Sonntag, Oktober 6

Die Einwohner der pakistanischen Region fühlen sich seit Jahren von der Regierung vernachlässigt. Die chinesischen Investitionen im Rahmen des Seidenstrassen-Projekts haben den Unmut noch verstärkt. Nun eskaliert die Gewalt.

Eine gesprengte Eisenbahnbrücke, drei Dutzend ausgebrannte Busse und Lastwagen und mehr als siebzig Tote: Das ist die bittere Bilanz von drei Tagen der Gewalt in Belutschistan. Pakistans Premierminister Shehbaz Sharif kündigte am Dienstag an, die Sicherheitskräfte würden im Kampf gegen den Terrorismus alle nötigen Ressourcen erhalten, es könne «keinen Platz für Schwäche» geben. Den Separatisten warf er vor, sie wollten mit ihren Angriffen den sogenannten China-Pakistan-Wirtschaftskorridor verhindern und die Entwicklung des Landes torpedieren.

Dieser Wirtschaftskorridor ist ein riesiges, von China finanziertes Infrastrukturprojekt, das die chinesische Provinz Xinjiang besser mit dem Hafen Gwadar in Belutschistan verbinden soll. Über den Tiefseehafen an der Küste des Arabischen Meers will China einen Teil seiner Erdölimporte aus den Golfstaaten abwickeln. Das Projekt ist ein wichtiger Bestandteil der Belt-and-Road-Initiative – Pekings weltumspannendes Projekt zur Erschliessung neuer Handelswege und Exportmärkte.

Das Mammutprojekt, das auch als neue Seidenstrasse bekannt ist, soll eigentlich zur Entwicklung von Belutschistan beitragen. Die Belutschen fühlen sich schon lange vernachlässigt von der Regierung in Islamabad. Sie werfen ihr vor, sich nicht ausreichend an der Ausbeutung der Ressourcen in der Wüstenprovinz zu beteiligen. Die Region an der Grenze zu Iran und Afghanistan ist zwar reich an Gas, gehört jedoch bis heute zu den ärmsten Provinzen in Pakistan.

Zehntausende protestierten in Gwadar

Vor elf Jahren hat China die Rechte für die Nutzung des Hafens von Gwadar übertragen bekommen. Bis heute hat es 65 Milliarden Dollar in das Seidenstrassen-Projekt in Pakistan investiert. Doch trotz den Investitionen sind viele Einwohner von Gwadar unzufrieden mit der Situation. In den vergangenen Wochen gingen in der Hafenstadt Zehntausende Menschen auf die Strassen, um gegen den wachsenden chinesischen Einfluss und die Repressionen der pakistanischen Regierung zu protestieren.

Angeführt wurden die Proteste von der 31-jährigen Aktivistin Mahrang Baloch. Nicht zuletzt richteten sich die Proteste gegen die massenhafte Verschleppung von Regierungsgegnern in Belutschistan. Menschenrechtsgruppen beklagen schon seit langem, die Sicherheitskräfte hätten in der Provinz Tausende Menschen verschwinden lassen. Die Regierung sagt dagegen, es handle sich dabei um Leute, die sich den Separatisten angeschlossen hätten. Separatisten führen seit dem Jahr 2000 einen bewaffneten Kampf gegen den pakistanischen Staat.

Auch Mahrang Balochs Vater verschwand 2009. Zwei Jahre später wurde er mit Spuren der Folter tot aufgefunden. Seine Tochter wirft den Sicherheitskräften vor, ihn entführt zu haben. Die Behörden beschuldigen dagegen ihren Vater, zur Separatistengruppe Balochistan Liberation Army (BLA) gehört zu haben. Diese führt den Unabhängigkeitskampf an. Die Regierung wirft auch ihrem Erzfeind Indien vor, die BLA zu unterstützen.

Wer aus Punjab stammte, wurde erschossen

Die Gruppe zeichnet verantwortlich für die blutige Serie von Terrorangriffen, die sich am Sonntag in Belutschistan entfaltete. Am meisten Aufsehen erregte ein Angriff am Montagmorgen, bei dem drei Dutzend Rebellen auf einer Überlandstrasse Busse und Lastwagen stoppten und die Passagiere zum Aussteigen zwangen. Sie erschossen mindestens 23 Menschen, die gemäss ihren Ausweisen aus der Nachbarprovinz Punjab stammten. Anschliessend setzten die Angreifer die Busse, Lastwagen und Pick-ups in Brand.

Es waren die schwersten Angriffe seit Jahren, präzedenzlos waren sie aber nicht. Erst im April stoppten Bewaffnete einen Bus und töteten neun wehrlose Passagiere. Die Separatisten jagten bei der koordinierten Aktion auch eine Brücke an einer wichtigen Bahnlinie in die Luft und stürmten mehrere Hotels und Polizeiwachen. Insgesamt wurden laut den Behörden bei Feuergefechten neben 21 Angreifern auch 14 Mitglieder der Sicherheitskräften getötet.

Die Regierung will nun mit aller Härte gegen die Separatisten vorgehen. In der Presse wurden aber auch Stimmen laut, die mahnten, die der Gewalt zugrunde liegenden sozialen und wirtschaftlichen Probleme anzugehen. Die Anliegen der friedlichen Proteste in Gwadar müssten ernst genommen und die Demonstranten dürften nicht kriminalisiert werden. So schrieb die Tageszeitung «Dawn» in einem Leitartikel: «Die Terroristen können nur eliminiert werden, wenn man der Bevölkerung von Belutschistan zuhört und mit ihr kooperiert.»

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