Freitag, November 1

The Cure hat nach langer Pause ein Album veröffentlicht. «Songs of a Lost World» handelt von Endzeit und Todesahnungen. Musikalisch wie qualitativ erinnert es an ein Hauptwerk der britischen Band.

Ein toupierter Wuschelkopf, die Augenhöhlen von Kajal flächig getönt und der Mund mit rotem Lippenstift geschminkt. Im Gesicht des 65-jährigen Robert Smith findet man noch immer die kosmetischen Insignien seines Pop-Star-Images. Doch je länger man schaut, desto mehr zeigen sich auch Spuren einer zehrenden Kraft, die sein Aussehen in spöttischer Absicht zu verfremden scheint. Die Backen sind gedunsen. Die Zeit hat den Blick getrübt. Und die Haut ist schlaff wie feuchtes Papier. Ist Robert Smith heute eine Karikatur seiner selbst?

Allerdings strahlt der Sänger eine Milde aus, die auf Reife und Würde schliessen lässt. Und die Zeichen von Alter und menschlichen Schwächen harmonieren durchaus mit seiner klagenden, seufzenden Stimme, mit der Robert Smith sein Repertoire schon immer auf Trauer stimmte. Fast wirkt er heute wie die authentische Verkörperung eines Lebensgefühls, das er früher bloss simulierte.

Das Verhältnis zur eigenen Jugend

Die Kunst des Älterwerdens hänge davon ab, wie man sich zur Jugend verhalte, sagte Robert Smith 2019 in einem Interview mit dem «New Musical Express». Das Statement bezieht man jetzt sogleich auf das neue Album, das The Cure nach einer 16-jährigen Pause herausbringt: «Songs of a Lost World». Wie klingen hier die eigene Jugend, die eigene Vergangenheit nach?

Das ist insofern eine bedeutsame Frage, als sich The Cure bisher stets in einem stilistischen Entweder-oder entwickelt hat. Phasen weinerlicher Nabelschau und hysterischer Beschwörungen kontrastierte die Band mit gewitzten Pop-Songs. Sind es die weltweiten Krisen oder ist es die Zeit, die Robert Smith im Nacken liegt? Auf «Songs of a Lost World» jedenfalls schlägt Robert Smith wieder düstere Töne an.

Man kann die Zweigleisigkeit von The Cure bis in ihre Anfänge zurückverfolgen. Robert Smith machte mit den Mitschülern Michael Dempsey am Bass und Lol Tolhurst am Schlagzeug ein, zwei Jahre Musik, als sie 1978 «Boys Don’t Cry» herausbrachten. Der Song holt erst Anlauf in schmissigen Gitarrenakkorden, um dann geradlinig und beschwingt seine Botschaft zu senden: Jungs dürften nicht weinen – schluchzt Smith mit gepresster Stimme –, nicht einmal am Ende einer Liebesaffäre.

Der Stoff war aus dem Leben gegriffen und gehaltvoll genug für einen mitreissenden Pop-Song, der unterdessen zu den berühmtesten Titeln von The Cure zählt. Als er herauskam, erkannte in England aber kaum jemand sein Hit-Potenzial. Am wenigsten Robert Smith selbst. Ihm schien «Boys Don’t Cry» zu banal.

The Cure - Boys Don't Cry

1959 in Blackpool in eine bürgerliche Familie geboren und so klassisch wie katholisch erzogen an elitären Schulen, träumte Smith von einer Karriere als grosser Künstler. Zu seinen Vorbildern zählten Jimi Hendrix, David Bowie und Nick Drake, bevor er mitgerissen wurde von der rebellischen Wucht des Punk. In den ausgehenden siebziger Jahren, in denen The Cure einen eigenen Stil entwickelte, mündete der Punk indes bereits in den Post-Punk. Der Lärm krachender Gitarren ging über in weitläufigere Formen. Die explosive Substanz des Punk verlor sich in einer kühlen, harten Monotonie, die sich angesichts des aufkommenden Thatcherismus wie der Sound der Desillusionierung ausnahm.

