Der Verlierer der Oscars heisst – Hollywood.

Eines kann man den Oscars nicht vorwerfen. Dass nicht danke gesagt werde. Wie gewohnt, bedankten sich die Gewinner gerne ausführlich. Adrien Brody, der für seine Leistung als Hauptdarsteller in «The Brutalist» geehrt wurde, wollte fast nicht aufhören mit seiner Danksagung.

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«Stellt die Musik ab!», sagte der stolze Schauspieler verärgert, als die TV-Regie seine Rede abbinden wollte. «Ich mache das hier nicht zum ersten Mal.» Der Mann, der schon vor gut zwanzig Jahren für «The Pianist» prämiert wurde, war nicht der einzige Gewinner, der die Geduld der Showrunner strapazierte.

Im Verlauf des Abends wurde ausgiebig der Oscar-Academy gedankt. Gott wurde gedankt. Dann irgendwelchen Managern, vielen Müttern, jemand dankte Hund und Katze, Kindern wurde gedankt, Filmverleihern, Sexarbeitern. Alles dabei.

Niemand musste sich übergangen fühlen. Ausser vielleicht J. D. Vance. Ihm dankte wieder keiner. «Have you said thank you once?», hatte der Vizepräsident am Freitag Selenski im Weissen Haus angeraunzt. Aber das Dolby Theatre ist nicht das Oval Office. Am Hollywood Boulevard heisst der Hausherr nicht Trump, und der Moderator der 97. Academy Awards, Conan O’Brien, war nicht auf Krawall gebürstet.

Der übliche Palästina-Krawall

Es waren weitgehend unpolitische Oscars. Nur der Nahostkonflikt war kurz Thema. «No Other Land», ein reisserischer Film von selbsterklärten propalästinensischen Aktivisten, gewann den Dokumentarfilm-Oscar. Der Co-Regisseur Basel Adra unterstellte Israel eine ethnische Säuberung in den palästinensischen Gebieten. Gleichzeitig forderte sein israelischer Kollege Yuval Abraham immerhin auch, dass die Geiseln der Hamas freigelassen würden.

Ihr Einwurf zu Gaza war die einzige politische Intervention. Mit Selenskis und Trumps hitzigem Kamingespräch im Weissen Hauses hielt sich niemand auf. Zwei kleine Spitzen erlaubte sich Conan O’Brien bloss. Die erste war subtil: In einem Sketch stritt sich O’Brien zu Beginn mit Adam Sandler, weil sich der Komödiant in Kapuzenpullover und Shorts ins Auditorium setzte: «What are you wearing?», blaffte ihn der Moderator an. Es sollte dies vermutlich eine Anspielung auf Trump sein, der beim Treffen mit Selenski über dessen Aufmachung spottete («oh, you’re all dressed up»).

Der zweite, etwas deutlichere Kommentar kam gegen Ende der Show, nach über drei Stunden: «Scheint so, als würde es die Amerikaner freuen, dass sich endlich jemand gegen einen mächtigen Russen erhebt», bemerkte O’Brien zum sich abzeichnenden Triumph des Films «Anora».

In der Dramedy von Sean Baker brennt eine Stripperin (auch Oscar-prämiert: Mikey Madison) in Brighton Beach, New York, mit dem Sohn eines russischen Oligarchen durch. Der Oligarch will seinen verzogenen Bengel nach Russland zurückholen. Doch die Sexarbeiterin schlägt um sich, und die Russen sehen in dem Film fast durchs Band belämmert aus.

Im Unterschied zu Trump trotzt diese Stripperin einem Mächtigen in Moskau, schien Conan O’Brien zu sagen. Nachdem der US-Präsident im Oval Office klargemacht hatte, wo die Sympathien seiner Administration liegen, liess der Gastgeber die Gelegenheit nicht ungenutzt, um gegen die neue amerikanisch-russische Freundschaft zu sticheln. Wenn auch nur sehr sanft.

