Die Renditen von US-Staatsanleihen steigen auf den höchsten Stand seit mehr als zwei Jahren und ziehen den Dollar nach oben. Die Aktienmärkte reagieren mit Abgaben. Schutz vor Turbulenzen dürfte der Energiesektor bieten.
«Wahrscheinlich können 98% der Dinge, die Donald Trump tun wird, nicht vorhergesagt werden. Und selbst die Folgen der Dinge, von denen wir wissen, dass er sie tun wird, können nicht vorhergesagt werden.»
Howard Marks, amerik. Investor, Mitgründer von Oaktree Capital (*1946)
In gut einer Woche, am 20. Januar, wird Donald Trump auf den Treppen des Capitols in Washington als 47. Präsident der USA vereidigt. Zwei Monate sind seit seiner Wahl vergangen – und es gab kaum einen Tag, an dem Trump nicht für Schlagzeilen gesorgt hätte.
Er will Grönland annektieren, Kanada einverleiben, die Kontrolle über den Panamakanal erringen, er hält Windenergie für eine Dummheit und verlangt, dass die Nato-Partner 5% ihrer Wirtschaftsleistung in die Verteidigung investieren.
Das dürfte in den kommenden vier Jahren die Normalität sein. Der Präsident der USA wird Lärm produzieren, wann und wie es ihm beliebt über Social Media – und er wird damit die Märkte bewegen. So zum Beispiel am Mittwoch, als seine Aussage zur Windenergie auch Zulieferer wie die schweizerische Gurit 📈 belastete.
Aus Trumps erster Amtszeit ist sein erratisches Wesen bekannt. Wir halten es daher mit dem Value-Investor Howard Marks: Es ist müssig, vorherzusagen, was Trump alles machen und beschliessen wird.
Für Investoren wird es wichtig sein, sich nicht in diesem Lärm zu verlieren, sondern stattdessen auf die Signale zu achten, die die Finanzmärkte aussenden. Und ein derartiges Signal leuchtet gegenwärtig besonders grell: Die langfristigen Zinsen an den Bondmärkten steigen in bedrohlichem Ausmass.
Die Rendite zehnjähriger Treasury Notes, der wichtigste Preis der Welt, ist heute Freitag nach überraschend starken Arbeitsmarktdaten in den USA auf über 4,75% geklettert. Die Rendite zwanzigjähriger Treasuries hat erstmals seit Herbst 2023 die Grenze von 5% überschritten.
Die Sogwirkung des Treasury-Marktes zieht – mit wenigen Ausnahmen wie China – das Zinsniveau weltweit nach oben. Dreissigjährige britische Staatsanleihen notieren auf dem höchsten Renditeniveau seit 1998, japanische Staatsanleihen haben das Renditeniveau von 2011 erreicht. Auch die langfristigen Zinsen Deutschlands steigen – trotz Kriechgang der Konjunktur – seit Anfang Dezember ohne Unterbruch.
Was steckt dahinter? Und was bedeutet die Entwicklung für die Aktienmärkte? Diesem Thema widmen wir uns im dieswöchigen «Big Picture». Im «The Pulse» am Mittwoch sind wir bereits spezifisch auf das Zinsrisiko für Tech-Aktien eingegangen.
Der Anstieg der Treasury-Renditen am langen Ende der Zinsstrukturkurve begann Mitte September fast auf den Tag genau an dem Datum, als die US-Notenbank (Fed) den Zinssenkungszyklus einleitete. Damals, nach einem schwachen Arbeitsmarktbericht im August, kursierten Ängste vor einer «harten Landung» der US-Wirtschaft, weshalb Fed-Chef Jerome Powell und seine Kollegen den Leitzins mit einem Doppelschritt von 50 Basispunkten senkten.
Die Reaktion des Bondmarktes auf die Zinssenkung des Fed ist historisch betrachtet zutiefst abnormal, wie Torsten Slok, Chefökonom der Private-Equity-Gesellschaft Apollo, mit dieser Grafik zeigt:
Im Durchschnitt der vergangenen sechs Zinssenkungszyklen seit 1987 ist die Rendite zehnjähriger Treasury Notes nach der ersten Leitzinssenkung jeweils gesunken (blaue Kurve). Im gegenwärtigen Zyklus ist sie dagegen deutlich gestiegen.
Wieso?
Die Gründe für den Zinsanstieg lassen sich nicht kausal beweisen. Dahinter steht eine Kombination aus verschiedenen Faktoren:
1. Erstarken der Wirtschaft
Die Angst vor einer harten Landung, Anfang September das dominierende Thema an den Märkten, ist verflogen. Von der Gefahr einer nahenden Rezession spricht an Wallstreet niemand mehr. Der GDPNow-Echtzeitindikator der Federal Reserve Bank of Atlanta veranschlagt das Realwachstum der US-Wirtschaft im vierten Quartal 2024 auf 2,7%.
