Mittwoch, Oktober 2

Masucci wurde als Hitler in «Er ist wieder da» der breiten Öffentlichkeit bekannt. Phänomenal spielt er nun auch den 1989 von der RAF ermordeten Deutsche-Bank-Chef Alfred Herrhausen. Ein Porträt.

Alfred Herrhausen wird ungeduldig. Das dauert ihm alles viel zu lange hier. Der Deutsche-Bank-Chef will mit dem Einstieg ins Investment Banking das Unternehmen reformieren. Aber die Vorstandssitzung verläuft zäh. Bis einer der alteingesessenen Kollegen sagt: «Das haben wir noch nie gemacht.» Dann reicht es ihm, Herrhausen hat genug gehört. Eben das sei doch eine präzise Umschreibung von «neu», antwortet er genervt. Der Punkt geht an ihn.

Das Jahr ist 1989. Herrhausen, der in dem gleichnamigen Politthriller von Oliver Masucci gespielt wird, zieht die von ihm initiierte Übernahme der Londoner Merchant Bank Morgan Grenfell trotz allen Widerständen im eigenen Haus durch. Es ist seine letzte grosse Aktion. Am 30. November kommt der Spitzenmanager auf dem Weg ins Büro bei einem Attentat ums Leben. Eine Bombe zerfetzt seinen schwer gepanzerten Mercedes-Dienstwagen. Herrhausen ist sofort tot.

35 Jahre später gehört der Anschlag noch immer zu einem der mysteriösesten Kriminalfälle der deutsch-deutschen Nachkriegsgeschichte. Zwar bekannte sich die RAF damals zu der Tat. Aber die Mörder sind bis heute unbekannt. Nun versucht sich die ARD mit einem Vierteiler an einem Mix aus Fakten und Fiktion. Das Drehbuch von Thomas Wendrich beleuchtet die Ereignisse rund um das Attentat und die unweigerlich damit verknüpfte Wendezeit.

Ein konservativer Rebell

Masucci ist phänomenal als Herrhausen, ein Mann von Format. Einer, der sich nicht in die Karten schauen lässt und immer einen Schritt vorauseilt. Die Ungeduld, das Stürmische, sagt Masucci im Zoom-Interview, könne er gut nachvollziehen. Er nennt Herrhausen einen «Rebellen im konservativen Gewand» und wirkt im Gespräch oftmals selbst wie ein Getriebener. Einer, der nie Ruhe gibt, der immer nach vorne argumentiert.

«Herrhausen war sich dessen bewusst, wo und wer er war. Er stand für den Staat und für Kapital.» Masucci sagt es voller Bewunderung. Manchmal klingt er wie ein Fan. Aber wer könnte eine brisante, tollkühne Figur wie Herrhausen auch besser verkörpern als dieser unerschrockene Star des deutschen Films?

Geschult am Theater, wurde Masucci 2015 mit seiner umstrittenen Führer-Karikatur in der Politsatire «Er ist wieder da» schlagartig einer breiten Öffentlichkeit bekannt. In Oskar Roehlers Film «Enfant terrible» (2020) spielte er den Regisseur Rainer Werner Fassbinder als cholerisches Kind. Extreme liegen ihm. Masucci bewegt sich im Kino wie im Fernsehen mit Vorliebe auf dünnem Eis.

Auch sein Herrhausen ist mehr als ein gewöhnlicher Banker, er ist ein Strippenzieher, der das offene Wort und den Alleingang nicht scheut. Ende der 1980er Jahre jettet er um die Welt: Mexiko, Washington, Moskau, Warschau. Zwischendurch Frankfurt, die Basis. Oder Bonn, wenn der Kanzler ihn braucht.

Ob als enger Berater von Helmut Kohl oder in seiner Position als Vorstandssprecher des grössten deutschen Finanzinstituts: Auf dem Höhepunkt seiner Karriere ist er überall ein gefragter Mann. Vor allem dort, wo das Geld knapp ist. Da, wo’s brennt.

Geprägt vom deutschen Terror

Masucci, Jahrgang 1968, ist in Bonn aufgewachsen, im Epizentrum der westdeutschen Politik. Den deutschen Terror hat er als junger Mann hautnah miterlebt. Er erinnert sich an die Schleyer-Entführung und die Ermordung des deutschen Diplomaten Gerold von Braunmühl. Letztgenannter wurde 1986 in der Strasse erschossen, in der Masucci damals wohnte. Seine Tochter war eine Freundin von ihm. «Für mich war das ein Schlüsselmoment, um zu sagen, ich verabscheue Ideologien jeder Art.»

