Donnerstag, Oktober 3

Der Medienkonzern TX Group lässt den Fall einer ehemaligen Mitarbeiterin des «Magazins» eskalieren. Die Folge ist eine öffentliche Schlammschlacht um das Wirken des ehemaligen Chefredaktors Finn Canonica.

Kurz nacheinander sind im vergangenen Jahr zwei mutmassliche Fälle von #MeToo an die Öffentlichkeit gelangt, die sich beide in der Medienszene abspielten. Es begann im Februar 2023, als Anuschka Roshani als Gastautorin im «Spiegel» zu einem mehrseitigen Rundumschlag ausholte. In der Kritik stand ihr langjähriger Vorgesetzter, Finn Canonica.

Sie bezichtigte den früheren Chefredaktor des «Magazins» aus dem Hause Tamedia, auf der Redaktion über Jahre hinweg ein «Regime des Mobbings» installiert zu haben. Dabei habe er sie, Anuschka Roshani, systematisch erniedrigt – mit sexualisierter Sprache oder mit dem Anbringen von Hakenkreuzen beim Redigieren ihrer Texte.

Über all diese Jahre sei Finn Canonica von der Chefetage des Zürcher Medienkonzerns protegiert worden.

Um mögliche Protektion ging es auch im zweiten Fall von #MediaToo. Dieser wurde wenige Monate später publik, im August 2023. In einer Hintergrundsendung berichtete Radio SRF, wie mehrere Journalistinnen der «Wochenzeitung» und der «Republik» einem mehrfach preisgekrönten Reporter vorwarfen, sie sexuell belästigt und genötigt zu haben. Auch bei ihm, dem renommierten Reporter, hätten die Vorgesetzten weggeschaut.

Zwei Kündigungen

In keinem der beiden #MeToo-Fälle kam es zu einem Strafverfahren, mangels Anzeige der betroffenen Frauen. Das verhinderte, dass die umstrittenen Vorfälle ausgeleuchtet und aufgeklärt werden konnten. Trotzdem wurde dem angeschwärzten Reporter von der «Republik» fristlos gekündigt. Aber auch Tamedia trennte sich von Anuschka Roshani – obwohl sie sich als Opfer sieht –, und zwar wegen Vertrauensbruchs. Sowohl Roshani wie der Reporter der «Republik» beschritten den Rechtsweg und wehrten sich am Arbeitsgericht gegen ihre Kündigung.

In einem solchen Fall habe für eine Arbeitgeberin erste Priorität, zu deeskalieren und eine aussergerichtliche Lösung anzustreben, sagt ein erfahrener Medienrechtler. Diesen Weg hat die «Republik» eingeschlagen. Vor zehn Tagen gab die Geschäftsleitung bekannt, auf eine gerichtliche Auseinandersetzung mit dem ehemaligen Mitarbeiter zu verzichten. Sie akzeptierte dessen Klage vor Arbeitsgericht und zeigte sich bereit, seinen finanziellen Forderungen von rund 30 000 Franken vollumfänglich stattzugeben.

Im Vordergrund stand offenbar, die Identität der betroffenen Frauen zu schützen und sie nicht einer Gerichtsverhandlung auszusetzen.

Den anderen Weg beschritt Tamedia, die Abteilung für Bezahlzeitungen innerhalb der TX Group. Sie sträubte sich gegen eine aussergerichtliche Einigung und beharrte darauf, den Konflikt vor Arbeitsgericht auszutragen.

Die Hauptverhandlung Anuschka Roshani contra Tamedia fand am Montagnachmittag in einem Provisorium in Zürich Oerlikon statt. Der Gerichtssaal war so klein, dass nicht allen Interessierten Einlass gewährt werden konnte. Nicht zu verhindern war, dass vor Gericht ein weiteres Mal darüber gestritten wurde, welche Mitarbeiterin Finn Canonica allenfalls mit «die Ungefickte» oder «die Ungevögelte» gemeint haben könnte.

Auf Sexualleben fixiert

Peter Reichart, Anuschka Roshanis Rechtsvertreter, wies in seinem Plädoyer darauf hin, Finn Canonica sei über all die Jahre krankhaft auf das Sexualleben seiner Mitarbeiterin fixiert gewesen. Dabei habe es sich keinesfalls um einzelne Aussetzer gehandelt. Vielmehr habe er ihr das Arbeitsleben über Jahre zur Hölle gemacht, mit verbalen Erniedrigungen und sexuellen Anspielungen.

Gegen dieses Regime seien Canonicas Vorgesetzte nicht eingeschritten, obwohl sie spätestens seit Anfang 2015 davon hätten wissen müssen. Damals schilderte ein ehemaliger Redaktor des «Magazins» gegenüber der Geschäftsleitung detailliert seine Beobachtungen und schloss mit der Bemerkung, er wolle nicht, dass es dereinst heisse: «Herrgott, wenn wir das gewusst hätten.»