Die jüngsten Lesungen der Einkaufsmanagerindizes des Institute for Supply Management (ISM) zeigten sowohl für den Industrie- als auch für den Dienstleistungssektor im Dezember eine Belebung der Dynamik. Die Subkomponente der neuen Bestellungen («New Orders») – ein Vorlaufindikator innerhalb des Vorlaufindikators – ist deutlich gestiegen.
Wie der heute Freitag publizierte Arbeitsmarktbericht zeigt, wurden in der US-Wirtschaft im Dezember 256’000 neue Stellen geschaffen. Die Arbeitslosenquote sank auf 4,1%, nach 4,2% im Vormonat. Beide Werte haben die Erwartungen der Ökonomen deutlich übertroffen.
2. Inflationsdruck
Der Inflationsdruck im Land nimmt wieder zu. Die Kernrate der Teuerung der Konsumentenpreise, ohne Energie und Nahrungsmittel, bewegt sich seit sechs Monaten seitwärts und verharrt über 3% (gelbe Kurve).
In der abgelaufenen Woche sorgte besonders der deutliche Anstieg der Inflationskomponente des ISM-Index des Dienstleistungssektors («Prices Paid») für Verunsicherung an den Märkten. Wie Apollo-Chefökonom Slok zeigt, gilt dieser Index als Vorlaufindikator für die Kern-Inflationsrate:
Die Finanzmärkte blicken deshalb mit besonders grosser Spannung auf den 15. Januar, wenn der Index der Konsumentenpreise (Consumer Price Index, CPI) für den Monat Dezember publiziert wird.
Im Lichte der tendenziell erstarkenden Wirtschaft und des steigenden Inflationsdrucks haben in den vergangenen Wochen diverse Exponenten der US-Notenbank die Hoffnungen auf baldige weitere Leitzinssenkungen gedämpft. Die Terminmärkte rechnen derzeit erst für die Fed-Sitzung vom 18. Juni mit der nächsten Zinssenkung.
3. Technische Faktoren und «Term Premium»
Nebst der Konjunktur und dem Inflationsdruck sorgen weitere Faktoren wie die wachsende Staatsverschuldung, das Haushaltsdefizit von mehr als 6% des BIP sowie die Aussicht auf eine möglicherweise unvernünftige Fiskalpolitik der Trump-Regierung für Auftrieb in den Bondrenditen. Investoren verlangen für das Risiko, das sie mit langfristigen Staatsanleihen eingehen, eine höhere Entschädigung («Term Premium»).
Eine besonders knifflige Aufgabe stellt sich für Scott Bessent, den künftigen Finanzminister: Seine Vorgängerin, Janet Yellen, hat in den vergangenen zwei Jahren in erheblichem Ausmass mit einem Trick gearbeitet, um den Staatshaushalt reibungslos zu finanzieren. Unter Yellen hat das Schatzamt die Emission von kurzfristigen Anleihen mit maximal zwölf Monaten Laufzeit (T-Bills) kräftig erhöht. Damit konnte Yellen die Geldmarktfonds dazu bewegen, ihre Mittel, die sie zuvor in der sogenannten Reverse-Repo-Fazilität (RRP) des Fed eingelagert hatten, in T-Bills umzuschichten.
Dieses Manöver führte dem Finanzsystem im Zeitraum seit Mitte 2023 gut 2 Bio. $ an Liquidität zu.
Doch die Strategie stösst nun an Grenzen. Erstens ist die RRP-Fazilität nahezu ausgeschöpft, und zweitens sind heute US-Staatsschulden im Volumen von mehr als 6 Bio. $ – gut 22% aller ausstehenden Anleihen der USA – mit ultrakurzen Bills finanziert. Diese müssen laufend refinanziert werden.
Bessent hat in öffentlichen Auftritten bereits gesagt, dass er Yellens Strategie der kurzfristigen Finanzierung für gefährlich hält und er künftig mehr Anleihen mit längerer Laufzeit – Notes und Bonds – emittieren möchte. Doch dadurch wird sich das Angebot in den Auktionen langfristiger Treasuries erhöhen, was das Finanzsystem vor die Herausforderung stellt, diese Emissionen zu absorbieren.
«Ich befürchte, dass der Bondmarkt bald eine Panikattacke erlebt, möglicherweise verstärkt durch die inflationäre Wirkung von Strafzöllen und Massenausweisungen von Immigranten unter Trump», sagt der Marktbeobachter Larry McDonald in diesem Interview.
