Rami Makhluf hat angeblich eine eigene Miliz gegründet, um die Alawiten in den syrischen Küstengebieten zu verteidigen. Die Nachricht auf seinem Facebook-Konto hinterlässt Fragezeichen – und wirft ein Schlaglicht auf die Spannungen im Land.
Es wäre nicht das erste Mal, dass Rami Makhluf die sozialen Netzwerke nutzt, um seine Sicht der Dinge darzustellen. Der 55-jährige Geschäftsmann und Cousin von Syriens gestürztem Diktator Bashar al-Asad galt mit einem geschätzten Vermögen von 5 bis 10 Milliarden Dollar als reichster Mann Syriens – bis er 2020 nach einem Streit mit dem damaligen Machthaber in Ungnade fiel. Damals versuchte Makhluf, sich zu wehren und mithilfe mehrerer Videos um Verständnis und die Sympathien des syrischen Volkes zu werben. Das Video ging viral, doch Makhlufs Mühe blieb vergebens: Er konnte Asad nicht umstimmen. Und seine Geschichte erregte kein Mitleid.
Was Asad und seinen Freund aus Kindertagen entzweite – dazu gibt es keine gesicherten Informationen. Als Cousin des Präsidenten hatte Makhluf jahrzehntelang über dem Gesetz gestanden. Niemand hatte gross in Syrien investieren können, ohne Makhluf zu beteiligen. Deshalb wurde er auch «Mister fünf Prozent» genannt. Doch plötzlich sah er sich mit dem Vorwurf konfrontiert, Erdöl und Gas geschmuggelt und Steuern hinterzogen zu haben. Makhlufs Vermögen wurde beschlagnahmt, zwei von ihm kontrollierte Mobilfunkanbieter wurden mit hohen Bussgeldern belegt. Durch Makhlufs Videos wurde der Riss innerhalb der Familie öffentlich – und zementiert. Damaskus verhängte auch eine Reisesperre gegen ihn. Wo sich Makhluf heute aufhält, ist nicht bekannt.
Am 27. April nun meldete sich Makhluf, der wie sein Cousin zur alawitischen Minderheit in Syrien gehört, wieder einmal zu Wort: Er habe eine 150 000 Mann starke Miliz gegründet – zusammen mit Suhail al-Hassan, der unter Asad Spezialeinsatzkräfte kommandierte. Die bewaffnete Gruppe solle im Fall eines Angriffs die Alawiten verteidigen, die überwiegend in der syrischen Küstenregion leben. Wie die Miliz ausgerüstet ist, wer sie kommandiert und finanziert, bleibt offen. Ob der Text, der auf dem nicht verifizierten Facebook-Konto von Makhluf mit mehr als 800 000 Followern veröffentlicht wurde, tatsächlich von ihm selbst stammt, ist unklar. Im Stil entspricht sie Texten früheren Datums auf seinem Account.
Zahlreiche Milizen bekämpfen die neue Regierung
Die Nachricht wurde nur von wenigen arabischen Medien aufgegriffen, darunter die libanesische Tageszeitung «L’Orient le Jour». Der amerikanische Syrien-Experte Charles Lister kommentierte die Zahl von Makhlufs potenziellen Kämpfern auf X ironisch: «Ganz ehrlich bin ich überrascht, dass er nicht von 15 Millionen spricht, wenn man sich seine Erfolgsbilanz anschaut.» Auch wenn der Text auf Facebook nicht von Makhluf stammen sollte oder er – wie viele Syrer vermuten – schlicht nicht der Wahrheit entspricht, wirft er ein Schlaglicht auf die angespannte Sicherheitslage in Syrien. Nach wie vor gibt es zahlreiche Milizen, die die neuen Machthaber aktiv bekämpfen – vor allem in den Regionen, die von Minderheiten dominiert werden.