Ist Hollywood von Trump eingeschüchtert?

In Hollywood wurde in der Nacht auf Montag nicht gestritten. Es war eine konfliktscheue, selbstgefällige Show. Die Veranstaltung zog sich wie der Kaugummi, an den sich Adrien Brody auf halbem Weg zur Bühne erinnerte. Er spuckte ihn aus und warf ihn seiner Partnerin zu. Auch eine Art, danke zu sagen.

Selbst Conan O’Brien fand alles irgendwann nur noch zäh. «Wer jetzt noch zuschaut, leidet am Stockholm-Syndrom», so versuchte er es mit Selbstironie. Sonntagnacht in L. A. war lax.

Das mag auch daran liegen, dass Hollywood eingeschüchtert ist. Die Filmszene steht für das alte Amerika. Sie hat sich mit aller Kraft für Harris/Biden bemüht, jetzt findet sie sich auf der Seite der Verlierer. Fürchtet sie Trumps Rache? Für das demokratische Hollywood sind die Oscars ein letzter «safe space».

Neu ist das nicht. Der wichtigste Filmpreis der Welt wagt sich schon länger kaum mehr aus der Bubble heraus. Nicht nur ideologisch. Man verliert das Publikum aus dem Blick. Früher mussten Filme erfolgreich sein, danach kamen sie für die Oscars infrage. Mittlerweile konkurrieren vor allem noch nischigere Produktionen um die Auszeichnung.

Das vergangene Jahr, in dem die Publikumsmagnete «Oppenheimer» und «Barbie» aufeinandertrafen, war die Ausnahme. Die Entwicklung zeichnet sich schon seit 2020 ab, als sich der südkoreanische Arthouse-Film «Parasite» gegen die amerikanischen Schwergewichte «Once Upon a Time in Hollywood» und «Joker» durchsetzte. Dann gewann 2021 mit «Nomadland» ein Beitrag, der in Amerika gerade einmal 3,7 Millionen Dollar eingespielt hatte. Und im Folgejahr ein Film namens «Coda», an den sich heute kein Mensch mehr erinnert.

«Anora» ist vifes, sexy Unterhaltungskino. Eigentlich müsste das attraktiv sein für eine breitere Zuschauerschaft. Im Unterschied zum Trans-Musical «Emilia Pérez» ist der Film auch nicht kalkuliert auf den woken Markt zugeschnitten. Ebenso wenig biedert er sich mit einer zeitgeistigen Pointe beim Publikum an wie «Conclave», wo der Papst zum Finale alle Genderfragen sprengt.

Viel Haut

Dagegen ist «Anora» angenehm ideologiebefreites Kino. Am Ende bahnt sich sogar eine Romanze an zwischen einem russischen Schläger und der amerikanischen Stripperin. «Anora» zeigt nicht nur viel Haut. Sean Baker ist eine ehrliche Haut. Und dennoch zieht das offenbar nicht beim Massenpublikum. Es gab in 25 Jahren nur drei Oscar-Gewinner, die auf dem Heimatmarkt noch weniger Tickets verkauft haben als «Anora».

Damit steht der Gewinnerfilm der Oscars symptomatisch für die Probleme in Hollywood. Das amerikanische Kino kämpft mit dem Bedeutungsschwund. Das ist nicht die Schuld von Sean Baker. Ein kleiner, unabhängig produzierter Film kann nicht viel ausrichten. Es fehlen die Zugpferde der grossen Studios. Dadurch, dass sich Hollywood nicht für das neue Amerika interessiert, fertigt die Industrie nur noch Filme für die eine Hälfte des Landes. Die andere wendet sich ab.

Bei der Verleihung der 97. Academy Awards war der Ausgang des Abends lange offen. Die Preise wurden auf viele Filme verteilt, der grosse Gewinner stand bis zum Schluss nicht fest. Fest steht hingegen nicht erst seit gestern der Verlierer: Hollywood.

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