Für die Aktienmärkte stellt sich die bange Frage, wann der Anstieg der Zinsen zu schmerzen beginnt.
Dem S&P 500 wird es angesichts der kräftigen Aufwärtsbewegung der Bondrenditen seit Anfang Dezember offensichtlich mulmig. Der US-Leitindex bewegt sich seitwärts, und auch Schwergewichte wie Nvidia kommen nicht mehr voran.
Es gibt keine eindeutige Grenze, ab welchem Zinsniveau der Aktienmarkt mit Abgaben reagiert: «Ich denke, wenn die Rendite zehnjähriger Treasuries auf über 4,7 oder 4,8% steigt, kommen wir auf schwieriges Terrain», sagt Marko Papic, Stratege der kanadischen Research-Boutique BCA.
Die hohe Bewertung macht den Aktienmarkt verletzlich. Der S&P 500 ist gegenwärtig mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis von mehr als 25 bewertet, woraus sich eine Gewinnrendite von weniger als 4% errechnet. Im Vergleich zu zehnjährigen Treasuries mit knapp 4,7% ist die Aktienrisikoprämie damit negativ – ein Zustand, wie er letztmals vor mehr als zwanzig Jahren zu verzeichnen war.
Erhellend ist zudem ein Blick in die jüngere Vergangenheit: Im Zeitraum der vergangenen drei Jahre kam es vier Mal zu einem deutlichen Anstieg der langfristigen Zinsen in den USA:
- Von März bis Oktober 2022 (mit einem Unterbruch im Juni und Juli)
- Im dritten Quartal 2023, ebenfalls bis Oktober
- Im ersten Quartal 2024, bis Ende April
- Seit Mitte September 2024 bis heute (mit Unterbruch im November)
In der nachfolgenden Grafik sind diese Phasen rot markiert:
So hoch wie heute waren die Zinsen in diesem Beobachtungszeitraum nur ein Mal, nämlich im Oktober 2023.
Die nächste Grafik zeigt den S&P 500 über den gleichen Zeitraum, wobei die Phasen steigender Zinsen ebenfalls rot markiert sind:
Dabei ist deutlich zu sehen, wie der Aktienmarkt jeweils Schwierigkeiten mit steigenden Zinsen bekundete. Im dritten Quartal 2023, als die Bondrenditen von unter 4 auf 5% stiegen, büsste der S&P 500 knapp 10% ein. Im April 2024 war es vor allem der letzte Zinsschub auf gegen 4,6%, der am Aktienmarkt einen Rückschlag von etwas mehr als 5% provozierte.
Eine Entspannung am Bondmarkt wurde dagegen jeweils umgehend mit Kursgewinnen im S&P 500 quittiert.
In den Phasen steigender Zinsen verhielten sich die einzelnen Sektoren im S&P 500 überdies höchst unterschiedlich. In der ersten Phase, die vom 15. März bis 24. Oktober 2022 dauerte, erlitten vor allem die technologielastigen Sektoren Kommunikation (u.a. Alphabet), zyklischer Konsum (u.a. Tesla, Amazon) und Technologie (u.a. Microsoft, Nvidia) herbe Einbussen. Der Energiesektor (u.a. Chevron, ExxonMobil) entwickelte sich dagegen prächtig:
In der zweiten Phase, die vom 3. Mai bis zum 19. Oktober 2023 dauerte, konnten sich die Tech-Sektoren besser halten (sie profitierten vom Thema künstliche Intelligenz), aber auch in diesem Zeitraum gelang dem Energiesektor im Vergleich zum Gesamtindex eine Glanzleistung:
In der dritten Phase steigender Bondrenditen, von Ende 2023 bis zum 25. April 2024, gelang dem Energiesektor wiederum eine deutliche Überperformance:
Der einzige Bereich, der in den bisherigen drei Phasen steigender Zinsen konsistent besser abgeschnitten hat als der Gesamtmarkt, war der Energiesektor.
Dieser Befund kontrastiert bis anhin noch mit der Entwicklung in der gegenwärtigen Phase steigender Zinsen, die Mitte September 2024 begonnen hat und bis heute dauert: Sie zeigt bis anhin eine schwache Performance des Energiesektors.
Das könnte eine Chance darstellen: Falls sich der Zinsanstieg in den kommenden Monaten fortsetzt und den Aktienmarkt stärker belastet, dürften Aktien aus dem Energiesektor Schutz bieten.
