Sonntag, Januar 12

Die Natur schlägt erratisch zu, und vor der Feuersbrunst sind alle gleich. Sie wütet auch in einem der wohlhabendsten Viertel vor Los Angeles. Ein Besuch vor Ort.

Da, wo vor drei Abenden noch Luxusvillen standen, und wo vor zwei Abenden Flammen sie auffrassen, ist es nun dunkel und still. Asche tanzt wie Schneeflocken durch die Luft, dazu summt der Wind. Nur in der Ferne sieht man die roten und blauen Lichter der Feuerwehr, die einige Meilen entfernt die nächsten Brandherde löscht. Hier, am Fusse des Viertels Pacific Palisades, ist es am Donnerstagabend so ruhig, dass man vergessen könnte, dass man sich in der bevölkerungsreichsten Region der USA befindet. Die gerade von den Flammen eines der schwersten Feuer ihrer Geschichte aufgefressen wird.

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«Pali» nennen die Anwohner dieses Viertel nordwestlich von Los Angeles liebevoll, es erstreckt sich von der Pazifikküste bis hoch in die Hügel mit malerischen Aussichten.

Hierher flohen in den 1930er Jahren deutsche und österreichische Juden vor dem Hitler-Regime, unter ihnen viele Intellektuelle und Künstler wie Thomas Mann. Bis heute steht seine Villa, umfunktioniert zu einem Begegnungszentrum des deutschen Staates. Auch der Öl-Tycoon Paul Getty lebte in der Region, sein Haus – die Getty-Villa – ist längst ein weltbekanntes Kunstmuseum. In der Nachbarschaft wohnen inzwischen Hollywoodstars und Politiker.

Manche Häuser sind völlig zerstört, andere unversehrt

Das Museum verschonten die Flammen, unzählige Villen in der Nachbarschaft nicht. Das Pacific Palisades Fire, das am Dienstagmorgen ausgebrochen war, hat von ihnen nichts als Asche und zerschmolzene Metallhaufen übrig gelassen. Einzig ein Kamin aus Backsteinen lässt sich hier und da noch erkennen oder ein Betonboden dort, wo einmal eine Garageneinfahrt gewesen sein muss. Ein Blick auf die Immobilienplattform Zillow verrät, dass die Villen hier 3 bis 4 Millionen Dollar wert waren. Zumindest bis Dienstagmittag.

Verblüffend ist, wie zufällig die Natur gewütet hat. Manche Häuser sind völlig unversehrt geblieben, man könnte meinen, gleich trete eine lachende Familie vor die Tür. Direkt daneben wurde der amerikanische Traum vom Einfamilienhaus jäh vernichtet. Das gilt auch für die Fahrzeuge: Ein Dodge-Oldtimer in Pink und Beige steht poliert am Strassenrand, ein anderes Auto wenige Meter dahinter ist bis zur Unkenntlichkeit geschmolzen.

Bei all dem stinkt die Luft derart, dass es schnell in den Lungen und Augen brennt.

Dass hier mächtige Naturgewalten gewütet haben, wird auch offensichtlich, wenn man die Pazifikküste hinter sich lässt und die Hügel der Palisades hinauffährt, immer dem berühmten Sunset Boulevard entlang. Haushohe Strommasten hängen gekippt über der Strasse, wie Spielpuppen an Drähten werden sie nur noch von den Stromleitungen gehalten. Egal, wohin man schaut: Es liegen Mülltonnen am Boden – stumme Zeugen der stürmischen Santa-Ana-Winde, die durch die Strassen gefegt sind mit Stärken von Hurrikanen.

Wie abrupt die Anwohner von den Feuern überrascht wurden, zeigen Dutzende Autos, die mitten auf der Strasse zurückgelassen wurden. Stossstange an Stossstange reihen sich Teslas, BMW, Toyotas hintereinander – die Besitzer liessen sie zurück wie sinkende Schiffe. Räumfahrzeuge räumten eine Fahrgasse frei, damit die Feuerwehr überhaupt die Hügel hinauffahren konnte. Und auch hier zeigt sich die Launenhaftigkeit der Natur: Die Autos auf der einen Seite der Fahrgasse sind völlig unversehrt. Die auf der anderen sind komplett ausgebrannt.

Wann die Anwohner hierhin zurückkehren dürfen, um zu schauen, ob die Natur es gut mit ihnen meinte oder nicht, ist unklar. Am Donnerstagabend war das Pacific Palisades Fire zu sechs Prozent eingedämmt – und es ist nur eines von fünf, die derzeit das Los Angeles County verwüsten.

Bereit zur Flucht vor der Feuersbrunst

Die Sorge ist, dass die Flammen auf andere angrenzende Stadtteile übergreifen könnten – insbesondere auf Santa Monica. Hier wohnen in der Innenstadt Stefan Heinrich und sein Mann.

In ihrem Reihenhaus sitzen sie auf gepackten Koffern. Heinrich schaut ständig auf die App «Watch Duty», die als eine der zuverlässigsten Quellen für Informationen zu den Waldbränden gilt. Dort können Anwohner auch sehen, ob für ihre Strasse bereits Evakuierungen empfohlen oder gar angeordnet wurden.

Heinrichs Fluchtplan? «Erst einmal zu Freunden weiter östlich und dann in die Wüste», sagt der Tech-Unternehmer. In die Koffer hat er nur wenig gepackt: ein paar Kleider, Kunst, CDs – und das Abiturbuch aus Deutschland.

Heinrich graut es nicht nur vor den Flammen, die auf Santa Monica übergreifen könnten: Für die kommende Woche sind wieder starke Winde vorhergesagt. Und die könnten die Asche aus den Palisades wie einen feinen Sandfilm über die ganze Stadt blasen. Mehrere seiner Freunde hätten in den vergangenen Tagen ihre Häuser verloren, eine Freundin aus der Nähe der Palisades schläft nun bei ihnen auf der Luftmatratze. «Wir sind wirklich nervös», sagt Heinrich – und bereit, jederzeit zu flüchten.

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