Der Thüringer AfD-Chef muss sich für die Verwendung einer Nazi-Parole verantworten.

Um 10 Uhr 50 hebt Staatsanwalt Benedikt Bernzen an: «Björn Uwe Höcke» – weiter kommt er nicht. «Halt! So weit sind wir noch nicht», unterbricht ihn der Verfassungsrechtler Ulrich Vosgerau, der als Strafverteidiger von Björn Höcke erst seit wenigen Tagen an diesem Prozess vor dem Landgericht im sachsen-anhaltinischen Halle beteiligt ist. «Doch, so weit sind wir», sagt Bernzen und fordert das Gericht auf, keine weiteren Anträge der Verteidigung vor der Verlesung der Anklageschrift zuzulassen.

Doch er dringt nicht durch. Vosgerau lässt Anträge vom Stapel, rügt, dass man am falschen Gericht sei, und so wird die Verhandlung erneut unterbrochen. Das ist Taktik, das Gericht ist nicht überrascht. Es fällt das Wort Anwaltskarussell, mit dem das Gericht die ständigen Verteidigerwechsel meint.

Durch Verteidigerwechsel gelang es Höckes Team auch, die Anklage zu ändern. Die beiden zuvor verbundenen Verfahren – beide betreffen die in Deutschland verbotene Nazi-Losung «Alles für Deutschland» – wurden durch Gerichtsbeschluss wieder getrennt, weil sich ein neu hinzugekommener Verteidiger erst einarbeiten müsse.

Die Anwälte verzögern den Prozess

Es ging deshalb am Donnerstag nur um die 22 Minuten lange Rede von Höcke in Merseburg 2021, an deren Ende er «Alles für unsere Heimat, alles für Sachsen-Anhalt, alles für Deutschland» rief. «Alles für Deutschland» war eine Losung der SA. Die «Sturmabteilung» war eine paramilitärische Kampftruppe der Nationalsozialisten, die während deren Aufstieg Propagandaveranstaltungen abschirmte und politische Gegner verprügelte. Höcke hatte die Parole im Dezember 2023 nochmals wiederholt und dafür eine weitere Anklage kassiert, beide Strafsachen sollten eigentlich zusammen verhandelt werden.

Begonnen hatte die Verhandlung mit 25 Minuten Verspätung. Seit Beginn wurde kaum einmal fünf Minuten zusammenhängend verhandelt, da es ständige Unterbrechungen gab. Den ersten Antrag der Verteidigung stellte der Rechtsanwalt Philip Müller aus München, der erst am selben Tag als neuer Verteidiger hinzugestossen war. Er wollte erreichen, dass die Hauptverhandlung digital dokumentiert und die Dokumentation den Prozessbeteiligten am Ende jedes Verhandlungstages zugänglich gemacht wird.

Es war die übliche Choreografie, wie sie auch in anderen Strafverfahren mit AfD-Beteiligung gang und gäbe ist. Die Rechtfertigung der Verteidiger ist meist, dass die AfD einer überzogenen Kritik der Öffentlichkeit, einer unfairen Berichterstattung und einem grossen Mass an Vorverurteilung ausgesetzt sei und daher nicht sicher sein könne, dass sie ein faires Verfahren bekomme. Daher gelte es, das Verfahren zu dokumentieren.

Höcke spielt den Naiven

Unwissenheit schützt vor Strafe ohnehin nicht, aber dass der Geschichtslehrer Höcke nicht gewusst haben will, was es mit der Nazi-Parole auf sich hat, glaubt ihm vermutlich niemand. Er wiederholte noch vor wenigen Tagen im vielbeachteten Fernsehduell mit dem Thüringer CDU-Spitzenkandidaten Mario Voigt seine Behauptung, er habe nicht gewusst, dass die SA die Parole «Alles für Deutschland» verwendet habe. Höckes Aussage war offensichtlich falsch. Denn zu diesem Zeitpunkt wusste er schon mindestens seit Mai 2023 – dem Zeitpunkt der Anklageerhebung – von dem gegen ihn laufenden Strafverfahren und kannte die Begründung der Staatsanwaltschaft.

Das hielt ihn nicht davon ab, Anfang April auf X unschuldig zu tun. Am 6. April twitterte er auf Englisch, wieder einmal unterdrücke Deutschland die Redefreiheit und verfolge politische Gegner. Am 18. April stehe er vor Gericht wegen des «Verbrechens», seinen Patriotismus falsch ausgedrückt zu haben.

Der Twitter-Eigner Elon Musk persönlich reagierte, erkundigte sich bei Höcke, was dieser gesagt habe, und zeigte sich erstaunt, dass das verboten sein solle. Nachdem zahlreiche Kommentatoren den nationalsozialistischen Hintergrund erklärt hatten, reagierte Musk nicht mehr. Der Verfassungsschutz in Thüringen stuft Höcke als Rechtsextremisten ein. In Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen gilt seine Partei als gesichert rechtsextrem.

Nach der Mittagspause im Landgericht in Halle durfte der Staatsanwalt Bernzen endlich die Anklage verlesen. Es dauert kaum zwei Minuten. Dann war unvermittelt Schluss. Mehr war für den ersten Verhandlungstag nicht vorgesehen. Am kommenden Dienstag wird weiterverhandelt. Der Angeklagte Höcke will sich dann zur Sache äussern.

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