Donnerstag, Oktober 10

Muslimische Touristinnen umgehen das Schweizer Verhüllungsverbot. Von einer Trickserei kann nicht die Rede sein. Mit der FFP2-Maske respektieren sie die Hausregeln. Gleichzeitig zeigt sich, dass Minarettverbot und Burkaverbot keine abschreckende Wirkung haben.

Zwischen Gästen und Einheimischen gibt es eine Reihe von Regeln, die einzuhalten sind. Eine der wichtigsten lautet: Gastfreundschaft. Man weist freundlich den Weg und holt bei Bedarf verschüttete Fremdsprachenschätze zurück ins Bewusstsein, um weiterzuhelfen. Man schiesst ausserdem nicht mit Wasserpistolen auf Touristen, wie es manche Spanier zu tun pflegen. Im Gegenzug darf der Gastgeber erwarten, dass der Gast die Hausregeln respektiert – und ganz wichtig: dass er wieder abreist. Die Freundlichkeiten können nur für eine begrenzte Zeit in Anspruch genommen werden. Das ist der Deal.

Was heisst es aber, sich anzupassen, etwa als Tourist in einem fremden Land? In der Zürcher Bahnhofstrasse ist im Sommer ein interessantes Phänomen zu beobachten. Es hat wieder viele arabische Touristen, die der heimatlichen Hitze entflohen sind, um sich hier bei immerhin auch über 30 Grad etwas abzukühlen. Die Frauen kombinieren ihr Kopftuch oft mit einer FFP2-Maske. Man könnte erst glauben, dass es sich dabei um eine gesundheitliche Vorsichtsmassnahme handle. Ein Blick auf die männlichen Begleiter – kurze Hose, Mokassins, Poloshirt, das bärtige Gesicht maskenlos – lässt allerdings erahnen, dass es ein Phänomen von kultureller Anpassung ist.

Eine Form der Anpassung

Seit 2022 gilt in der Schweiz ein Verhüllungsverbot, gern auch Burkaverbot genannt. Wer das Gesicht verhüllt, kann mit einer Strafe von bis zu 1000 Franken belegt werden. Ausgenommen sind «Gründe der Gesundheit, der Sicherheit, der klimatischen Bedingungen und des einheimischen Brauchtums», wie es in der Bundesverfassung heisst. Im Kanton Tessin, wo ein Burkaverbot schon früher verabschiedet wurde, hat man das Masken-Phänomen bereits vor der Covid-Krise beobachtet. Rechte Politiker fühlten sich von Mundschutz tragenden Musliminnen ausgetrickst und wollten das Gesetz weiter verschärfen.

Sie schienen nicht zu verstehen, dass die muslimischen Touristinnen mit ihren Covid-Masken der Gastgeberkultur entgegengekommen sind. Man kann in der Covid-Maske eine religiöse Schlaumeierei sehen, um die eigene kulturelle Sitte zu pflegen. Das trifft wohl zu, darüber hinaus ist die rechtskonforme Umgehung des Verhüllungsverbots aber auch eine Anpassung. Oder wenn man es – mit Houellebecq gesprochen – noch etwas drastischer möchte: eine Form von Unterwerfung. Indem der Gesichtsschleier durch eine Covid-Maske ersetzt wird, unterwerfen sich die muslimischen Touristinnen den Spielregeln der Schweiz, so merkwürdig das wirken mag.

Denn symbolisch und praktisch steht die Covid-Maske für eine gesundheitliche Vorsorge, der Schleier hingegen für die Unterdrückung der Frau.

«Heidi Halal»

Dass sich Touristen den örtlichen Gepflogenheiten anpassen müssen, ist eine Selbstverständlichkeit. Wer den Vatikan betreten will, sollte, ob Mann oder Frau, Knie und Schultern bedecken. In Iran gilt generell eine Kopftuchpflicht. Sich bei Reisen in diese Länder zu fügen, ist eine touristische Normalität.

Als die Schweizer Bürger 2009 die Minarettinitiative angenommen haben, machten die Medien einen Skandal daraus und beschworen einen nachhaltigen Imageschaden für das Land. Der bekannte Genfer Soziologe Jean Ziegler witterte sogar eine «Pogromstimmung» gegen Muslime. – Natürlich ist nichts davon eingetreten, und von einer Diskriminierung kann nicht die Rede sein, da die Religionsfreiheit gewährleistet ist. In deutschen Medien erschienen bald schon wieder Artikel unter dem Titel «Heidi Halal» und «Warum Muslime so gerne in die Schweiz reisen». Nach der Covid-Krise erholte sich der Tourismus aus den Golfstaaten besonders gut.

Gastfreundschaft und das Pochen auf eigene Regeln widersprechen sich nicht. Die Gäste passen sich an, und sei es, indem sie eine Covid-Maske tragen.

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