Der Schweizer Regisseur ist nominiert für das Drehbuch seines Films «September 5». Die Tage in Los Angeles kommen ihm manchmal surreal vor.
Sonntagnacht sind die Oscars, kurz den Puls checken bei Tim Fehlbaum: Wie ist das Befinden beim Regisseur des Films «September 5», der in der Kategorie «Bestes Drehbuch» nominiert ist? «Ich freue mich jetzt einfach auf Sonntag», sagt sehr gelassen der Schweizer Filmemacher über Zoom aus West Hollywood.
Der 42-jährige Basler ist ein unaufgeregter Typ. Jungenhaftes Naturell, zugänglich, unkompliziert. Noch rasch telefonieren vor den Oscars? Kein Problem, ein paar Minuten später steht der Video-Call. Das Bild ist etwas schief, sein Handy liegt schräg auf der Ablage. Aber sonst ist alles im Lot.
Die Oscar-Nomination gebe dem Film nochmals einen Schub, sagt Fehlbaum. Sie motiviere Leute, sich «September 5» im Kino anzuschauen, «das ist das Wichtigste, darum geht es». Und natürlich sei es auch eine grosse Ehre, in einer Reihe mit den Filmschaffenden von «The Brutalist» oder «Anora» genannt zu werden.
Im Hotel mit den grossen Namen
Tim Fehlbaum ist bald mit der A-List auf einem Level. Oder auf einer Etage, wenn man so will: Im Video-Call zeichnet sich hinter ihm ein Hotelzimmer ab, gehobenes Interieur – der Basler wohnt in dem Hotel, in dem die Nominierten aus aller Welt untergebracht sind, auch diejenigen, die aus anderen Teilen Amerikas nach Kalifornien kamen.
Man begegne im Haus vielen Filmschaffenden, sagt Fehlbaum, «das ist schon witzig». Wer aber denkt, dass im Nebenzimmer Timothée Chalamet, der Bob-Dylan-Schauspieler aus «A Complete Unknown», wilde Partys veranstaltet oder man Demi Moore, nominiert für «The Substance», im Spa trifft, täuscht sich. Die meiste Zeit verbringt Fehlbaum mit Meetings. Es sei viel weniger glamourös, als man sich das vorstelle, sagt er. «Leider habe ich gar keine Promi-Geschichten zu erzählen.»
Der Mann stapelt natürlich tief. In diesem Jahr ist Fehlbaum schon das dritte Mal in Los Angeles. Er war bei den Golden Globes, dann bei diversen kleineren Preisverleihungen, die man als Rampe zu den Oscars verstehen kann: Independent Spirit Awards, Critics’ Choice Awards.
Auch für diese zweitrangigen Events werde eine beeindruckende Show veranstaltet, erzählt er. Prominente Gastgeber führen durch die Abende, es wird live aufgezeichnet, grosse Namen sind im Saal. «Wenn Harrison Ford, der Kindheitsheld aus Spielbergs ‹Indiana Jones›, an einem vorbeigeht, ist das schon ein besonderes Gefühl», gibt Fehlbaum zu.
Wie Spielberg mit «Munich»
Mit seinen wachen, verspielten Filmemacheraugen hat Tim Fehlbaum selber etwas von einem jungen Steven Spielberg. Und wie dieser vor zwanzig Jahren mit «Munich» hat sich auch Fehlbaum in «September 5» dem Attentat bei den Olympischen Spielen 1972 in München angenommen. Wie aktuell das Thema sein würde, konnte er nicht ahnen.
Der Film war abgedreht, als der Nahostkonflikt neu ausbrach. Der historische Stoff über palästinensische Terroristen, die israelische Geiseln nehmen, hatte nach dem Hamas-Massaker vom 7. Oktober ein ganz anderes Gewicht. Gleichzeitig zeigt sich in der Kultur- und Filmwelt seit Beginn des Gaza-Kriegs ein einseitiger antiisraelischer Reflex.
So gegenwärtig er ist, Fehlbaums Film über das israelische Trauma passt nicht in den propalästinensischen Zeitgeist. Dass «September 5» von Anfeindungen weitgehend verschont geblieben ist, spricht für den Schweizer, der sich in Interviews umsichtig um die Fallstricke navigierte.
Es hat aber auch mit dem klugen Drehbuch von Fehlbaum und seinen Co-Autoren Moritz Binder und Alex David zu tun: Die Geschehnisse im olympischen Dorf werden aus der Sicht von Journalisten in der Sendezentrale von ABC wiedergegeben. Vordergründig scheint es nicht um Politik zu gehen. Die ABC-Leute wollen in ihrer Berichterstattung primär Emotionen wecken. Weil sie verstehen, dass erst ein aufgewühlter Zuschauer ein aufmerksamer Zuschauer ist.
Das weiss auch Fehlbaum. Wie es das klassische amerikanische Kino vormacht, verdichtet er in der deutschen Produktion ein Ereignis von weltpolitischer Tragweite zum atemlosen Thriller. Wer sich Spielbergs «Munich» heute noch einmal anschaut, muss sagen: «September 5» ist grade so gut.
Da staunte Fehlbaum
Apropos Spielberg: Gefragt nach prägenden Oscar-Erinnerungen, fällt Fehlbaum die Ausgabe von 1994 ein. Damals verbrachte der Teenager Tim die Nacht vor dem Fernseher und sah, wie Steven Spielberg gleichzeitig mit «Jurassic Park» und «Schindler’s List» bei den Academy Awards vertreten war. Was ist das für ein Regisseur, dachte der junge Filmfan: «Da bringt einer in einem Jahr zwei Filme, die verschiedener nicht sein können, und beide sind absolute Meisterwerke.»
Dass Tim Fehlbaum, geboren 1982 in Basel, sich früh für das Kino begeisterte, lag am Vater, der dem Sohn seine Filmaffinität näherbrachte – nicht zuletzt mit dem Interview-Buch «Mr. Hitchcock, wie haben Sie das gemacht?» von François Truffaut. Das Gespräch des französischen Autorenfilmers mit dem britischen «Master of Suspense» zeigte dem jungen Tim, welche Arbeit hinter dem Kinoerlebnis steckt.
Mehr als alles andere hätten ihn die Filme seiner Jugend geprägt, sagt er. Den Gedanken, dass er als Enkel der Vitra-Gründer Willi und Erika Fehlbaum ein besonderes ästhetisches Empfinden geerbt habe, will er nicht überstrapazieren. Formvollendet sind seine Arbeiten aber allemal. Bereits «Hell», sein Abschlussfilm an der Hochschule für Fernsehen und Film (HFF) in München, machte als bildgewaltiger Endzeitthriller Eindruck. Spätestens als dieser 2011 auf der Piazza Grande in Locarno lief, war Tim Fehlbaum klar, dass er beim Film eine Zukunft hatte. Die Oscars, sagt er im Zoom-Call aus West Hollywood, seien ein Kindheitstraum gewesen, «das kann ich nicht abstreiten».