Im Post-Punk spielte das soziale Milieu eine bedeutsame Rolle. Ian Curtis aus der Industriestadt Manchester wurde als Sänger von Joy Division zur Galionsfigur der Bewegung. Die Songs der Band waren von prägnanter Reduktion und protestantischem Understatement geprägt. In manischer Litanei drückte Curtis darüber seine Zweifel und Verzweiflung aus. Seine triste Ausdrucksweise gewann umso mehr Glaubwürdigkeit, als er sie 1980 durch Suizid im Alter von 23 Jahren gleichsam beglaubigte.

Ian Curtis war wichtig für Robert Smith, weil er sich einerseits an ihm orientierte – und weil er andrerseits mit dem Idol verglichen und als minderwertig befunden wurde. Denn der Existenzialismus des geschminkten Poseurs, der mit Travestie und Gothic kokettierte, schien nicht gelebt, sondern bloss gekünstelt. Wie in der ersten The-Cure-Single «Killing an Arab» (1979), auf der er Albert Camus’ Roman «L’Étranger» in die Form eines Songs presste.

«Killing an Arab» gab die Richtung für die Entwicklung der Band. Die traurigen Melodien und die Texte über Teenage-Angst und Orientierungslosigkeit waren zwar von Bands wie Joy Division und The Wire inspiriert. Aber The Cure hat auf den ersten Alben «Three Imaginary Boys» (1979), «Seventeen Seconds» (1980), «Faith» (1981) und «Pornography» (1982) durchaus einen eigenen Sound geprägt. Man servierte den Minimalismus in packenden Rhythmen und schuf Klänge, die neblig aus höllischen Abgründen hervorzuquellen schienen.

Die britischen Kritiker begegneten The Cure oft mit Reserviertheit oder gar Ablehnung. «Faith» klinge «hohl, seicht, aufgeblasen, bedeutungslos, selbstfixiert und ohne Herz oder Seele», wetterte etwa der «New Musical Express». Der Pop-Historiker Simon Reynolds bezeichnete die frühen Alben von The Cure noch 2005 als «erdrückend uninspiriert». Dass sich ein wachsendes Publikum an The Cure berauschte, versuchte er sich durch das tiefe Niveau der Fans zu erklären – einer «Armee von Beziehungslosen, Desillusionierten und verlorenen Träumern».

Sprung in den Mainstream

Angesicht des Publikumszuspruchs konnte The Cure die Kritik egal sein. Schlimmer waren für die Band die inneren Probleme und Krisen. Wegen Drogenmissbrauch und Streitereien blieb von den Gründungsmitgliedern bald nur noch Robert Smith übrig, der sich künftig mit wechselnden Musikern umgab. Die Band blieb für ihn ein ehrgeiziges Projekt, in dem er harsche Sounds mit weltanschaulichen Ideen kombinieren wollte. Umso erstaunlicher, dass er The Cure 1982 dann plötzlich in den Mainstream spedierte.

Wenn das Renommee von Künstlern plötzlich über eine eingeschworene und angestammte Subkultur hinauswächst, gibt es dafür typische Gründe: Verrat, Ausverkauf – oder Brillanz, die sofort ein breites Publikum anspricht. Auf Robert Smith traf alles zu, als er plötzlich einen gewitzten Pop-Song nach dem andern aus dem Ärmel schüttelte. Laut Smith handelte es sich bei Songs wie «Let’s Go to Bed» (1982) oder «Love Cats» (1983) angeblich um Parodien, er mache sich lustig über den «glamorous 80ies consumer bullshit» von Bands wie Duran Duran.

