Montag, November 17

Der neue Dirigent der EU-Gipfel kann es eigentlich nur besser machen als sein Vorgänger. Die Hoffnung besteht, dass sein Charme auch Trump erweichen kann. Die Feuertaufe erfolgt diese Woche.

Eigentlich ist es ja ganz angenehm, wenn die Fussstapfen des Vorgängers klein sind: Man kann es fast nur besser machen.

Vor dieser Ausgangslage steht António Costa, seit dem 1. Dezember der neue Ratspräsident der EU. Sein Pflichtenheft hört sich bestechend schlank an: Er hat den Vorsitz bei den Gipfeln des Europäischen Rates – also der Staats- und Regierungschefs der 27 EU-Länder –, und er gibt «Impulse für dessen Arbeiten». Im Anschluss schreibt er einen Bericht zuhanden des EU-Parlaments und vertritt im übrigen den Staatenbund bei internationalen Treffen.

Dass eines der höchsten Ämter innerhalb der EU-Institutionen, das es bis 2009 gar nicht gab, nur vage umschrieben ist, ist kein Zufall. Bewusst wird Raum gelassen für die Persönlichkeit des Spitzenpolitikers – bis anhin waren es nur Männer –, der die Funktion ausübt. Denn ein guter Ratspräsident ist auch ein guter Menschenkenner: Er schafft es, die 27 nationalen Leader, die oft politisch ganz unterschiedlich ticken und fast immer ein überdurchschnittliches Ego haben, zu einer gemeinsamen Position zu bewegen und sich dabei selbst nicht in den Vordergrund zu stellen. Schliesslich entscheidet der EU-Rat, den Costa am 19. Dezember zum ersten Mal präsidiert, meistens im Konsens.

«Sofagate» wird sich nicht wiederholen

Genau an diesem Fingerspitzengefühl mangelte es Costas Vorgänger Charles Michel. Mit wem man auch spricht in Brüssel: Es vermisst ihn niemand. Zwar war der EU-Rat während seiner fünfjährigen Amtszeit durchaus handlungsfähig und hat gerade in der Covid-Pandemie weitreichende Entscheide gefällt. Das war aber nicht in erster Linie wegen Michel – sondern trotz Michel.

Der Belgier trat durch seine tollpatschige Art und seinen übertriebenen Geltungsdrang gleich mehrfach negativ in Erscheinung: Legendär ist «Sofagate», als er sowie der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan die beiden Sessel besetzten und Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen auf die Couch verbannten. Das Verhältnis zwischen den beiden war nachhaltig zerrüttet, gegen Ende kommunizierten sie kaum mehr miteinander. Nicht verziehen wird Michel auch, dass er im Januar seine Kandidatur als EU-Parlamentarier ankündigte, nur um sie kurz darauf wieder zurückzuziehen.

Solche Ego-Trips sind António Costa, der Vorfahren in Indien und Moçambique hat, kaum zuzutrauen. Der 63-Jährige trete bescheiden auf und habe über die politischen Gräben hinweg eine «aussergewöhnliche Dialogfähigkeit», sagt im Gespräch der portugiesische EU-Abgeordnete Francisco Assis, der ihn seit der Jugend kennt. Der fortwährend lächelnde Costa, den der portugiesische Präsident Marcelo Rebelo de Sousa einst mit «chronischer Optimist» betitelte, versteckt seinen iberischen Charme nicht. Die Bilder, auf denen er zusammen mit von der Leyen und Parlamentspräsidentin Roberta Metsola am zweiten Amtstag durch einen Brüsseler Stadtpark wandelt, könnten geradezu einer Telenovela entstammen.

Dealmaker – oder Opportunist?

Dass er seine lockere, gewinnende Art durchaus zum eigenen Vorteil einzusetzen weiss, bewies der Sozialdemokrat schon zu Beginn seiner Politkarriere. Um vor den Lokalwahlen zu veranschaulichen, dass seine Vorortsgemeinde dringend eine U-Bahn-Verbindung nach Lissabon brauche, schickte er zur Stosszeit einen Ferrari und einen Esel auf die Strecke. Der Esel gewann das Wettrennen natürlich – und Costa landesweite Bekanntheit.