Es lässt sich nicht prognostizieren, ob, wie lange und wie weit die Zinsen in den kommenden Wochen und Monaten noch steigen. Zunächst, besonders nach den starken Arbeitsmarktdaten von heute Freitag, spricht jedoch vieles dafür. Die US-Wirtschaft läuft für den Geschmack des Bondmarktes zu heiss. Sollten die CPI-Daten am kommenden Mittwoch ebenfalls höher ausfallen als erwartet, könnten die Treasury-Renditen rasch auf ein Niveau über 5% steigen.
Die fiskal- und geldpolitischen Entscheidungsträger sind dagegen allerdings nicht ganz machtlos. Finanzminister Bessent könnte nach seinem Amtsantritt den Plan verzögern, wieder mehr Anleihen mit langen Laufzeiten zu emittieren. Zu gute kommt ihm dabei die Tatsache, dass auf dem Kontokorrent des Schatzamts beim Fed (Treasury General Account, TGA) gegenwärtig 720 Mrd. $ zur Verfügung stehen. Diese können für die Finanzierungsbedürfnisse des Staates angezapft werden, was es Bessent erlauben würde, weniger neue Staatsanleihen zu emittieren.
Auch das Fed hat eine Waffe gegen einen zu starken Zinsanstieg am Bondmarkt in der Hand: Die Notenbank kann ihre Politik des Bilanzabbaus (Quantitative Tightening, QT) beenden. Gegenwärtig schrumpft das Fed seine Bilanz noch mit 60 Mrd. $ pro Monat, indem fällige und zurückbezahlte Staatsanleihen sowie verbriefte Hypothekarkredite (Mortgage-backed Securities, MBS) nicht reinvestiert werden.
Die Strategen von Goldman Sachs bringen die Option ins Spiel, dass die Fed-Führung an ihrer nächsten Sitzung vom 29. Januar beschliessen könnte, das QT-Programm zu beenden. Das Fed könnte dann auf eine Politik wechseln, die Mittel aus fälligen Staatsanleihen und MBS in den Kauf neuer Treasuries umzuleiten. Das wäre der erste Schritt zu einem neuen Quantitative-Easing-Programm, das darauf abzielt, den Anstieg der langfristigen Zinsen zu bremsen.
Der Anstieg der Zinsen in den USA hat Auswirkungen auf das Weltfinanzsystem. Der Zinsanstieg zieht den Dollar in die Höhe; der Dollar-Index (DXY) ist auf den höchsten Wert seit Herbst 2022 geklettert.
Ein steigender Dollar kommt für das Weltfinanzsystem einem Liquiditätsentzug gleich, worunter besonders Emerging Markets leiden. Der Schwellenländerindex von MSCI hat seit Ende September mehr als 10% verloren.
Weil Rohstoffe zudem in Dollar gehandelt werden, verteuert der Greenback die Preise für Rohstoff-Importeure wie Japan, Indien oder auch die Volkswirtschaften in Europa. Die USA exportieren über die Dollarstärke gewissermassen Inflation in den Rest der Welt – was auch in den jüngsten Inflationsdaten im Euroraum zu sehen war und die Arbeit der Europäischen Zentralbank erschwert.
Zwei Staaten müssen Investoren derzeit besonders im Auge behalten: Grossbritannien und Japan. In Grossbritannien schwächt sich das Pfund ab, während die Renditen von Staatsanleihen (Gilts) in die Höhe streben. Das ist das typische Symptom einer Kapitalflucht, wie man sie gemeinhin mit Schwellenländern in Verbindung bringt. Ein derartiges Muster – allerdings in erheblich grösserem Ausmass – führte im Herbst 2022 zum Sturz der Regierung von Premierministerin Liz Truss.
In Japan ist die Rendite zehnjähriger Staatsanleihen mit 1,2% auf den höchsten Wert seit 2011 geklettert.
Damit ist die Renditedifferenz des Yen zum Dollar zwar immer noch erheblich. Aber je länger sich der Renditeanstieg im Yen fortsetzt, desto eher könnten sich institutionelle Investoren in Japan versucht sehen, ihr im Ausland investiertes Kapital zu repatriieren. Das würde der markant unterbewerteten japanischen Valuta Rückenwind verleihen.
Der grosse Aussenseiter im globalen Zinsgefüge ist China. Die beiden wichtigsten Bondmärkte der Welt divergieren: Während die Zinsen in den USA steigen, ist die Rendite zehnjähriger Staatsanleihen der Volksrepublik auf weniger als 1,7% abgesackt.
Zum ersten Mal überhaupt liegt die Rendite 30-jähriger chinesischer Staatsanleihen unter ihrem japanischen Pendant.
Diese Preissignale sind Ausdruck der Tatsache, dass China in einer Deflationsspirale steckt. Diesem Thema wird sich das «Big Picture» in den kommenden Wochen widmen.