Smith hatte mit den sogenannten Parodien auf Erfolg beim Radio spekuliert. Die Rechnung ging tatsächlich auf. Wichtiger für seinen Erfolg war allerdings das neue Musikfernsehen. Die Videos von The Cure wurden durchwegs vom britischen Regisseur Tim Pope produziert, der die Musik mit witzigen Bildern illustrierte. Er zeigte die Band in pittoresken Zimmern, liess die Kamera quasi tanzen und setzte auf schillernde Lichteffekte. Damit brachte er neue und ältere Songs wie «In Between Days» (1985), «Boys Don’t Cry» (1986) oder «Friday I’m in Love» (1992) in die Heavy-Rotation von MTV.

Der Präsenz auf MTV war es zu verdanken, dass Robert Smith zur poppigen Kultfigur avancierte, die nicht nur das Styling von Pop-Stars wie Marilyn Manson oder Boy George beeinflusste, sondern auch Filmcharaktere wie Edward in «Edward Scissorhands» oder Eric in «The Crow». Festigte das den Stolz des The-Cure-Sängers? Nicht wirklich. Ende der 1980er Jahre klagte er, popkulturelles Allgemeingut geworden zu sein. Er wollte vom Pop zurück in die Kunst.

Noch vor seinem dreissigsten Geburtstag plante er die Welt mit einem Opus magnum zu beeindrucken. Und als 1989 das The-Cure-Album «Disintegration» erschien, wurde es tatsächlich als Hauptwerk gefeiert. Die Band hatte ihren Sound mit grosser Kelle angerührt und in überschäumende Rhapsodien fliessen lassen. Wenn Rock-Musiker, von Prätentionen getrieben, mit symphonischer Kunst kokettieren, ist das Risiko von Kitsch sonst stets sehr gross. Hier aber wuchsen Posen und Pathos in einem berückenden Klangbild zusammen. Und wenn über den tosenden Sounds die Seufzer des Sängers ertönen wie Rufe einer Möwe, glaubte man sich im Hochamt der Romantik.

Vorlauf zum Tod

Wie wichtig Robert Smith selber «Disintegration» ist, beweist jetzt das neue Album. «Songs of a Lost World» nimmt sich aus wie ein Echo darauf oder wie eine späte, überzeugende Fortsetzung. Die peitschenden Rhythmen erinnern ebenso an das Hauptwerk aus den 1980er Jahren wie die melancholische Pracht von E-Gitarre, Elektronik und Streichern. Und ähnlich wie damals setzt Robert Smith auch jetzt immer wieder auf minutenlange Intros, bevor er seinen Gesang anstimmt.

Eigentlich markieren die Intros keinen Beginn, sondern den Vorlauf ins Finale. Erst nach langen Instrumental-Parts stimmt der Sänger seine traurigen, teilweise apokalyptischen Gesänge an: als würde ihm sein Schicksal erst angesichts des nahen Endes bewusst. Endzeitvisionen und Todessehnsucht haben Robert Smith schon früher beflügelt. Damals mochte man das als postpubertäres Getue herunterspielen. Unterdessen aber beglaubigen 65 Jahre eines prallen Lebens seinen pessimistischen Tonfall.

Umso schlimmer die Botschaften, die er in den Herbst einer Welt heult, die von Krieg und Krisen erschüttert wird. Wenn es nach Robert Smith geht, geht alles zu Ende. In «Warsong» toben Stürme von Beats und Sounds. «A Fragile Song» handelt vom Erkalten einer Beziehung. In «Alone» wird «the end of every song that we sing» heraufbeschworen.

Am Schluss steht der zehnminütige «Endsong». Lange paukt der Beat, lange wogen die Harmonien, bevor der Sänger endlich seine Stimme erhebt: Was ist geworden aus dem Jungen, der er war? Wie ist er plötzlich alt geworden, fragt er sich. Um dann mit seiner Verlorenheit zu hadern: «left alone with nothing, nothing, nothing, nothing».

Muss man sich Sorgen machen um Robert Smith? Wohl kaum! Der Sänger hat nämlich bereits weitere Alben in Aussicht. Vor allem aber handelt es sich bei seinem Miserabilismus um Kunst. Aber man sollte diese ernst nehmen und sich Sorgen machen um die Welt.

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