Burro Vs Ferrari (1993)

Opportunismus wurde ihm vorgeworfen, als er sich 2015 – nach acht Jahren als Bürgermeister von Lissabon – national an die Macht katapultierte. Er schloss ein Bündnis mit Linksaussenparteien, die während der Revolutionsjahre in den 1970er Jahren eine unrühmliche Rolle gespielt hatten, und wurde Ministerpräsident. «Das ist seine Ursünde», sagt der liberale EU-Parlamentarier João Cotrim de Figueiredo.

Gross war damals die Befürchtung, dass sich das damals taumelnde Land noch mehr auf den finanziellen Abgrund zubewegen und von der EU entfernen könnte. In den Folgejahren kam es jedoch zum «portugiesischen Wirtschaftswunder», die Staatsschulden konnten drastisch gesenkt werden.

Ermittlungen beschädigten Ruf nicht

Die Ernte fuhr Costa bei den Wahlen 2022 ein, als seine Partei die absolute Mehrheit eroberte. Im November 2023 war aber dann plötzlich Schluss: Als die portugiesische Staatsanwaltschaft wegen Korruptionsvorwürfen gegen ihn ermittelte, warf er das Handtuch – obwohl sich die Vorwürfe schon wenig später als haltlos erwiesen. Die Beamten hatten ein abgehörtes Telefonat falsch transkribiert. Warum aber tritt man zurück, wenn man sich nichts vorzuwerfen hat? «Ich glaube, dass der Schritt aus moralischer Empörung erfolgte», sagt der Parteifreund Assis.

Es ist allerdings gut möglich, dass Costa, der damals bereits ein Jahr lang EU-Parlamentarier war, schon mit einem Auge nach Brüssel schielte und ihm die Gelegenheit zum Absprung gerade zupass kam. Jedenfalls begann in Brüssel das Werben um Costa schon Monate vor der eigentlichen Wahl. Die 27 Staats- und Regierungschefs, die Costa im Juni offiziell als Ratspräsidenten bestätigten, kannten und mochten ihn seit den gemeinsamen Gipfeltreffen sowie von der portugiesischen EU-Präsidentschaft 2021.

Bromance mit Orban

Auch Kommissionspräsidentin von der Leyen legte ihr ganzes politisches Gewicht in die Waagschale, um ihn ins Amt zu hieven – zu bedeutsam ist ein funktionierendes Tandem an der Spitze der EU-Institutionen. Die Deutsche wusste: Costa kann mit allen. Er brachte sogar den notorischen Abweichler Viktor Orban dazu, für ihn zu stimmen – trotz fundamentalen politischen Differenzen und obwohl der Ungar die Kandidaten für andere Spitzenposten ablehnte.

Hat er ihn im Juni beim gemeinsamen Besuch im Fussballstadion von Budapest um den Finger gewickelt? Im Umgang mit dem noch unberechenbareren amerikanischen Präsidenten Donald Trump können Soft Skills jedenfalls Gold wert sein. Schliesslich gilt es, diesen davon abzubringen, flächendeckende Zölle auf EU-Importe einzuführen.

Zum Start nach Kiew

Der Umgang mit den USA ist freilich nur eine der gigantischen Baustellen, vor denen die Union – und mit ihr Costa – steht. Die Wettbewerbsfähigkeit muss gestärkt, die Wehrfähigkeit erhöht, die illegale Migration eingedämmt werden. Und über allem steht der Krieg in der Ukraine. Dass er diesem hohes Gewicht beimisst, stellte Costa gleich an seinem ersten Amtstag unter Beweis: Er reiste nach Kiew und versprach neben militärischer Unterstützung auch baldige Beitrittsverhandlungen.

Der EU-Parlamentarier Figueiredo bleibt trotz allen Vorschusslorbeeren, mit denen sein Landsmann im Amt begonnen hat, skeptisch. «Europa braucht dringende Reformen, die Mut benötigen. Während seiner Jahre als Ministerpräsident fiel er eher dadurch auf, keine Risiken eingehen zu wollen», sagt er.

Doch so interpretiert Costa sein vorerst auf zweieinhalb Jahre beschränktes Mandat gar nicht, erst recht nicht angesichts des erratischen Erbes seines Vorgängers. Für die Musik sind die anderen zuständig. Er hat als Dirigent «lediglich» dafür zu sorgen, dass alle das gleiche Stück spielen. Wenn er das schafft, ist schon viel erreicht.

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