Der von Islamisten geführten Regierung in Damaskus gelingt es auch weiterhin nicht, Morde, Entführungen oder Gewalt gegen Minderheiten zu verhindern. Dafür gibt es mehrere Gründe: Einerseits mangelt es den neuen Machthabern an qualifiziertem Personal. Nach ihrem Siegeszug unter Führung des ehemaligen Kaida-Kämpfers und heutigen Übergangspräsidenten Ahmed al-Sharaa hatten sie Polizisten und Sicherheitskräfte des alten Regimes entlassen. Wer von ihnen wieder für den Staat arbeiten will, muss sich einer Prüfung unterziehen – doch das dauert. Neue Kräfte werden nach offiziellen Angaben ausgebildet, aber auch das braucht Zeit.
Andererseits kommt es in dem multiethnischen und multikonfessionellen Land immer wieder zu Gewaltausbrüchen mit zahlreichen Toten – auch, weil viele Menschen nach Jahrzehnten unter der Herrschaft des Asad-Clans Rachegefühle hegen. Davon sehen sich vor allem die Alawiten bedroht. Unter Asad waren sie in Armee und Verwaltung überrepräsentiert.
Nach einem Angriff auf Sicherheitskräfte der neuen Regierung im März wurden Hunderte Zivilisten in der alawitisch dominierten Küstenregion ermordet. Die bewaffneten Kämpfer, die für das Massaker verantwortlich sind, gehörten zumindest teilweise zu den Sicherheitskräften der neuen Regierung. Die wiederum hat sich auf die Fahne geschrieben, Mitglieder von Asads Sicherheitsapparat zu verfolgen, die unter seiner Herrschaft an Kriegsverbrechen beteiligt waren.
Kurz nach dem Massaker an den Alawiten wurde auf dem Facebook-Konto von Makhluf ein Text veröffentlicht, in dem der Autor – mutmasslich Rami Makhluf selbst – seiner Erschütterung darüber Ausdruck verleiht. Ausserdem versichert er, nach Lösungen zu suchen, damit sich solche Vorfälle nicht wiederholen und die Sicherheit für «unsere Menschen in dieser Region» gewährleistet werde – möglicherweise schon eine Anspielung auf die Gründung einer eigenen Miliz.
Auch andere religiöse Minderheiten wie die Kurden im Nordosten oder die Drusen im Südwesten fühlen sich von der sunnitisch dominierten Regierung nicht oder nicht ausreichend repräsentiert und beobachten deren Vorgehen skeptisch. Obwohl sich Vertreter beider Minderheiten mit den Machthabern in Damaskus auf Abkommen geeinigt haben, ihre Kämpfer in die nationale Armee zu integrieren, unterstützen längst nicht alle Kurden und Drusen diesen Plan – oder fürchten, sich im Fall eines interkonfessionellen Konflikts nicht verteidigen zu können.
Kämpfe auch in den Drusengebieten
In der vergangenen Woche kam es immer wieder zu Kämpfen vor allem in den drusischen Gebieten im Süden des Landes. Nach Angaben der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte wurden an verschiedenen Orten insgesamt mehr als hundert Menschen getötet.
In dem mutmasslich von Makhluf veröffentlichten Text auf Facebook heisst es, dass weder er noch Kommandant Hassan, der wegen möglicher Kriegsverbrechen gesucht wird, Rache üben wollten. Aus dem Text wird auch deutlich, dass Makhluf der neuen Regierung in Damaskus nicht traut. Mit der Gründung und Finanzierung von bewaffneten Gruppen hat Makhluf bereits Erfahrung: Ab 2012 baute er die Miliz «Die Löwen von al-Bustan» mit auf, die aufseiten des Regimes kämpfte – bis Asad 2019 ihre Auflösung verlangte.
Den neuen Machthabern in Damaskus wirft Makhluf nun vor, dass sie die Alawiten nicht hätten beschützen können vor den Greueltaten, die bis heute andauerten. Gleichzeitig schlägt er der Regierung eine Zusammenarbeit vor, «um das Land zu beschützen, dem Volk zu dienen, Sicherheit und Stabilität wiederherzustellen – vor allem in syrischen Küstenregionen». Stammt der Text tatsächlich von Makhluf, könnte es auch als eine Art Bewerbung verstanden werden: Makhluf will im neuen Syrien wieder stärker mitmischen.