Mittwoch, Oktober 2

Junge Ärztinnen und Ärzte fordern kürzere Arbeitstage und eine bessere Ausbildung. Dazu müsse endlich die administrative Arbeit reduziert werden.

Unter den Ärzten tobt ein Generationenkonflikt. Die älteren Mediziner sagen, die hohe Arbeitslast gehöre nun einmal zum Beruf und die 70-Stunden-Wochen hätten ihnen auch nicht geschadet. Die jungen Ärztinnen und Ärzte hingegen betonen vermehrt die Bedeutung der Work-Life-Balance. Dies auch mit der Forderung 42+4: Assistenzärztinnen und Assistenzärzte sollen künftig im Durchschnitt 42 Stunden pro Woche im Spital arbeiten und mindestens 4 Stunden für ihre Weiterbildung zur Verfügung haben. Dies fordert der Verband der Assistenz- und Oberärzte (VSAO).

Gerade in der Chirurgie wird ein hoher Arbeitseinsatz von den jungen Medizinern erwartet. Doch nun haben sich just in dieser Disziplin die Jungen und die Alten gefunden und in Zürich eine Task-Force gebildet. Die Zürcher Sektion des VSAO und die Chirurgengesellschaft des Kantons haben sich darauf geeinigt, gemeinsam die Arbeits- und Weiterbildungsbedingungen in der Chirurgie zu stärken, wie sie in einer Medienmitteilung schreiben. Verbesserungen seien wegen des Ärztemangels dringend angezeigt.

Federico Mazzola, Präsident des VSAO Zürich und angehender Chirurg, spricht im Interview über die Ziele seiner Generation und ein Problem, das noch wichtiger ist als die Zahl der Arbeitsstunden.

Früher war es normal, dass Ärzte in Kliniken 70 Stunden und mehr gearbeitet haben. Ist die neue Generation einfach zu bequem?

Nein, wir sind nicht zu bequem. Aber meine Generation weiss, was sie will, und hinterfragt bestehende Strukturen. Ist man nur eine gute Ärztin, wenn man keine Überstunden aufschreibt? Ist man nur dann ein leidenschaftlicher Arzt, wenn man dafür komplett auf sein Privatleben verzichtet? Ich glaube das nicht.

Gerade in der Chirurgie betonen Chefärzte aber, dass es entscheidend sei, möglichst viel zu operieren, um das schwierige Handwerk zu erlernen. Besteht nicht die Gefahr, dass die Qualität leidet, wenn Sie künftig weniger arbeiten?

Diese Sorge haben viele gestandene Chirurgen, weil sie früher in der Ausbildung 70 Stunden und mehr gearbeitet haben. Und natürlich braucht man als Arzt – und wohl besonders in der Chirurgie – viel Übung. Der Schlüssel dazu liegt aber nicht in besonders langen Arbeitstagen, sondern darin, dass wir in der Ausbildung auch das Richtige machen. Heute verbringen Assistenzärztinnen und Assistenzärzte leider 60 bis 70 Prozent ihrer Arbeitszeit am Computer, das zeigen unsere Umfragen. Ich kenne einen Chefarzt, der das Garbage-Time nennt, also quasi Arbeit für den Papierkorb.

Das ist doch etwas gar zugespitzt: Es ist ja schon nötig, dass ein Arzt dokumentiert, wie er einen Patienten behandelt hat.

Selbstverständlich. Gewisse administrative Arbeiten sind ein wichtiger Teil unseres Jobs, zum Beispiel Berichte zu schreiben oder ein Rezept auszustellen. Aber wir verbringen heute viel zu viel Zeit am Computer. Einerseits wurde in den letzten Jahren sehr viel reguliert. Es werden unglaublich viele Daten gesammelt, jeder Handgriff muss erfasst werden. Die Situation ist völlig aus dem Ruder gelaufen. Andererseits hinken wir auch technisch hinterher. So sind die Informationssysteme vieler Spitäler nicht kompatibel, weshalb Daten doppelt erfasst werden müssen. Eigentlich sind sich ja alle einig, dass sich das ändern muss. Nur passiert leider nichts.

Was ist denn nun das Ziel Ihrer Task-Force?

Wir wollen unter anderem erreichen, dass Chirurginnen und Chirurgen in der Ausbildung nicht mehr als 30 Prozent administrative Arbeit leisten müssen. Das scheint uns ein erreichbares Ziel zu sein. Dazu müssen wir bei jedem Papier, das wir produzieren, schauen: Warum machen wir das eigentlich? Braucht es das wirklich? Oder produzieren wir hier etwa ins Leere? Wir haben im Verband eine Checkliste erarbeitet mit verschiedenen Effizienzmassnahmen. Und die Spitäler müssen auch technische Verbesserungen anpacken und den Einsatz von neuen Technologien prüfen. So könnte auch künstliche Intelligenz administrative Arbeit erleichtern.

Die Bevölkerung treiben die hohen Gesundheitskosten um. Nun fordern Sie kürzere Arbeitszeiten für Ärzte und Investitionen in die Digitalisierung. Wird das die Gesundheitskosten nicht weiter steigern?

Unser Ziel ist es, dass unsere Forderungen kostenneutral umgesetzt werden. Wir glauben, dass das möglich ist, wenn Ärztinnen und Ärzte vermehrt wieder dafür eingesetzt werden, wofür sie ausgebildet wurden. So oder so müssen wir aber handeln. Heute überlegen sich 30 Prozent der Medizinstudentinnen und Medizinstudenten, nicht als Arzt zu arbeiten. Andere steigen während der Assistenzarztzeit aus. Nicht nur verschärft sich damit der Fachkräftemangel, vielmehr verursacht das auch hohe Kosten.

Sie selbst haben bald die anstrengende Ausbildung zum Chirurgen abgeschlossen, warum haben Sie sich für diesen Beruf entschieden?

Ich bin Arzt geworden, weil ich Menschen helfen wollte. Und ich erlebe die Arbeit in der Chirurgie als sehr erfüllend. Man identifiziert ein medizinisches Problem und kann es in der Operation gleich beheben. Und mir gefällt auch der manuelle Teil meiner Arbeit, als Chirurg lernt man neben dem Medizinischen nochmals etwas ganz Neues. Auch ich hatte aber meine Mühe mit den Rahmenbedingungen des Jobs. Statt die Faust im Sack zu machen, habe ich mich entschieden, mich im Verband zu engagieren. Das verursacht zwar zusätzliche Arbeit, aber ich kann auch viel bewegen.

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