Die Erfahrungen von damals haben über die Jahre sein persönliches Interesse an der deutsch-deutschen Nachkriegsgeschichte befeuert. Auf den Fall Herrhausen bezogen, gibt es für ihn bis heute mehr Fragen als Antworten zur dritten Generation der RAF. «Die ging schon in die Richtung: Terrorismus als Businessmodell», sagt er.

Die Macher der Serie sehen das ähnlich. Die Handlung verläuft auf zwei Erzählebenen. Gezeigt wird vordergründig, wie Herrhausen zur Zielscheibe wird, weil er sich zuerst für einen Schuldenerlass gegenüber den ärmeren Ländern Südamerikas ausspricht und kurz darauf, wie Masucci es formuliert, «am Roten Platz Kredite verteilt hat».

«Drittens hat er die Wende vorausgesehen», ergänzt der Schauspieler im gleichen Atemzug. «Das sind Dinge, die vielen Menschen – gerade bei der Stasi – Ärger bereitet haben.» Parallel laufen hinter den Kulissen die Vorbereitungen auf das Attentat. Die Spuren führen in den Nahen Osten, nach Libanon, wo die RAF mit der Volksfront für die Befreiung Palästinas (PFLP) zusammengearbeitet hat.

Gefährlicher Dreh in Israel

Nicht nur den wachen Geist, auch eine gewisse Furchtlosigkeit gegenüber dem Tod teilt Masucci mit seiner Figur. Neulich stand er in Israel als Mossad-Agent vor der Kamera und erzählt: «Wenn eine Drohne aus Jemen in Tel Aviv einschlägt, geht man am nächsten Tag trotzdem zur Arbeit. Und wenn der Luftalarm kommt, während man im Restaurant sitzt, dann nimmt man sein Weinglas eben mit in den Schutzraum. Gefahren können real sein, ohne das Leben zu dominieren. Wahrscheinlich auch, weil man nie glaubt, dass es einen selber trifft.»

Seine Nähe zu Herrhausen wird auch deutlich, wenn er bedauert, dass an den entscheidenden Schaltstellen gegenwärtig nur noch Leute sässen, «die sich nicht mehr unbedingt trauen, ihre Macht zu nutzen, um Veränderung zu fördern. Wandel durch Handel, den Herrhausen damals geprägt hat, damit war ja nicht gemeint: ‹Macht euch von den Russen abhängig und kauft nur deren Gas.›»

Dass Herrhausen trotz den Widerständen, mit denen er nicht nur im eigenen Haus zu kämpfen hatte, nicht klein beigab, imponiert Masucci. Trotzdem fiel es ihm nicht leichter, sich in die Rolle von Herrhausen hineinzuversetzen als etwa in jene des Führers. «Hitler habe ich als Kunstfigur gespielt», sagt er mit Nachdruck, «um vielen Deutschen ihren Rechtsradikalismus aus der Nase zu ziehen.»

Er hält’s mit Beuys

Ist er heute angreifbarer als früher? «Ja, klar», sagt er freiheraus. «Ich mache mich aber auch angreifbar. Joseph Beuys sagt: Man muss provozieren, dann kommt was. Du kannst nicht Everybody’s Darling sein. Das ist das Erste, was man als Schauspieler lernen muss: dass der Applaus einem nichts bringt.»

Die Schauspielerei, das Talent, überhaupt sein ganzer Werdegang waren für den Sohn eines italienischen Gastronomen keine Selbstverständlichkeit. «Ich bin nicht zwischen Bücherregalen gross geworden, sondern im Restaurant. Dazu kommt: Als Ausländerkind hatte ich lange ein gespaltenes Verhältnis zur deutschen Sprache, wurde hier als Spaghettifresser und in Italien als ‹mangiapatate› beschimpft.»

Erst über das Theater und den Zugang zur Literatur, erklärt Masucci, habe er angefangen, in grösseren Zusammenhängen zu denken. «Damit ich verstehe, wo ich lebe», sagt er, «muss ich wissen, woher ich herkomme. Das erzählt mir Social Media nicht.» Der Gedanke, dass sich ein Grossteil der Jugend heute lediglich über die sozialen Netzwerke bildet, macht ihn am Ende des Gesprächs fast wütend: «Junge Menschen wissen meist nicht, wer Herrhausen war oder was die RAF gemacht hat. Trotzdem schreien manche: ‹Freiheit für Frau Klette!› Da wird viel romantisiert, letztlich aus mangelndem geschichtlichem Bewusstsein.»

Sein sensationeller Auftritt als «Herr des Geldes» dürfte zumindest dafür sorgen, dass man sich wieder für den Fall Herrhausen und die Hintergründe, die zu seinem Tod führten, interessiert.

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