E-Mail nicht auffindbar

Diese E-Mail ist auf Seite der Empfängerin, der Geschäftsleitung von Tamedia, nicht mehr auffindbar. Die Gründe für das Verschwinden sind undurchsichtig – was für den Rechtsvertreter der Klägerin aber keine Rolle spielt: «So etwas darf einfach nicht passieren», sagte Rechtsanwalt Reichart vor Gericht.

Dass seine Mandantin die Erniedrigungen ihres Vorgesetzten mehr als zehn Jahre klaglos hinnahm, erklärte er damit, dass es sich für sie um ihren Traumjob gehandelt habe – den habe sie nicht verlieren wollen. Zudem habe sich das Ganze in einer toxischen Unternehmenskultur abgespielt, wo ein frauenfeindliches Klima geherrscht habe.

«In diesem Klima konnte Finn Canonica wie eine Sumpfblüte gedeihen», lauteten die blumigen Worte von Roshanis Anwalt in seinem Plädoyer, das einer Anklageschrift gegen Tamedia glich.

Laut Rechtsanwalt Reichart fühlte sich seine Mandantin in ihrem Empfinden erst 2021 bestätigt, als mehr als 70 Mitarbeiterinnen mit dem sogenannten «Frauenbrief» an die Chefredaktion des «Tages-Anzeigers» gelangten. Darin warfen sie den Verantwortlichen eine «sexistische Arbeitskultur» vor, in der Belästigung und Diskriminierung gegenüber Frauen toleriert würden.

Dieser Frauenbrief habe seine Mandantin endlich ermutigt, ihre jahrelang erlittene Pein an die Geschäftsleitung zu melden.

Im Windschatten des «Frauenbriefs»

Ganz anders hingegen ordnet das Gudrun Österreicher ein, die Rechtsvertreterin von Tamedia. Die Klägerin habe den Frauenbrief einzig genutzt, um in dessen Windschatten ihre falschen Vorwürfe zu erheben. Die meisten Anschuldigungen seien weder von einer internen noch von der anschliessenden externen Untersuchung bestätigt worden. Diesen externen Bericht erstellte die spezialisierte Anwaltskanzlei Rudin Cantieni, er umfasste rund 230 Seiten.

Aus Sicht der Tamedia-Anwältin viel wichtiger sei eine Blindbewerbung gewesen, die Anuschka Roshani wenige Monate vor dem Frauenbrief, im November 2020, bei der Geschäftsleitung von Tamedia eingereicht habe. Darin habe sie vorgeschlagen, sie zur Chefredaktorin des «Magazins» zu ernennen, anstelle von Finn Canonica. Diesen Vorschlag lehnte die Geschäftsleitung ab.

Rechtsanwältin Österreicher verglich die Beziehung zwischen Anuschka Roshani und Finn Canonica mit derjenigen eines älteren Ehepaars, bei dem die Liebe erloschen sei. Viele Jahre seien sie eng befreundet gewesen. Dabei habe Roshani durchaus genügend Selbstvertrauen gehabt, ihren formellen Vorgesetzten zu kritisieren oder Forderungen zu stellen. So hätten einige befragte Zeugen zu Protokoll gegeben, ihre ehemalige Arbeitskollegin habe gut für sich einstehen und sich sogar mehr herausnehmen können als ihre Kolleginnen.

Nach Vorliegen des externen Berichts der Anwaltskanzlei Rudin Cantieni trennte sich Tamedia zunächst von Finn Canonica. Kurz darauf, im September 2022, wurde auch Anuschka Roshani entlassen.

Gegen diese Kündigung wehrt sich die langjährige Redaktorin vor Arbeitsgericht. Tamedia ist weiterhin nicht zur Deeskalation in Form eines aussergerichtlichen Vergleichs bereit. Das hat sich am Montag nach der öffentlichen Hauptverhandlung bestätigt. In der anschliessenden geheimen Beratung zeigte sich die Rechtsvertretung von Tamedia nicht bereit, sich auf Vergleichsverhandlungen einzulassen.

Anuschka Roshani, die bis heute arbeitslos ist, macht drei Forderungen geltend: die Anerkennung ihrer jahrelangen Diskriminierung, eine Genugtuungszahlung in Höhe von 10 000 Franken sowie die Wiedereinstellung.

Welche dieser Forderungen das grösste Hindernis ist für einen aussergerichtlichen Vergleich, ist nicht bekannt.

Das Arbeitsgericht entscheidet als Nächstes, ob der Fall spruchreif ist oder ob es weitere Beweiserhebungen braucht, allenfalls mit der Befragung von Zeugen. Wann es zu einem Entscheid kommend wird, ist offen.

Exit mobile version