Zehn Massnahmen sollen helfen, die Ressentiments zwischen Juden und Einheimischen abzubauen. Doch ohne Offenheit auf beiden Seiten fruchtet das nicht.

Eine Schlitten-Affäre wurde für Davos zum internationalen PR-Debakel: Im letzten Februar berichteten Medien von der deutschen «Tagesschau» über die BBC bis zur «Washington Post» über ein Bergrestaurant, das jüdisch-orthodoxen Gästen keine Sportgeräte mehr vermieten wollte. Implizit oder explizit wurde die Bündner Tourismusdestination als ein Ort dargestellt, in dem der Antisemitismus grassiert.

Dem jungen Landammann Philipp Wilhelm ist bewusst, wie verheerend ein solches Image für Davos ist. Und dass es dringend eine Korrektur braucht. Eine Task-Force unter der Leitung des früheren Spitzendiplomaten Michael Ambühl hat deshalb einen Katalog mit zehn Massnahmen erarbeitet, mit denen sich weitere unrühmliche Vorfälle vermeiden lassen sollen.

Vieles von dem, was sich die Gruppe ausgedacht hat, ist klug. Etwa, dass künftig deutlich mehr Schweizer Juden in Davos unterwegs sein werden, um als Vermittler zu fungieren. Statt einfach durch die Stadt zu spazieren, sollen die Vermittler auch an strategischen Punkten stationiert sein, wo es häufig zu Konflikten kommt. Etwa bei den Talstationen der Bergbahnen.

Was nützt die Charmeoffensive?

Sinn ergibt ebenfalls, dass die Davoser versuchen, die orthodoxen Gäste aus Antwerpen, New York oder London schon vor der Anreise zu erreichen und sie auf die hiesigen Gepflogenheiten hinzuweisen – auch wenn das kein einfaches Unterfangen sein dürfte. Oder dass sie die Rabbiner einbinden, die als religiöse Autoritätsfiguren einen grossen Einfluss auf die streng gläubigen Juden haben.

Ob andere Massnahmen eine grosse Wirkung entfalten, ist hingegen fraglich. Etwa die Charmeoffensive, die der Davoser Bevölkerung neue Facetten des Judentums aufzeigen soll. Geplant ist ein Liederabend, der sich mit der «von Exil und Emigration geprägten jüdischen Weltgeschichte» befasst.

Es mag sein, dass in der Bündner Bergstadt – wie andernorts in der Schweiz – ein althergebrachter Antisemitismus vorhanden ist, gegen den Aufklärung helfen kann. Eine Judenfeindlichkeit, die auch ohne die Präsenz von Juden auskäme. Aber in Davos gibt es Juden, während einer dreiwöchigen Periode im Hochsommer sogar mehrere tausend. Und es ist dieses alltägliche Aufeinanderprallen verschiedener Kulturen, aus dem ein Grossteil der Ressentiments erwachsen.

Die Bedürfnisse der Einheimischen

Die Situation wird sich nicht nachhaltig beruhigen, wenn sich die orthodoxen Gäste aus dem Ausland weigern, auf ihre Glaubensgenossen aus der Schweiz zu hören. Und sich nicht bemühen, auch die Bedürfnisse der Einheimischen zu verstehen.

«Wenn die Kuh auf der Wiese muht, kümmert mich das auch nicht»: So antwortete vor ein paar Jahren ein Wiener Jude auf die Frage, warum er nach Davos komme, obwohl er die dortige Stimmung als feindlich empfindet. Eine solche Haltung ist zwar nachvollziehbar angesichts der Abneigung, die viele europäische Juden zu spüren bekommen. Aber sie hilft nicht, wenn es darum geht, in einen Dialog zu treten und gegenseitige Vorurteile abzubauen.

Für die Bevölkerung in Davos und anderen Ferienorten mit vielen orthodoxen Touristen wiederum gilt: Sie sollten nicht von «den Juden» sprechen, wenn sich einzelne Angehörige dieser Glaubensgemeinschaft danebenbenehmen. Und sie sollten nicht so tun, als sei das Fehlverhalten mancher Juden eine Gefahr für Sicherheit und Ordnung. Es geht da ums Nicht-Grüssen, ums Nicht-Platz-Machen auf Wanderwegen, ums Nichts-Konsumieren in einer Beiz. Das sind keine Kapitalverbrechen.

Die beiden Seiten müssen sich nicht plötzlich lieben. Aber mit der nötigen Offenheit kann man wieder zurück zu einer nüchternen Beziehung kommen, von der alle profitieren. Die Orthodoxen, weil sie in Davos alles finden, um schöne Sommer- oder Winterferien zu verbringen. Und die Davoser, weil sie daran gut verdienen.

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