Donnerstag, Oktober 3

Medikamente in der Schweiz sind zum Teil knapp. Eine Volksinitiative will das ändern. Wie so viele Initiativen ist sie reich an hehren Zielen und arm an Angaben zu konkreten Massnahmen und Kosten.

Manche Medikamente in der Schweiz sind knapper geworden. Solche Klagen von Ärzten, Apothekern, Konsumentenvertretern und Pharmafirmen sind seit längerem zu hören. Zum Beispiel im Zusammenhang mit gewissen Schmerzmitteln und Antibiotika.

Das Bundesamt für wirtschaftliche Landesversorgung erhielt 2023 total 280 Meldungen über Versorgungsstörungen bei Arzneimitteln und Impfstoffen – mehr als fünfmal so viele wie 2016, bei allerdings ausgebauter Meldepflicht. Eine solche Meldepflicht bei Störungen gibt es bei «lebenswichtigen» Gütern.

Knappheitslisten

Die Liste des Bundesamts für wirtschaftliche Landesversorgung zu Medikamenten mit Versorgungsengpässen enthält derzeit über 120 Präparate. Die private Zusammenstellung eines Apothekers auf der Website drugshortage.ch betreffend alle kassenpflichtigen Medikamente zählt zurzeit rund 560 Knappheitsmeldungen zu Produkten und Dosierungen.

Eine neue Volksinitiative will den Druck auf den Bund im Kampf gegen Medikamentenknappheit erhöhen. Eine Allianz mit Vertretern von Apotheken, Pharmaproduzenten, Importeuren, Konsumenten und Ärzten hat am Mittwoch die Volksinitiative «Ja zur medizinischen Versorgungssicherheit» mit knapp 132 000 Unterschriften eingereicht.

Laut den Initianten liegt der Hauptgrund für die Knappheiten «im jahrelangen massiven internationalen Preisdruck auf Medikamenten und anderen medizinischen Gütern, so dass diese nicht mehr in der Schweiz oder im europäischen Ausland produziert werden konnten». Heilmittelknappheiten sind auch in anderen europäischen Ländern ein politisches Thema.

Gemäss dem Initiativtext muss der Bund Massnahmen treffen, «um einen Mangel an wichtigen Heilmitteln und anderen wichtigen medizinischen Gütern zu verhindern». Etwas konkreter verlangt die Initiative die Bundesförderung von Forschung, Entwicklung und Herstellung wichtiger Heilmittel in der Schweiz und die Gewährleistung des raschen Zugangs für Patienten. Zu den Forderungen gehört auch die Sicherstellung genügender Vorräte und von zuverlässigen Lieferketten in Zusammenarbeit mit dem Ausland.

Unklare Kosten

Man könnte die Forderungen auch in einen Satz pressen: Es muss für alle stets genügend Medikamente haben. Das klingt ein Stück weit wie die Forderung nach einem Netto-Null-Ziel beim CO2-Ausstoss oder nach besseren Arbeitsbedingungen für das gestresste Pflegepersonal: Man kann kaum dagegen sein – zumindest solange unklar ist, welche Massnahmen zu welchen Kosten für die genannten Ziele zu treffen sind.

Wie teuer wäre die Umsetzung der neuen Volksinitiative, und welche konkreten Massnahmen wären zu treffen? Man werde jetzt mit dem Parlament und den Bundesbehörden zusammensitzen, um über Umsetzungsmöglichkeiten zu diskutieren, sagt Andreas Faller vom Initiativkomitee. Faller war einst Vizedirektor im Bundesamt für Gesundheit. Er ist heute als Rechtsanwalt und Berater im Gesundheitswesen tätig. Er führt unter anderem die Geschäftsstelle der Vereinigung der Gruppierungen unabhängiger Apotheken.

Doch welche Massnahmen stehen für die Initianten im Vordergrund? Höhere Medikamentenpreise? Zusätzliche Bundessubventionen für Heilmittelforschung und Produktion im Land? Ein konkretes Massnahmenpaket haben die Initianten derzeit nicht in der Schublade.

Faller versichert indes, dass die Umsetzung der Initiative nicht zu einem Schub bei den Krankenkassenprämien führen werde. In Einzelfällen könne es zwar höhere Medikamentenpreise bedeuten, doch dies falle im Gesamtkontext nicht stark ins Gewicht. Die meisten Medikamente mit Knappheiten beträfen relativ günstige Produkte, oft in der Grössenordnung von 20 bis 30 Franken pro Schachtel. Die Forderungen der Volksinitiative seien auf wichtige Heilmittel gemäss der Liste des Bundes beschränkt.

China und Indien im Visier

Als mögliches Beispiel einer Massnahme nennt Faller Anstrengungen des Bundes in Zusammenarbeit mit anderen Ländern zugunsten einer europäischen Produktion von Antibiotika. Er spricht dabei auch von möglichen Partnerschaften zwischen dem Staat und privaten Investoren. Bei vielen Medikamenten hänge die Schweiz derzeit am Tropf von China und Indien.

In gewisser Hinsicht rennt die Initiative beim Bund offene Türen ein. So hatte der Bundesrat im August zusätzliche Massnahmen gegen Heilmittelengpässe angekündigt. Künftig sollen zum Beispiel zur Linderung von Knappheiten Importe von Medikamenten für grössere Patientengruppen auch ohne offizielle Schweizer Zulassung möglich sein, sofern die Zulassung eines anderen Landes mit vergleichbaren Standards vorliegt.

Der Bundesrat sprach zudem von mehr finanziellen Anreizen für Produzenten und Lieferanten. Zu den geprüften Optionen zählt etwa die finanzielle Abgeltung von Firmen gegen Zusicherung einer gewissen Lieferbereitschaft. Auch Preiskonzessionen bei wichtigen Heilmitteln sind ein Thema.

Die Diskussionen über zusätzliche Massnahmen des Bundesrats hätten «anständige Resultate» gebracht, sagt Andreas Faller. Er nennt aber zwei Gründe, warum es die Initiative aus seiner Sicht trotzdem braucht: Was der Bund von den Ankündigungen am Ende umsetze, sei noch offen, und zudem werde der Bundesrat die kantonalen Zuständigkeiten nicht einschränken. Beim Thema Medikamentenversorgung sei der Föderalismus fehl am Platz.

Die Allianz hinter der Initiative umfasst laut den Urhebern zwanzig Verbände, Organisationen und Firmen des Gesundheitswesens. Bemerkenswert ist etwa das Mitmachen des Pharmaverbands Interpharma. Dieser betont sonst oft die Bedeutung des internationalen Handels, unterstützt jetzt aber eine Initiative, die den Geruch von «Schweiz zuerst» verbreitet. Die Pharmaindustrie sagt seit längerem, dass die Medikamentenknappheit auch mit dem Druck auf die inländischen Preise zu tun habe.

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