedlicher US-Zinsstrukturkurven-Regimes ab (blau eingefärbt ist der derzeit zu beobachtende Bull Steepener).

Eine Auswertung des kanadischen Analysehauses BCA Research kommt zum selben Schluss. In Phasen wie der jetzigen sind defensive Valoren Trumpf. Das liess sich zuletzt auch schön beobachten: Defensive – also weniger vom Konjunkturverlauf abhängige – Segmente wie Basiskonsum und Gesundheit liessen ihre zyklischeren Pendants wie Technologie, Energie und Grundstoffe in den vergangenen Wochen klar hinter sich, und der in Krisen gefragte Franken neigte – trotz Zinssenkungen durch die Schweizerische Nationalbank – zur Stärke.

In einem typischen Bull-Steepener-Szenario tendiert der Dollar in der Regel zur Schwäche, da das Fed die Geldpolitik lockert, was den Zinsvorteil des Greenbacks gegenüber anderen Valuten schmälert. Die jüngste Entwicklung des Dollarindex, der die US-Währung relativ zu sechs wichtigen Handelspartnern zeigt, passt in dieses Schema.

Ein schwacher Greenback wiederum spricht unter anderem für Edelmetalle, was mit dem jüngsten Anstieg des Goldpreises im Einklang steht. In Dollar hat er soeben ein Höchst erklommen. Bei Anleihen entwickeln sich Staatspapiere normalerweise besser als Unternehmenskredite mit Anlagequalität und auch besser als Hochzinsanleihen.

Typischerweise hält diese Konstellation auch in den Monaten unmittelbar nach der ersten Leitzinssenkung durch das Fed an, unabhängig davon, ob es zu einem Konjunktureinbruch kommt oder nicht. Eine defensivere Ausrichtung des Portfolios scheint deshalb weiterhin angezeigt zu sein.

Schweizer Aktien im Vorteil

Das gilt auch für die regionale Aktienallokation. Nutzniesser dürfte beispielsweise der Schweizer Aktienmarkt sein, wo die Sektoren Basiskonsum (u.a. Nestlé) und Gesundheit (u.a. Novartis, Roche) dominieren. Auch der britische FTSE 100 dürfte seine defensiveren Qualitäten ausspielen können. Zyklischen Indizes wie dem Euro Stoxx 50, dem italienischen FTSE Mib oder dem Ibex in Spanien dürfte stärkerer Gegenwind erwachsen.

Etwas komplizierter ist es bei der Entscheidung zwischen den Anlagestilen Value und Growth. Fallende Zinsen und eine schwächere Konjunktur sprechen eigentlich für Wachstumstitel. Andererseits enteilen Letztere den Value-Aktien seit Jahren, was zu einem Überschiessen geführt hat. Zudem dominieren in diesem Bereich einige wenige Technologiekolosse, weshalb das Konzentrationsrisiko bei Wachstumswerten entsprechend gross geworden ist. Dieser Umstand könnte dem tendenziell defensiveren US-Aktienmarkt zum Nachteil gereichen.

Wie steht es um die Wirtschaft?

Was aber, wenn es doch zur Rezession kommt? Das Risiko eines solchen Szenarios ist nicht zu vernachlässigen, wie ein Blick auf diverse Konjunkturindikatoren zeigt. Allen voran die Rohstoffpreise senden ein Warnsignal. So haben die Rohölnotierungen von ihrem Jahreshöchst rund 20% eingebüsst – und das, obwohl die Mitglieder des Ölkartells Opec+ ihre Förderdrosselung um zusätzliche zwei Monate verlängert haben. Auch die Preise vieler Industriemetalle tendierten zuletzt schwächer.

Das ist konsistent mit einer fallenden Nachfrage und einer sich abkühlenden Konjunktur. «Der sich abzeichnende Einbruch der Rohstoffpreise bestätigt, dass sich das globale Wachstum eintrübt und der Produktionszyklus schwächer wird», warnt Marktstratege Arthur Budaghyan von BCA Research.

Auch Umfragen wie etwa diejenige des Ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung in Deutschland oder die Einkaufsmanagerindizes (Purchasing Managers Indices, PMI) lassen einen schleppenden Konjunkturverlauf erwarten. Zwar verbesserte sich der amerikanische ISM Manufacturing PMI im August leicht von 46,8 auf 47,2 Punkte. Allerdings war primär der Anstieg der Lagerkomponente von 44,5 auf 50,3 dafür verantwortlich, während der wichtigste Bestandteil, der Auftragseingang, auf 44,6 zurückging, wodurch das Verhältnis von Auftragseingang zu Lagerbestand auf niedrige 0,89 fiel. Gemäss BCA Research war das in der Vergangenheit ein Gefahrensignal für den europäischen PMI.

Die Konjunkturdaten verfehlen zudem seit einiger Zeit die Prognosen, wie sich beispielsweise am Citigroup Economic Surprise Index ablesen lässt. Sowohl für die Industrie- als auch für die Schwellenländer notiert er seit einiger Zeit im Minus.

Kommt es zur Rezession, bieten nur wenige Vermögenswerte Schutz: primär Staatsanleihen und womöglich Edelmetalle. Defensive Aktiensektoren leiden in der Regel zwar weniger als Zykliker, sind aber gegen Verluste kaum gefeit.

Szenario sanfte Landung

Gelingt die sanfte Landung der Wirtschaft mit anschliessender Erholung, dürften sich die zyklischen Aktiensektoren zurückmelden, glaubt Rob Anderson vom Analysehaus Ned Davis Research. Unterstützend dürften zum Jahresende hin auch das Nachlassen der politischen Unsicherheit nach den US-Präsidentschaftswahlen sowie eine bessere Saisonalität wirken.

Gemäss der oben gezeigten «Investment Clock» würde eine solche Entwicklung auch Value-Aktien und kleinkapitalisierte Valoren (Small Caps) favorisieren. «Für eine Long-Position bei zyklischen Werten ist in der Regel eine steiler werdende Kurve erforderlich – allerdings bei steigenden Renditen auf zehnjährige US-Staatsanleihen», meint Mislav Matejka. Im Jargon wird dabei von einem Bear Steepener gesprochen. Höhere langfristige Zinsen spiegeln typischerweise bessere Wachstumsaussichten.

Noch aber dürfte es verfrüht sein, sich für ein solch optimistisches Szenario zu positionieren. Anleger sind mit der oben skizzierten defensiven Portfolioausrichtung vorderhand gut bedient.

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